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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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der Originalität und Kraft zeigte, die sich in spätern Jahren bei ihr entwickel¬
ten. Sie vermochte nur Nachklänge des Zcittons zu geben, der damals die
bezauberte Rose und andere zarte Sachen sang, die ihr eigentlich heterogen
waren. Sie legte selbst gar keinen Werth auf diese ersten Versuche und machte
eine fast zwanzigjährige Pause, eh sie in ihrer ureigner Weise zu dichten be¬
gann. Als sie mitten im Schaffen war, sing sie erst an mit mehr Interesse
die Dichter zu lesen, die ihr nur kurze Zeit vorangegangen waren, wie Ana-
swsius Grün, Lenauj, Freiligrath, Immermann. Einfluß hat Keiner von
ihnen auf sie geübt, sie stand ihnen von Anfang an zu sehr als Kritiker
gegenüber und war auch bereits in sich fertig als sie sich mit ihnen be¬
schäftigte.

Die Eigenartigkeit ihres Schaffens ging nicht selten in Eigensinn über:
sie ließ von keinem ihrer Freunde die" geringste Aenderung, ja eigentlich kaum
einen Tadel ihrer Ausdrucksweise zu und las grundsätzlich nie eine Recension
über ihre Gedichte. Ebenso ungerührt blieb sie aber auch gegen das Lob:
sie empfing von den ausgezeichnetsten Männern wie Fürstbischof Diepenbrock
u. A. die schmeichelhaftesten Briefe nach dem Erscheinen ihrer Gedichte, aber
sie beantwortete sie nicht. Auch die dringenden Bitten um Beiträge, welche
von Zeitschriften und Verlegern an sie ergingen, ließ sie unberücksichtigt und
wurde dann grade erst recht "schreibfaul", wie sie selbst sagte.

Zuweilen war sie muthwillig genug, sich durch die äußerlichsten Anlässe
zum Dichten bringen zu lassen; so wettete sie einst, daß sie über einen belie¬
bigen Titel aus dem Katalog einer Leihbibliothek ein gutes Gedicht machen
wolle; die köstliche kleine Räubergeschichte, der Geyerpfiff in Sammlung I. war
die Frucht dieser Wette. Ihre Gedichte entstanden stets in einem fertigen
Guß, sie feilte sehr selten daran oder gestand es wenigstens nicht gern ein.
Sie lag meistens in scheinbarem Halbschlummer auf ihrem alten Sopha, rich¬
tete sich von Zeit zu Zeit auf und schrieb ihre kleinen unleserlicher Buchstaben
aus, die sie dann später nicht viel deutlicher abschrieb; sie hatte die seltsamste
Handschrift, ein Brief von ihr erregte fast immer Schwindel, so dicht gedrängt
voll Buchstaben und Gedanken war er.

Um in ungebundener Rede viel zu leisten, producirte sie zu langsam,
hauptsächlich weil das Mechanische des Schreibens sie zu sehr ermüdete; wegen
ihrer Kurzsichtigkeit mußte sie sich allzutief aufs Papier bücken, wodurch der
Blutandrang nach dem Kopf ihr völlig unerträglich wurde. Eine Brille zu tragen,
vermochte sie nicht, weil die Augen zu sehr hervorstanden. Hätte sie nur die
Hälfte der Erzählungen und Abhandlungen niederschreiben können, die sie
mündlich im Freundeskreise oder eigentlich im low ". töte vortrug, so
hätte die deutsche Literatur gewiß einen ebenso reichen und originellen Schatz
an ihrer Prosa wie an ihrer Poesie erhalten und das Bild ihrer merkwürdigen


der Originalität und Kraft zeigte, die sich in spätern Jahren bei ihr entwickel¬
ten. Sie vermochte nur Nachklänge des Zcittons zu geben, der damals die
bezauberte Rose und andere zarte Sachen sang, die ihr eigentlich heterogen
waren. Sie legte selbst gar keinen Werth auf diese ersten Versuche und machte
eine fast zwanzigjährige Pause, eh sie in ihrer ureigner Weise zu dichten be¬
gann. Als sie mitten im Schaffen war, sing sie erst an mit mehr Interesse
die Dichter zu lesen, die ihr nur kurze Zeit vorangegangen waren, wie Ana-
swsius Grün, Lenauj, Freiligrath, Immermann. Einfluß hat Keiner von
ihnen auf sie geübt, sie stand ihnen von Anfang an zu sehr als Kritiker
gegenüber und war auch bereits in sich fertig als sie sich mit ihnen be¬
schäftigte.

Die Eigenartigkeit ihres Schaffens ging nicht selten in Eigensinn über:
sie ließ von keinem ihrer Freunde die" geringste Aenderung, ja eigentlich kaum
einen Tadel ihrer Ausdrucksweise zu und las grundsätzlich nie eine Recension
über ihre Gedichte. Ebenso ungerührt blieb sie aber auch gegen das Lob:
sie empfing von den ausgezeichnetsten Männern wie Fürstbischof Diepenbrock
u. A. die schmeichelhaftesten Briefe nach dem Erscheinen ihrer Gedichte, aber
sie beantwortete sie nicht. Auch die dringenden Bitten um Beiträge, welche
von Zeitschriften und Verlegern an sie ergingen, ließ sie unberücksichtigt und
wurde dann grade erst recht „schreibfaul", wie sie selbst sagte.

