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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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den Punkte wiederherzustellen, wird Preußen durch eine heilige Ehrenschuld
getrieben.

Offener Bruch mit der Reaction! -- Dieselbe Forderung ist noch nach
einer andern Seite hin zu erheben, wo sie freilich schwerer zu formuliren sein
mochte, -- Eine neue Broschüre: "Die Erstrebung einer maritimen Stellung
Deutschlands auf der Basis des Zollvereins" (Berlin, G. Reimer), enthält
einige wohlgemeinte Vorschläge, deren Basis aber Sand ist, da der Zollverein
seiner Auflösung entgegengeht. -- Eine Reform des Zollvereins, so daß eine
einheitliche, fortschreitende Handelspolitik, eine wirkliche Bewegung möglich wird,
ist Preußens nächste Lebensfrage. -- Daß der Zollverein seiner Auflösung ent¬
gegengeht, daran ist einzig und allein Oestreich schuld. Hat es den guten
Willen, diese Schuld wieder gut zu machen? hat es noch den Einsuß und die
Macht, diesem guten Willen Geltung zu verschaffen? -- Es wird sich zeigen;
bevor aber das nicht geschehen ist, kann Preußen nicht daran denken, sich in
irgend einer Weise an der bedrohten Zukunft des Kaiserstaats zu bethätigen.

Noch ist eine Frage übrig/") die wir nicht umgehen können, weil Hr. v.
Bennigsen sie berührt, und weil sie bei allen bisherigen Bemühungen der
Fortschrittspartei in den Bordergrund gestellt ist: die Frage nach einem dent-
schen Parlament. -- Hr. v. Bennigsen stellt es so dar, als ob das deutsche
Parlament der Constituirung eines deutschen Bundesstaats vorausgehen, als
ob der letztere sich gewissermaßen daraus entwickeln sollte. -- Wir halten diesen
Weg nicht für den richtigen. Ein Parlament ist nnr denkbar in einem schon
bestehenden politischen Organismus, einer schon bestehenden Regierung gegen¬
über; die Geschichte des Jahres 1848 ist dafür ein hinreichender Beweis. --
Die Nechtsbasis, mit den thatsächlichen Zuständen vollkommen übereinstimmend,
ist in Deuschland die souveränes sämmtlicher Fürsten, so weit sie nicht durch
die Bundesverfassung und durch die Thatsachen beschränkt ist. Der rechtliche
Weg, vom Staatenbund zum Bundesstaat fortzuschreiten, kann nur ein Ver¬
trag zwischen den Regierungen sein. Der rechtliche Weg, die Regierungen zu
einem solchen Entschluß zu veranlassen, geht nur durch die Kammern der ein¬
zelnen Staaten. ' Wenn in sämmtlichen deutschen Kammern die Majorität
darüber einig ist, den engeren Bundesstaat zu wolle", so ist er damit zwar
"och nicht fertig, denn es fehlt noch die Zustimmung der Regierungen; aber
dazu ist dann wenigstens der Weg gebahnt, namentlich wenn Oestreich offen
und entschieden jeden Widerstand aufgibt.

Dies wäre der legale Weg zur Constituirung Deutschlands; auf den il¬
legaler zu blicken, den vielleicht einmal der Ausgang rechtfertigen mag, den
aber zu wollen und vorzubereiten, ein namenloses Verbrechen wäre, haben



") Man vergleiche auch: "Der Grundsajz der Nationalität und da>? europäische Stantcn-
snficnr," Berlin, Springer.

den Punkte wiederherzustellen, wird Preußen durch eine heilige Ehrenschuld
getrieben.

Offener Bruch mit der Reaction! — Dieselbe Forderung ist noch nach
einer andern Seite hin zu erheben, wo sie freilich schwerer zu formuliren sein
mochte, — Eine neue Broschüre: „Die Erstrebung einer maritimen Stellung
Deutschlands auf der Basis des Zollvereins" (Berlin, G. Reimer), enthält
einige wohlgemeinte Vorschläge, deren Basis aber Sand ist, da der Zollverein
seiner Auflösung entgegengeht. — Eine Reform des Zollvereins, so daß eine
einheitliche, fortschreitende Handelspolitik, eine wirkliche Bewegung möglich wird,
ist Preußens nächste Lebensfrage. — Daß der Zollverein seiner Auflösung ent¬
gegengeht, daran ist einzig und allein Oestreich schuld. Hat es den guten
Willen, diese Schuld wieder gut zu machen? hat es noch den Einsuß und die
Macht, diesem guten Willen Geltung zu verschaffen? — Es wird sich zeigen;
bevor aber das nicht geschehen ist, kann Preußen nicht daran denken, sich in
irgend einer Weise an der bedrohten Zukunft des Kaiserstaats zu bethätigen.

