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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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politischen Bewegungen der neuesten Zeit den Schluß zu ziehen, daß in diesem
Winkel von Deutschland vollkommene, höchstens durch das Murren einiger
Uebelwollenden gestörte, Zufriedenheit herrsche, und daß das Volk, unter der
Leitung einer weisen und gerechten Negierung glücklich, keine Ursache habe,
für sein engeres und das größere deutsche Vaterland eine Veränderung zu
wünschen.

Dieser Schluß wäre eine Täuschung. Es dürfte im Gegentheil wenige
Provinzen von Deutschland geben, in welchen der aus der Gegenwart lastende
Druck tiefer empfunden wird, als in Württemberg, und wenn dieses Gefühl
sich weniger in Worten Luft macht, so kann der aufmerksame Beobachter doch
leicht finden, daß die herrschende Ruhe eher einer Stille vor dem Gewitter,
als einem klaren Sommertage gleicht. Denn die Württemberger wissen und
empfinden es täglich, daß dieselbe Politik, welche acht Jahre lang auf Preußen
lastete, auch sie umsponnen hat, daß die Volks- und fürstenfeindliche Partei,
welcher es in den Jahren 1849 und 50 gelang, die Mehrzahl der deutschen
Ministerien mit Männern aus ihrer Mitte zu besetzen, wie in den meisten
kleinen deutschen Staaten, so auch bei ihnen, immer noch ein Manteuffel'sches
Regiment führt, und daß darin hauptsächlich der Grund liegt, weshalb der
von ganz Deutschland freudig begrüßte Umschwung der preußischen Politik,
auch wenn er gründlicher gewesen wäre, für die kleinern Staaten die erwar¬
teten Früchte nicht tragen konnte. Sie wissen ferner besser, als dies vielleicht
im übrigen Deutschland bekannt ist, daß Polizeiwillkür, Mißachtung des be¬
stehenden Rechts, Beschränkung der Presse, Einfluß persönlicher Gunst oder
Ungunst ihrer Regierung so wenig fremd sind, als der hannoverischen, kur¬
hessischen und Anderen, welche in Deutschland durch jene Eigenschaften Sen¬
sation machen. Diese Behauptung ist stark, wir getrauen uns jedoch, sie auf
Grund sorgfältiger Nachforschungen durch Beispiele zu beweisen.

Von der Presse zu reden ist fast überflüssig. Warum sollte nicht hier
wie anderwärts über Beschlagnahme, ohne daß etwas strafbares sich vor¬
findet, über Concessionsverweigerung wegen politischer Mißliebigkeit, Entziehung
der amtlichen Inserate und dergleichen zu klagen sein? Namentlich in den klei¬
nen Landstädten find die Localblätter, welche ohne Inserate nicht bestehen
können, in solche Abhängigkeit gebracht worden, daß viele sich einer förmlichen
Censur durch die Oberämter unterwerfen müssen und die vorgängige Billigung
des Inhalts durch diese Behörden, den willkürlichen Beschlagnahmen und der
Bedrohung mit Entziehung der Inserate gegenüber, noch als eine Wohlthat
ansehen. Hierbei wird eine Censur geübt, im Vergleich mit der das vor¬
märzliche System liberal erscheint, z. B. die Ankündigung gesetzlich erlaubter
Versammlungen, die Aufforderung zum Unterschreiben von Petitionen u. s. w. nicht
zum Druck zugelassen. Sogar bei dem Schillerfest wurde verlangt, daß man


politischen Bewegungen der neuesten Zeit den Schluß zu ziehen, daß in diesem
Winkel von Deutschland vollkommene, höchstens durch das Murren einiger
Uebelwollenden gestörte, Zufriedenheit herrsche, und daß das Volk, unter der
Leitung einer weisen und gerechten Negierung glücklich, keine Ursache habe,
für sein engeres und das größere deutsche Vaterland eine Veränderung zu
wünschen.

Dieser Schluß wäre eine Täuschung. Es dürfte im Gegentheil wenige
Provinzen von Deutschland geben, in welchen der aus der Gegenwart lastende
Druck tiefer empfunden wird, als in Württemberg, und wenn dieses Gefühl
sich weniger in Worten Luft macht, so kann der aufmerksame Beobachter doch
leicht finden, daß die herrschende Ruhe eher einer Stille vor dem Gewitter,
als einem klaren Sommertage gleicht. Denn die Württemberger wissen und
empfinden es täglich, daß dieselbe Politik, welche acht Jahre lang auf Preußen
lastete, auch sie umsponnen hat, daß die Volks- und fürstenfeindliche Partei,
welcher es in den Jahren 1849 und 50 gelang, die Mehrzahl der deutschen
Ministerien mit Männern aus ihrer Mitte zu besetzen, wie in den meisten
kleinen deutschen Staaten, so auch bei ihnen, immer noch ein Manteuffel'sches
Regiment führt, und daß darin hauptsächlich der Grund liegt, weshalb der
von ganz Deutschland freudig begrüßte Umschwung der preußischen Politik,
auch wenn er gründlicher gewesen wäre, für die kleinern Staaten die erwar¬
teten Früchte nicht tragen konnte. Sie wissen ferner besser, als dies vielleicht
im übrigen Deutschland bekannt ist, daß Polizeiwillkür, Mißachtung des be¬
stehenden Rechts, Beschränkung der Presse, Einfluß persönlicher Gunst oder
Ungunst ihrer Regierung so wenig fremd sind, als der hannoverischen, kur¬
hessischen und Anderen, welche in Deutschland durch jene Eigenschaften Sen¬
sation machen. Diese Behauptung ist stark, wir getrauen uns jedoch, sie auf
Grund sorgfältiger Nachforschungen durch Beispiele zu beweisen.

