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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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ja es schien auch ausgemacht, daß er vorläufig nicht den Papst unterstützen
werde. Nach der Schlacht von Solfcrino hatte er einen Brief an seinen Ge¬
sandten zu Rom Herzog von Grammont geschrieben, in welchem er ihn auf¬
forderte, die Bewohner des Kirchenstaats über seine Ansichten und Absichten,
zu unterrichten. Dem Kaiser, so sollte den Römern gesagt werden, liege die
Unabhängigkeit Italiens, aber nicht minder die Souveränetät des Papstes am
Herzen, er werde für jetzt nichts gegen die Romagna thun, die sich der Herr¬
schaft des Papstes entzogen hätte. Ueberschritte indessen die Jnsurrection die
Apeninncn, so müßte die französische Occupationsdivision sich ihr entgegenstel¬
len. Die Bewohner der Legationen mögen bedenken, daß Napoleon nicht
ganz allein aus Italien eine Nation zu machen vermöge; daß Europa dar¬
über einig sein müsse, wenn die Sache Bestand haben solle, daß aber die
Bevölkerung der Legationen bei einem Congresse auf die wärmste Fürsprache
Napoleons rechnen könne. In ganz ähnlicher Weise äußerte er sich auch
später nach dem Abschlüsse des Prüliminarfriedens von Villafranca.

Wenn Napoleon nicht einschritt, so durfte es jetzt auch Oestreich nicht.
Es war gebunden mindestens so lange bis die Friedensverhandlungen, welche
am 9. August zwischen Frankreich und Oestreich und dann mit Piemont zu
Zürich eröffnet waren, zu einem Abschlüsse gediehen. Nicht gesagt aber war
damit, daß die aus den Herzogthümern vertriebenen Fürsten nichts unter¬
nehmen dürften, um auf eigne Faust sich wieder in den Besitz der Verlornen
Herrschaften zusetzen, vielleicht unterstützt von dem König von Neapel. Augen¬
scheinlich konnte diese Fürsten nur die entschiedene Furcht vor Napoleon, wenn
nicht der Mangel an Mitteln, von einem bewaffneten Einschreiten zurückhalten.
Aber, wenn sich alsbald nach dem Frieden von Villafranca und nach der
Abberufung der sardinischen Commissäre in den vier Ländern der Wille des
Volkes mit der größten Entschiedenheit gegen die Rückführung der Fürsten --
also in einem den Stipulationen des Friedens von Villafranca ganz entgegen¬
gesetzten Sinne-- dann noch mehr für den Anschluß an Piemont aussprach;
wenn alles irgend Mögliche geschah, um während der Verhandlungen der
drei Mächte Frankreich, Oestreich und Piemont diesen Anschluß zu einer vol¬
lendeten Thatsache zu machen; wenn Napoleon nicht dagegen einschritt oder
dieses Gebahren nicht zu hindern vermochte: siel dann nicht für den Papst
und die vertriebenen Fürsten aller Grund weg, länger abzuwarten? und ver¬
lor nicht Napoleon das Recht, den Papst und die vertriebenen Fürsten jetzt
schon an der Wiedereroberung der Verlornen Länder zu hindern? Oestreich
sendete alsbald den Fürsten Richard Metternich nach Paris, um bei Napoleon
auf strenge Einhaltung der Bedingungen des Friedens von Villafranca zu
dringen, ihn zu vermögen, daß er dem Vorgreifen in den mittelitalienischen
Ländern Einhalt thue. Napoleon selbst mußte dies wünschen, aber aus andern


ja es schien auch ausgemacht, daß er vorläufig nicht den Papst unterstützen
werde. Nach der Schlacht von Solfcrino hatte er einen Brief an seinen Ge¬
sandten zu Rom Herzog von Grammont geschrieben, in welchem er ihn auf¬
forderte, die Bewohner des Kirchenstaats über seine Ansichten und Absichten,
zu unterrichten. Dem Kaiser, so sollte den Römern gesagt werden, liege die
Unabhängigkeit Italiens, aber nicht minder die Souveränetät des Papstes am
Herzen, er werde für jetzt nichts gegen die Romagna thun, die sich der Herr¬
schaft des Papstes entzogen hätte. Ueberschritte indessen die Jnsurrection die
Apeninncn, so müßte die französische Occupationsdivision sich ihr entgegenstel¬
len. Die Bewohner der Legationen mögen bedenken, daß Napoleon nicht
ganz allein aus Italien eine Nation zu machen vermöge; daß Europa dar¬
über einig sein müsse, wenn die Sache Bestand haben solle, daß aber die
Bevölkerung der Legationen bei einem Congresse auf die wärmste Fürsprache
Napoleons rechnen könne. In ganz ähnlicher Weise äußerte er sich auch
später nach dem Abschlüsse des Prüliminarfriedens von Villafranca.

Wenn Napoleon nicht einschritt, so durfte es jetzt auch Oestreich nicht.
Es war gebunden mindestens so lange bis die Friedensverhandlungen, welche
am 9. August zwischen Frankreich und Oestreich und dann mit Piemont zu
Zürich eröffnet waren, zu einem Abschlüsse gediehen. Nicht gesagt aber war
damit, daß die aus den Herzogthümern vertriebenen Fürsten nichts unter¬
nehmen dürften, um auf eigne Faust sich wieder in den Besitz der Verlornen
Herrschaften zusetzen, vielleicht unterstützt von dem König von Neapel. Augen¬
scheinlich konnte diese Fürsten nur die entschiedene Furcht vor Napoleon, wenn
nicht der Mangel an Mitteln, von einem bewaffneten Einschreiten zurückhalten.
Aber, wenn sich alsbald nach dem Frieden von Villafranca und nach der
Abberufung der sardinischen Commissäre in den vier Ländern der Wille des
Volkes mit der größten Entschiedenheit gegen die Rückführung der Fürsten —
also in einem den Stipulationen des Friedens von Villafranca ganz entgegen¬
gesetzten Sinne— dann noch mehr für den Anschluß an Piemont aussprach;
wenn alles irgend Mögliche geschah, um während der Verhandlungen der
drei Mächte Frankreich, Oestreich und Piemont diesen Anschluß zu einer vol¬
lendeten Thatsache zu machen; wenn Napoleon nicht dagegen einschritt oder
dieses Gebahren nicht zu hindern vermochte: siel dann nicht für den Papst
und die vertriebenen Fürsten aller Grund weg, länger abzuwarten? und ver¬
lor nicht Napoleon das Recht, den Papst und die vertriebenen Fürsten jetzt
schon an der Wiedereroberung der Verlornen Länder zu hindern? Oestreich
sendete alsbald den Fürsten Richard Metternich nach Paris, um bei Napoleon
auf strenge Einhaltung der Bedingungen des Friedens von Villafranca zu
dringen, ihn zu vermögen, daß er dem Vorgreifen in den mittelitalienischen
Ländern Einhalt thue. Napoleon selbst mußte dies wünschen, aber aus andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/150>, abgerufen am 14.05.2024.