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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Reform der Prvvinzialverfassung gar keine. Ueber den schwierigsten Punkt, wie es
mit dem Herrnhause gehalten sein soll, das entschlossen zu sein scheint, jedes liberale
Gesetz zu verwerfen, darüber scheint man noch gar nicht nachgedacht zu haben. Und
Preußen, bedroht von allen Seiten, ist gar nicht in der Lage, die Zustände sich selbst
entwickeln zu lassen und in stiller Beschaulichkeit die Dinge abzuwarten, die da kom¬
men sollen; der Landtag hat die dringende Aufgabe, die Minister um die Nothwendig¬
keit eines energischen Handelns zu erinnern. -- Es hat uns gefreut, daß, wie sich
bei der Präsidentenwahl zeigte, die liberale Partei mit der ultramontanen endlich ge>
brechen hat, denn wir sahen mit Bestimmtheit voraus, daß in kürzester Frist der
Ultramontanismus Preußens größter Feind, der wirksamste Hebel in den Händen
seiner Gegner sein wird. Nachdem der Kaiser Napoleon dem Papst offen den Fehde¬
handschuh hingeworfen, nachdem überall in Deutschland die Leiter der katholischen
Kirche die Staaten, zu denen sie gehören, zu einer von den Bestimmungen des
tridcntinischcn Concils abhängigen Politik treiben wollen, kann keine Regierung mehr
darauf rechnen, zugleich den Beifall der Liberalen und der Ultramontanen zu er¬
werben: es muß gewählt werden. Auch dürfte es keineswegs genügen, den ultra¬
montanen Anmaßungen von anßen zu begegnen, es kommt vielmehr darauf an,
gegen sie den Protestantismus zu neuem Leben aufzurufen. Der Weg, den der preu¬
ßische Kultusminister bisher eingeschlagen, führt nicht zum Ziel: es kommt z. B.
nicht blos darauf an, ob seine Ansichten über das Erziehungswesen abstract genom¬
men die richtigern sind, sondern ob sie Wurzel im Lande haben. Der Protestantis¬
mus gedeiht nicht durch bürcaukratischcs Besserwissen, sondern nur durch Freiheit.
Die protestantische Kirche in Ungarn gibt uns davon ein gutes Beispiel.

Vor allem aber thut Preußen eins Noth, wenn es seine Stellung in Deutschland
und in Europa wiedergewinnen will: es muß sich in Bezug auf die großen Fra-
'gar eine bestimmte Meinung bilden und mit dieser Meinung offen heraustreten,
Seine bisherige Methode, sich in tiefes Geheimniß einzuhüllen und abzuwarten, was
die Zukunft in ihrem Schooß birgt, hat es nicht gefördert. Alle Angriffe, denen
es ausgesetzt war, rühren von dem Glauben an seine Schwäche her: von dem
Glauben, daß es überhaupt keine Meinung habe. Diesen Glauben muß es gründ¬
lich widerlegen; nur so wird es ihm gelingen, zunächst innerhalb der europäischen
Großmächte sich einen Halt zu verschaffen und damit auch seine Stellung in Deutsch¬
land aufzuklären. Denn wenn es bisher seine deutsche Stellung hinter seiner euro¬
päischen verschanzte, fo konnte man ihm von deutscher Seite mit gutem Fug er¬
widern: die letztere beruhe nur auf der Einbildung; dieser Einwand wird aber
wegfallen, sobald Preußen den übrigen Großmächten gegenüber sich bereit zeigt etwas
,
f 1- zu wollen und, was dazu gehört, an diesen Willen etwas zu setzen.




Reform der Prvvinzialverfassung gar keine. Ueber den schwierigsten Punkt, wie es
mit dem Herrnhause gehalten sein soll, das entschlossen zu sein scheint, jedes liberale
Gesetz zu verwerfen, darüber scheint man noch gar nicht nachgedacht zu haben. Und
Preußen, bedroht von allen Seiten, ist gar nicht in der Lage, die Zustände sich selbst
entwickeln zu lassen und in stiller Beschaulichkeit die Dinge abzuwarten, die da kom¬
men sollen; der Landtag hat die dringende Aufgabe, die Minister um die Nothwendig¬
keit eines energischen Handelns zu erinnern. — Es hat uns gefreut, daß, wie sich
bei der Präsidentenwahl zeigte, die liberale Partei mit der ultramontanen endlich ge>
brechen hat, denn wir sahen mit Bestimmtheit voraus, daß in kürzester Frist der
Ultramontanismus Preußens größter Feind, der wirksamste Hebel in den Händen
seiner Gegner sein wird. Nachdem der Kaiser Napoleon dem Papst offen den Fehde¬
handschuh hingeworfen, nachdem überall in Deutschland die Leiter der katholischen
Kirche die Staaten, zu denen sie gehören, zu einer von den Bestimmungen des
tridcntinischcn Concils abhängigen Politik treiben wollen, kann keine Regierung mehr
darauf rechnen, zugleich den Beifall der Liberalen und der Ultramontanen zu er¬
werben: es muß gewählt werden. Auch dürfte es keineswegs genügen, den ultra¬
montanen Anmaßungen von anßen zu begegnen, es kommt vielmehr darauf an,
gegen sie den Protestantismus zu neuem Leben aufzurufen. Der Weg, den der preu¬
ßische Kultusminister bisher eingeschlagen, führt nicht zum Ziel: es kommt z. B.
nicht blos darauf an, ob seine Ansichten über das Erziehungswesen abstract genom¬
men die richtigern sind, sondern ob sie Wurzel im Lande haben. Der Protestantis¬
mus gedeiht nicht durch bürcaukratischcs Besserwissen, sondern nur durch Freiheit.
Die protestantische Kirche in Ungarn gibt uns davon ein gutes Beispiel.

Vor allem aber thut Preußen eins Noth, wenn es seine Stellung in Deutschland
und in Europa wiedergewinnen will: es muß sich in Bezug auf die großen Fra-
'gar eine bestimmte Meinung bilden und mit dieser Meinung offen heraustreten,
Seine bisherige Methode, sich in tiefes Geheimniß einzuhüllen und abzuwarten, was
die Zukunft in ihrem Schooß birgt, hat es nicht gefördert. Alle Angriffe, denen
es ausgesetzt war, rühren von dem Glauben an seine Schwäche her: von dem
Glauben, daß es überhaupt keine Meinung habe. Diesen Glauben muß es gründ¬
lich widerlegen; nur so wird es ihm gelingen, zunächst innerhalb der europäischen
Großmächte sich einen Halt zu verschaffen und damit auch seine Stellung in Deutsch¬
land aufzuklären. Denn wenn es bisher seine deutsche Stellung hinter seiner euro¬
päischen verschanzte, fo konnte man ihm von deutscher Seite mit gutem Fug er¬
widern: die letztere beruhe nur auf der Einbildung; dieser Einwand wird aber
wegfallen, sobald Preußen den übrigen Großmächten gegenüber sich bereit zeigt etwas
,
f 1- zu wollen und, was dazu gehört, an diesen Willen etwas zu setzen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/170>, abgerufen am 15.05.2024.