Zuweilen war sie muthwillig genug, sich durch die äußerlichsten Anlässe
zum Dichten bringen zu lassen; so wettete sie einst, daß sie über einen belie¬
bigen Titel aus dem Katalog einer Leihbibliothek ein gutes Gedicht machen
wolle; die köstliche kleine Räubergeschichte, der Geyerpfiff in Sammlung I. war
die Frucht dieser Wette. Ihre Gedichte entstanden stets in einem fertigen
Guß, sie feilte sehr selten daran oder gestand es wenigstens nicht gern ein.
Sie lag meistens in scheinbarem Halbschlummer auf ihrem alten Sopha, rich¬
tete sich von Zeit zu Zeit auf und schrieb ihre kleinen unleserlicher Buchstaben
aus, die sie dann später nicht viel deutlicher abschrieb; sie hatte die seltsamste
Handschrift, ein Brief von ihr erregte fast immer Schwindel, so dicht gedrängt
voll Buchstaben und Gedanken war er.

Um in ungebundener Rede viel zu leisten, producirte sie zu langsam,
hauptsächlich weil das Mechanische des Schreibens sie zu sehr ermüdete; wegen
ihrer Kurzsichtigkeit mußte sie sich allzutief aufs Papier bücken, wodurch der
Blutandrang nach dem Kopf ihr völlig unerträglich wurde. Eine Brille zu tragen,
vermochte sie nicht, weil die Augen zu sehr hervorstanden. Hätte sie nur die
Hälfte der Erzählungen und Abhandlungen niederschreiben können, die sie
mündlich im Freundeskreise oder eigentlich im low ». töte vortrug, so
hätte die deutsche Literatur gewiß einen ebenso reichen und originellen Schatz
an ihrer Prosa wie an ihrer Poesie erhalten und das Bild ihrer merkwürdigen


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[0210] der Originalität und Kraft zeigte, die sich in spätern Jahren bei ihr entwickel¬ ten. Sie vermochte nur Nachklänge des Zcittons zu geben, der damals die bezauberte Rose und andere zarte Sachen sang, die ihr eigentlich heterogen waren. Sie legte selbst gar keinen Werth auf diese ersten Versuche und machte eine fast zwanzigjährige Pause, eh sie in ihrer ureigner Weise zu dichten be¬ gann. Als sie mitten im Schaffen war, sing sie erst an mit mehr Interesse die Dichter zu lesen, die ihr nur kurze Zeit vorangegangen waren, wie Ana- swsius Grün, Lenauj, Freiligrath, Immermann. Einfluß hat Keiner von ihnen auf sie geübt, sie stand ihnen von Anfang an zu sehr als Kritiker gegenüber und war auch bereits in sich fertig als sie sich mit ihnen be¬ schäftigte. Die Eigenartigkeit ihres Schaffens ging nicht selten in Eigensinn über: sie ließ von keinem ihrer Freunde die" geringste Aenderung, ja eigentlich kaum einen Tadel ihrer Ausdrucksweise zu und las grundsätzlich nie eine Recension über ihre Gedichte. Ebenso ungerührt blieb sie aber auch gegen das Lob: sie empfing von den ausgezeichnetsten Männern wie Fürstbischof Diepenbrock u. A. die schmeichelhaftesten Briefe nach dem Erscheinen ihrer Gedichte, aber sie beantwortete sie nicht. Auch die dringenden Bitten um Beiträge, welche von Zeitschriften und Verlegern an sie ergingen, ließ sie unberücksichtigt und wurde dann grade erst recht „schreibfaul", wie sie selbst sagte. Zuweilen war sie muthwillig genug, sich durch die äußerlichsten Anlässe zum Dichten bringen zu lassen; so wettete sie einst, daß sie über einen belie¬ bigen Titel aus dem Katalog einer Leihbibliothek ein gutes Gedicht machen wolle; die köstliche kleine Räubergeschichte, der Geyerpfiff in Sammlung I. war die Frucht dieser Wette. Ihre Gedichte entstanden stets in einem fertigen Guß, sie feilte sehr selten daran oder gestand es wenigstens nicht gern ein. Sie lag meistens in scheinbarem Halbschlummer auf ihrem alten Sopha, rich¬ tete sich von Zeit zu Zeit auf und schrieb ihre kleinen unleserlicher Buchstaben aus, die sie dann später nicht viel deutlicher abschrieb; sie hatte die seltsamste Handschrift, ein Brief von ihr erregte fast immer Schwindel, so dicht gedrängt voll Buchstaben und Gedanken war er. Um in ungebundener Rede viel zu leisten, producirte sie zu langsam, hauptsächlich weil das Mechanische des Schreibens sie zu sehr ermüdete; wegen ihrer Kurzsichtigkeit mußte sie sich allzutief aufs Papier bücken, wodurch der Blutandrang nach dem Kopf ihr völlig unerträglich wurde. Eine Brille zu tragen, vermochte sie nicht, weil die Augen zu sehr hervorstanden. Hätte sie nur die Hälfte der Erzählungen und Abhandlungen niederschreiben können, die sie mündlich im Freundeskreise oder eigentlich im low ». töte vortrug, so hätte die deutsche Literatur gewiß einen ebenso reichen und originellen Schatz an ihrer Prosa wie an ihrer Poesie erhalten und das Bild ihrer merkwürdigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/210>, abgerufen am 14.05.2024.