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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Oberhand bekommen." Seine Grammatik war für die Verbreitung des ober¬
sächsischen Deutsch von nicht geringem Einfluß; wie sie in Straßburg für den
Gebrauch der Franzosen ins Französische übersetzt wurde unter seiner eignen
Durchsicht, so gewann sie auch in Süddeutschland Geltung, selbst in Oestreich,
wo man doch um dieselbe Zeit noch Versuche machte, von Wien aus ein
"Kaiserliches Deutsch" zu begründen. Von Hrn. v. Antesperg erschien 1747
eine "kayserliche deutsche Grammatik", worin er auch ein kaiserliches deutsches
Dictionarium verspricht. Ein anderer Oestreichs aber, H. von Scheyb. selbst
Verfasser eines Epos, der Theresiade, der mit Gottsched in Briefwechsel stand,
meldet diesem aus Wien 1749 (Danzel. Gottsched und seine Zeit S. 293 ff.),
"daß dero Grammatik haufenweis abgebe" und knüpft daran die Hoffnung
"daß das Deutsche dort nunmehr auch sich bessern werde;" von seiner eignen
Bildung schreibt ders. an Gottsched: "So lernte ich ein wenig Deutsch, ein
wenig Lateinisch bei den Ccmonicis in Münchrath, ein wenig Englisch zu Nea¬
pel, Griechisch zu Leyte" u. s. w., Sächsisch, so viel ich weiß, durch Gott¬
scheds Sprachlehre." Man ging damals in Wien mit dem Plane um, eine
Professur für deutsche Sprache zu stiften, ein rein Hochdeutscher sollte sie er¬
halten, d. h. ein Sachse, ja man dachte höhern Orts daran, Gottsched selbst
zu berufen, "um durch Sie, wie Scheyb an ihn meldet, den Grund zu Ver¬
besserung der deutschen Sprache allhier zu legen."

Nur noch zwei frühere Zeugnisse aus dem 18. Ih. In der Vorrede zu
Weichmanns Poesie der Niedersachsen v. 1725 spricht der Herausgeber, ein
Norddeutscher, gegen den Franzosen Loulrours, der die deutsche Sprache plump
und bäurisch gefunden hatte, er meint dabei: "So viel aus seinen Urtheilen
zu schließen ist, hat er sie weder gehöret noch gelesen, 'oder wenigstens nicht
Gelegenheit gehabt von der reinen Meißnischen Sprache das geringste zu ver¬
nehmen; von Schweizern, Schwaben oder Oestreichern mag er etwas haben
sprechen hören." Ebenda bespricht der Hamburger Dichter Brockes die Frage,
"ob d>e von allen Deutschen für die beste und zierlichste gehaltene Obersächsische
Sprache der Vollkommenheit so nahe sei, daß keine andre Nation, am wenig¬
sten aber die Niedersachsen, selbige zu tadeln sich mit Recht unterstehen können?"
Er verneint das und streitet für ein gewisses Recht der Kritik auf Seiten der
Norddeutschen, zumal ja eben dieselben ihre hochdeutsche Sprache und Cultur
ans Obcrsnchsen erhalten hätten; zum Schluß aber heißt es: "Ich erkläre mich
hiemit nochmals feierlich, daß ich diese Untersuchung... nickt aus einer
Geringschätzung der Obcrsächsischen Mundart unternommen. Vielmehr bin ich
allerdings der Meinung, daß, wie die Herren Obersachsen im Besitz der schönsten
und zierlichsten Mundart sind, und man durchgehend" nur dasjenige was
ihnen am nahesten kommt, für das Beste halt, daß, sage ich. wir so wol als
alle andere, z. B. Schlesier. Franken, Oestreicher :c. verbunden sind, ohne


14*

Oberhand bekommen." Seine Grammatik war für die Verbreitung des ober¬
sächsischen Deutsch von nicht geringem Einfluß; wie sie in Straßburg für den
Gebrauch der Franzosen ins Französische übersetzt wurde unter seiner eignen
Durchsicht, so gewann sie auch in Süddeutschland Geltung, selbst in Oestreich,
wo man doch um dieselbe Zeit noch Versuche machte, von Wien aus ein
„Kaiserliches Deutsch" zu begründen. Von Hrn. v. Antesperg erschien 1747
eine „kayserliche deutsche Grammatik", worin er auch ein kaiserliches deutsches
Dictionarium verspricht. Ein anderer Oestreichs aber, H. von Scheyb. selbst
Verfasser eines Epos, der Theresiade, der mit Gottsched in Briefwechsel stand,
meldet diesem aus Wien 1749 (Danzel. Gottsched und seine Zeit S. 293 ff.),
„daß dero Grammatik haufenweis abgebe" und knüpft daran die Hoffnung
„daß das Deutsche dort nunmehr auch sich bessern werde;" von seiner eignen
Bildung schreibt ders. an Gottsched: „So lernte ich ein wenig Deutsch, ein
wenig Lateinisch bei den Ccmonicis in Münchrath, ein wenig Englisch zu Nea¬
pel, Griechisch zu Leyte» u. s. w., Sächsisch, so viel ich weiß, durch Gott¬
scheds Sprachlehre." Man ging damals in Wien mit dem Plane um, eine
Professur für deutsche Sprache zu stiften, ein rein Hochdeutscher sollte sie er¬
halten, d. h. ein Sachse, ja man dachte höhern Orts daran, Gottsched selbst
zu berufen, „um durch Sie, wie Scheyb an ihn meldet, den Grund zu Ver¬
besserung der deutschen Sprache allhier zu legen."

Nur noch zwei frühere Zeugnisse aus dem 18. Ih. In der Vorrede zu
Weichmanns Poesie der Niedersachsen v. 1725 spricht der Herausgeber, ein
Norddeutscher, gegen den Franzosen Loulrours, der die deutsche Sprache plump
und bäurisch gefunden hatte, er meint dabei: „So viel aus seinen Urtheilen
zu schließen ist, hat er sie weder gehöret noch gelesen, 'oder wenigstens nicht
Gelegenheit gehabt von der reinen Meißnischen Sprache das geringste zu ver¬
nehmen; von Schweizern, Schwaben oder Oestreichern mag er etwas haben
sprechen hören." Ebenda bespricht der Hamburger Dichter Brockes die Frage,
„ob d>e von allen Deutschen für die beste und zierlichste gehaltene Obersächsische
Sprache der Vollkommenheit so nahe sei, daß keine andre Nation, am wenig¬
sten aber die Niedersachsen, selbige zu tadeln sich mit Recht unterstehen können?"
Er verneint das und streitet für ein gewisses Recht der Kritik auf Seiten der
Norddeutschen, zumal ja eben dieselben ihre hochdeutsche Sprache und Cultur
ans Obcrsnchsen erhalten hätten; zum Schluß aber heißt es: „Ich erkläre mich
hiemit nochmals feierlich, daß ich diese Untersuchung... nickt aus einer
Geringschätzung der Obcrsächsischen Mundart unternommen. Vielmehr bin ich
allerdings der Meinung, daß, wie die Herren Obersachsen im Besitz der schönsten
und zierlichsten Mundart sind, und man durchgehend« nur dasjenige was
ihnen am nahesten kommt, für das Beste halt, daß, sage ich. wir so wol als
alle andere, z. B. Schlesier. Franken, Oestreicher :c. verbunden sind, ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/119>, abgerufen am 29.05.2024.