Von der Presse zu reden ist fast überflüssig. Warum sollte nicht hier
wie anderwärts über Beschlagnahme, ohne daß etwas strafbares sich vor¬
findet, über Concessionsverweigerung wegen politischer Mißliebigkeit, Entziehung
der amtlichen Inserate und dergleichen zu klagen sein? Namentlich in den klei¬
nen Landstädten find die Localblätter, welche ohne Inserate nicht bestehen
können, in solche Abhängigkeit gebracht worden, daß viele sich einer förmlichen
Censur durch die Oberämter unterwerfen müssen und die vorgängige Billigung
des Inhalts durch diese Behörden, den willkürlichen Beschlagnahmen und der
Bedrohung mit Entziehung der Inserate gegenüber, noch als eine Wohlthat
ansehen. Hierbei wird eine Censur geübt, im Vergleich mit der das vor¬
märzliche System liberal erscheint, z. B. die Ankündigung gesetzlich erlaubter
Versammlungen, die Aufforderung zum Unterschreiben von Petitionen u. s. w. nicht
zum Druck zugelassen. Sogar bei dem Schillerfest wurde verlangt, daß man


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[0200] politischen Bewegungen der neuesten Zeit den Schluß zu ziehen, daß in diesem Winkel von Deutschland vollkommene, höchstens durch das Murren einiger Uebelwollenden gestörte, Zufriedenheit herrsche, und daß das Volk, unter der Leitung einer weisen und gerechten Negierung glücklich, keine Ursache habe, für sein engeres und das größere deutsche Vaterland eine Veränderung zu wünschen. Dieser Schluß wäre eine Täuschung. Es dürfte im Gegentheil wenige Provinzen von Deutschland geben, in welchen der aus der Gegenwart lastende Druck tiefer empfunden wird, als in Württemberg, und wenn dieses Gefühl sich weniger in Worten Luft macht, so kann der aufmerksame Beobachter doch leicht finden, daß die herrschende Ruhe eher einer Stille vor dem Gewitter, als einem klaren Sommertage gleicht. Denn die Württemberger wissen und empfinden es täglich, daß dieselbe Politik, welche acht Jahre lang auf Preußen lastete, auch sie umsponnen hat, daß die Volks- und fürstenfeindliche Partei, welcher es in den Jahren 1849 und 50 gelang, die Mehrzahl der deutschen Ministerien mit Männern aus ihrer Mitte zu besetzen, wie in den meisten kleinen deutschen Staaten, so auch bei ihnen, immer noch ein Manteuffel'sches Regiment führt, und daß darin hauptsächlich der Grund liegt, weshalb der von ganz Deutschland freudig begrüßte Umschwung der preußischen Politik, auch wenn er gründlicher gewesen wäre, für die kleinern Staaten die erwar¬ teten Früchte nicht tragen konnte. Sie wissen ferner besser, als dies vielleicht im übrigen Deutschland bekannt ist, daß Polizeiwillkür, Mißachtung des be¬ stehenden Rechts, Beschränkung der Presse, Einfluß persönlicher Gunst oder Ungunst ihrer Regierung so wenig fremd sind, als der hannoverischen, kur¬ hessischen und Anderen, welche in Deutschland durch jene Eigenschaften Sen¬ sation machen. Diese Behauptung ist stark, wir getrauen uns jedoch, sie auf Grund sorgfältiger Nachforschungen durch Beispiele zu beweisen. Von der Presse zu reden ist fast überflüssig. Warum sollte nicht hier wie anderwärts über Beschlagnahme, ohne daß etwas strafbares sich vor¬ findet, über Concessionsverweigerung wegen politischer Mißliebigkeit, Entziehung der amtlichen Inserate und dergleichen zu klagen sein? Namentlich in den klei¬ nen Landstädten find die Localblätter, welche ohne Inserate nicht bestehen können, in solche Abhängigkeit gebracht worden, daß viele sich einer förmlichen Censur durch die Oberämter unterwerfen müssen und die vorgängige Billigung des Inhalts durch diese Behörden, den willkürlichen Beschlagnahmen und der Bedrohung mit Entziehung der Inserate gegenüber, noch als eine Wohlthat ansehen. Hierbei wird eine Censur geübt, im Vergleich mit der das vor¬ märzliche System liberal erscheint, z. B. die Ankündigung gesetzlich erlaubter Versammlungen, die Aufforderung zum Unterschreiben von Petitionen u. s. w. nicht zum Druck zugelassen. Sogar bei dem Schillerfest wurde verlangt, daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/200>, abgerufen am 14.05.2024.