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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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"Unter den vielen Provinzen Deutschlands seit Sachsen sich den Ruhm det'
wohlgesittetsten, insonderheit seit der prächtigen Regierung ihres königlichen
Kurfürstens Friedrich Augusts, erworben; ihre Sorgfalt sür das Ergötzen der
Sinne ist am weitesten gegangen, und hat sich auch auf das Gehör erstrecket;
dadurch hat ihre Sprache, die in dem Reichthum und Deutlichkeit der Wörter
mit andern Mundarten schon längst geeifert hat, zum wenigste" in dem Wohl¬
klang den Vorzug über alle andern Aussprachen in Deutschland behauptet."
Sehr angelegentlich spricht sich Bodmer darüber aus in der Vorrede zu
Breitingers Buche, offenbar in der Absicht den schwebenden Streit gütlich bei¬
zulegen; er ist dabei beflissen, zugleich den "Provinzen" nachdrücklich ihr Recht zu
bewahren und zugleich die Sachsen über ihren Anspruch völlig zu beruhigen,
es ist merkwürdig, mit welcher fast ängstlicher Ergebenheit gegen diese. i>r
beweist ausführlich das Recht aller Provinzen zu einem eignen Urtheil: "Hat
der Gebrauch, heißt es, nichtseinen tiefen Grund in der Natur und Vernunft,
seh ich nicht warum eine Provinz nicht mit demselben Recht, wie eine andere,
ihren eigenen Gebrauch dem andern, der eben so mangelhaft ist. vorziehen
dürfte." Darauf aber: "So viel mir bekannt ist, hat Meisten das beste Recht
von andern Provinzen Deutschlands zu fodern, daß sie ihre eigene Aussprache
und Mundart für die seinige verlassen; allermaßen es darinnen wahre Vor¬
züge vor allen andern ausweisen kan, die in der Natur und der Absicht der
Sprache gegründet sind. Ich glaube auch nicht, daß irgend eine Provinz
des deutschen Reichs mit Gedanken umgehe, mit ihm um dieses Recht zu
streiten, oder wenn es einer oder der audern in den Sinn kommen sollte, daß
solche zu ihrem Behuf bündigern Titel anziehen könnte." Dies das Zu-
geständniß, daraus die bescheidnen Einschränkungen und Bedingungen: "Den¬
noch wird nur den Kuustlehrern anderer Provinzen vergönnen, die Vortheile
zu untersuchen, welche solche Provinzen, über die Meissen keine angebohrne
Herrschaft hat, vermögen sollen, ihre Aussprache und Mundart der Meißui-
schen unterwürfig zu machen. Es wird keinen so blinden Gehorsam von Je¬
manden fodern, daß er solche auf sein bloßes Wort glauben solle, ohne daß
er sie einsehe . . . am wenigsten wird es denjenigen das Recht dieser Unter¬
suchung sperren, welche es aufrichtig meinen und das Herz haben, ihre eigene
ihnen altgewohnte Mundart gegen einer bessern zu verlassen . . . : Die eigene
Ehre und die Liebe zu ihrer Sprache erfodern, daß die Sachsen diese Unter¬
suchung den Sprachlehrern anderer deutschen Provinzen vielmehr erleichtern als
sperren .... Je mehr die Gelehrten anderer Provinzen die wirklichen Vorrechte
der Meißnischen Mundart einsehen werden, desto mehr Eifer werden sie be¬
kommen, dieselbe an ihrem Orte auszubreiten." .. . "Zudem ist das Naturell,
das zum Aufnehmen einer Mundart und Aussprache nothwendig ist, nicht so
lediglich an das sächsische Clima gebunden.".... "Wiewohl die Mundart


Gmizbotcn I. 14

„Unter den vielen Provinzen Deutschlands seit Sachsen sich den Ruhm det'
wohlgesittetsten, insonderheit seit der prächtigen Regierung ihres königlichen
Kurfürstens Friedrich Augusts, erworben; ihre Sorgfalt sür das Ergötzen der
Sinne ist am weitesten gegangen, und hat sich auch auf das Gehör erstrecket;
dadurch hat ihre Sprache, die in dem Reichthum und Deutlichkeit der Wörter
mit andern Mundarten schon längst geeifert hat, zum wenigste» in dem Wohl¬
klang den Vorzug über alle andern Aussprachen in Deutschland behauptet."
Sehr angelegentlich spricht sich Bodmer darüber aus in der Vorrede zu
Breitingers Buche, offenbar in der Absicht den schwebenden Streit gütlich bei¬
zulegen; er ist dabei beflissen, zugleich den „Provinzen" nachdrücklich ihr Recht zu
bewahren und zugleich die Sachsen über ihren Anspruch völlig zu beruhigen,
es ist merkwürdig, mit welcher fast ängstlicher Ergebenheit gegen diese. i>r
beweist ausführlich das Recht aller Provinzen zu einem eignen Urtheil: „Hat
der Gebrauch, heißt es, nichtseinen tiefen Grund in der Natur und Vernunft,
seh ich nicht warum eine Provinz nicht mit demselben Recht, wie eine andere,
ihren eigenen Gebrauch dem andern, der eben so mangelhaft ist. vorziehen
dürfte." Darauf aber: „So viel mir bekannt ist, hat Meisten das beste Recht
von andern Provinzen Deutschlands zu fodern, daß sie ihre eigene Aussprache
und Mundart für die seinige verlassen; allermaßen es darinnen wahre Vor¬
züge vor allen andern ausweisen kan, die in der Natur und der Absicht der
Sprache gegründet sind. Ich glaube auch nicht, daß irgend eine Provinz
des deutschen Reichs mit Gedanken umgehe, mit ihm um dieses Recht zu
streiten, oder wenn es einer oder der audern in den Sinn kommen sollte, daß
solche zu ihrem Behuf bündigern Titel anziehen könnte." Dies das Zu-
geständniß, daraus die bescheidnen Einschränkungen und Bedingungen: „Den¬
noch wird nur den Kuustlehrern anderer Provinzen vergönnen, die Vortheile
zu untersuchen, welche solche Provinzen, über die Meissen keine angebohrne
Herrschaft hat, vermögen sollen, ihre Aussprache und Mundart der Meißui-
schen unterwürfig zu machen. Es wird keinen so blinden Gehorsam von Je¬
manden fodern, daß er solche auf sein bloßes Wort glauben solle, ohne daß
er sie einsehe . . . am wenigsten wird es denjenigen das Recht dieser Unter¬
suchung sperren, welche es aufrichtig meinen und das Herz haben, ihre eigene
ihnen altgewohnte Mundart gegen einer bessern zu verlassen . . . : Die eigene
Ehre und die Liebe zu ihrer Sprache erfodern, daß die Sachsen diese Unter¬
suchung den Sprachlehrern anderer deutschen Provinzen vielmehr erleichtern als
sperren .... Je mehr die Gelehrten anderer Provinzen die wirklichen Vorrechte
der Meißnischen Mundart einsehen werden, desto mehr Eifer werden sie be¬
kommen, dieselbe an ihrem Orte auszubreiten." .. . „Zudem ist das Naturell,
das zum Aufnehmen einer Mundart und Aussprache nothwendig ist, nicht so
lediglich an das sächsische Clima gebunden.".... „Wiewohl die Mundart


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/117>, abgerufen am 29.05.2024.