Noch ist eine Frage übrig/") die wir nicht umgehen können, weil Hr. v.
Bennigsen sie berührt, und weil sie bei allen bisherigen Bemühungen der
Fortschrittspartei in den Bordergrund gestellt ist: die Frage nach einem dent-
schen Parlament. — Hr. v. Bennigsen stellt es so dar, als ob das deutsche
Parlament der Constituirung eines deutschen Bundesstaats vorausgehen, als
ob der letztere sich gewissermaßen daraus entwickeln sollte. — Wir halten diesen
Weg nicht für den richtigen. Ein Parlament ist nnr denkbar in einem schon
bestehenden politischen Organismus, einer schon bestehenden Regierung gegen¬
über; die Geschichte des Jahres 1848 ist dafür ein hinreichender Beweis. —
Die Nechtsbasis, mit den thatsächlichen Zuständen vollkommen übereinstimmend,
ist in Deuschland die souveränes sämmtlicher Fürsten, so weit sie nicht durch
die Bundesverfassung und durch die Thatsachen beschränkt ist. Der rechtliche
Weg, vom Staatenbund zum Bundesstaat fortzuschreiten, kann nur ein Ver¬
trag zwischen den Regierungen sein. Der rechtliche Weg, die Regierungen zu
einem solchen Entschluß zu veranlassen, geht nur durch die Kammern der ein¬
zelnen Staaten. ' Wenn in sämmtlichen deutschen Kammern die Majorität
darüber einig ist, den engeren Bundesstaat zu wolle», so ist er damit zwar
»och nicht fertig, denn es fehlt noch die Zustimmung der Regierungen; aber
dazu ist dann wenigstens der Weg gebahnt, namentlich wenn Oestreich offen
und entschieden jeden Widerstand aufgibt.

Dies wäre der legale Weg zur Constituirung Deutschlands; auf den il¬
legaler zu blicken, den vielleicht einmal der Ausgang rechtfertigen mag, den
aber zu wollen und vorzubereiten, ein namenloses Verbrechen wäre, haben



") Man vergleiche auch: „Der Grundsajz der Nationalität und da>? europäische Stantcn-
snficnr," Berlin, Springer.
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[0217] den Punkte wiederherzustellen, wird Preußen durch eine heilige Ehrenschuld getrieben. Offener Bruch mit der Reaction! — Dieselbe Forderung ist noch nach einer andern Seite hin zu erheben, wo sie freilich schwerer zu formuliren sein mochte, — Eine neue Broschüre: „Die Erstrebung einer maritimen Stellung Deutschlands auf der Basis des Zollvereins" (Berlin, G. Reimer), enthält einige wohlgemeinte Vorschläge, deren Basis aber Sand ist, da der Zollverein seiner Auflösung entgegengeht. — Eine Reform des Zollvereins, so daß eine einheitliche, fortschreitende Handelspolitik, eine wirkliche Bewegung möglich wird, ist Preußens nächste Lebensfrage. — Daß der Zollverein seiner Auflösung ent¬ gegengeht, daran ist einzig und allein Oestreich schuld. Hat es den guten Willen, diese Schuld wieder gut zu machen? hat es noch den Einsuß und die Macht, diesem guten Willen Geltung zu verschaffen? — Es wird sich zeigen; bevor aber das nicht geschehen ist, kann Preußen nicht daran denken, sich in irgend einer Weise an der bedrohten Zukunft des Kaiserstaats zu bethätigen. Noch ist eine Frage übrig/") die wir nicht umgehen können, weil Hr. v. Bennigsen sie berührt, und weil sie bei allen bisherigen Bemühungen der Fortschrittspartei in den Bordergrund gestellt ist: die Frage nach einem dent- schen Parlament. — Hr. v. Bennigsen stellt es so dar, als ob das deutsche Parlament der Constituirung eines deutschen Bundesstaats vorausgehen, als ob der letztere sich gewissermaßen daraus entwickeln sollte. — Wir halten diesen Weg nicht für den richtigen. Ein Parlament ist nnr denkbar in einem schon bestehenden politischen Organismus, einer schon bestehenden Regierung gegen¬ über; die Geschichte des Jahres 1848 ist dafür ein hinreichender Beweis. — Die Nechtsbasis, mit den thatsächlichen Zuständen vollkommen übereinstimmend, ist in Deuschland die souveränes sämmtlicher Fürsten, so weit sie nicht durch die Bundesverfassung und durch die Thatsachen beschränkt ist. Der rechtliche Weg, vom Staatenbund zum Bundesstaat fortzuschreiten, kann nur ein Ver¬ trag zwischen den Regierungen sein. Der rechtliche Weg, die Regierungen zu einem solchen Entschluß zu veranlassen, geht nur durch die Kammern der ein¬ zelnen Staaten. ' Wenn in sämmtlichen deutschen Kammern die Majorität darüber einig ist, den engeren Bundesstaat zu wolle», so ist er damit zwar »och nicht fertig, denn es fehlt noch die Zustimmung der Regierungen; aber dazu ist dann wenigstens der Weg gebahnt, namentlich wenn Oestreich offen und entschieden jeden Widerstand aufgibt. Dies wäre der legale Weg zur Constituirung Deutschlands; auf den il¬ legaler zu blicken, den vielleicht einmal der Ausgang rechtfertigen mag, den aber zu wollen und vorzubereiten, ein namenloses Verbrechen wäre, haben ") Man vergleiche auch: „Der Grundsajz der Nationalität und da>? europäische Stantcn- snficnr," Berlin, Springer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/217>, abgerufen am 14.05.2024.