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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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und erbitterte Feindschaft zwischen Piemont und Oestreich, so dürfe vollends
nicht daran gedacht werden, beide in denselben Bund hineinzubringen. Die¬
sen Ansichten schloß man sich auch in Mittelitnlien an. außerdem fiel überall
die schwierige militärische Stellung Italiens gegen Oestreich in die Augen,
wenn letzteres mit Venetien auch die beiden Minciofestungen Peschiera und
Mantua, überhaupt die ganze Festungsgruppc an Mincio und Etsch behielt,
gegenüber dem ganz offenen Lande des nunmehrigen subalpmischen Königreichs
und den inittclitalienischen Staaten, mochten letztere ihre Unnbbüngigkeit be-
halten oder mochten auch sie zu dem subalpmischen Königreich geschlagen
werden, wie es ihr Wunsch war. Als Radikalmittel der Heilung ward in
Italien der Loskauf Venetiens von Oestreich dargestellt und vielfach empfohlen.
Angenommen, Oestreich wollte überhaupt Venetien "verkaufen", so würde es
dafür unbedenklich eine sehr bedeutende Summe verlangen und nach den Geld¬
opfern, welche bisher die Italiener gebracht hatten, zu urtheilen, würde.es
ziemlich schwer gehalten haben, diese Summe zu beschaffen. Aber wollte, will
Oestreich überhaupt Venetien verkaufen? Um dies anzunehmen, müßte man
glauben, daß es für alle Zeiten darauf verzichtet habe, heulen Einfluß und seinen
Besitzstand in Italien wieder aus den alten Fuß herzustellen. Zu dem Glau¬
ben an eine so vollständige Verzichtleistung Oestreichs können mindestens wir
uns nicht aufschwingen. Also Oestreich will Venetien nicht verkaufen. Der
Meinung waren nun im Grunde auch die Italiener; aber sie meinten, daß
der Kongreß, welchen sie mit Napoleon dem Dritten wünschten, welchen Oest¬
reich ursprünglich nicht 1)aben wollte, durch einen Beschluß Oestreich zur Ab¬
tretung Venetiens gegen Entschädigung zwingen könne und werde. Auch diese
Meinung steht auf äußerst schwachen Füßen. Der Congreß wird, wofern er
überhaupt zu Staude kommt, ein Fürstencongreß, und es müssen daher die
dynastischen Interessen überwiegend bestimmen. Für diese wäre es nun wol
ein ganz eigner Präcedenzfall, wenn man beschließen wollte, ein Staat sollte
ein Stück Gebiet, welches ihm gar nicht mit den Waffen in der Hand ab¬
genommen ist, an einen andern Staat abtreten, wenn auch gegen eine Ent¬
schädigung. -- Alle von früheren Kongressen hergenommenen Beweise reichen
durchaus nicht zu und stehen auf einem ganz andern Boden. Auf keinen Fall
wird ein einstimmiger Beschluß der Mächte in solchem Sinne zu Stande
kommen, und Oestreich könnte es dann wol darauf wagen, mit den Waffen
in der Hand sich der Ausführung zu widersetzen und noch einmal diese ent¬
scheiden zu lassen. Eine geringere Forderung, falls Italien nicht das ganze
Venetien haben könne, war dann die, daß wenigstens Peschiera und Mantua,
welche doch immer zur Lombardei gehört hatten, an Piemont mitabgetreten
würden, sodaß Festungslinie gegen Festungslinie stände, und in dieser Bezieh¬
ung einigermaßen daß Gleichgewicht hergestellt würde. Es liegt auf der


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und erbitterte Feindschaft zwischen Piemont und Oestreich, so dürfe vollends
nicht daran gedacht werden, beide in denselben Bund hineinzubringen. Die¬
sen Ansichten schloß man sich auch in Mittelitnlien an. außerdem fiel überall
die schwierige militärische Stellung Italiens gegen Oestreich in die Augen,
wenn letzteres mit Venetien auch die beiden Minciofestungen Peschiera und
Mantua, überhaupt die ganze Festungsgruppc an Mincio und Etsch behielt,
gegenüber dem ganz offenen Lande des nunmehrigen subalpmischen Königreichs
und den inittclitalienischen Staaten, mochten letztere ihre Unnbbüngigkeit be-
halten oder mochten auch sie zu dem subalpmischen Königreich geschlagen
werden, wie es ihr Wunsch war. Als Radikalmittel der Heilung ward in
Italien der Loskauf Venetiens von Oestreich dargestellt und vielfach empfohlen.
Angenommen, Oestreich wollte überhaupt Venetien „verkaufen", so würde es
dafür unbedenklich eine sehr bedeutende Summe verlangen und nach den Geld¬
opfern, welche bisher die Italiener gebracht hatten, zu urtheilen, würde.es
ziemlich schwer gehalten haben, diese Summe zu beschaffen. Aber wollte, will
Oestreich überhaupt Venetien verkaufen? Um dies anzunehmen, müßte man
glauben, daß es für alle Zeiten darauf verzichtet habe, heulen Einfluß und seinen
Besitzstand in Italien wieder aus den alten Fuß herzustellen. Zu dem Glau¬
ben an eine so vollständige Verzichtleistung Oestreichs können mindestens wir
uns nicht aufschwingen. Also Oestreich will Venetien nicht verkaufen. Der
Meinung waren nun im Grunde auch die Italiener; aber sie meinten, daß
der Kongreß, welchen sie mit Napoleon dem Dritten wünschten, welchen Oest¬
reich ursprünglich nicht 1)aben wollte, durch einen Beschluß Oestreich zur Ab¬
tretung Venetiens gegen Entschädigung zwingen könne und werde. Auch diese
Meinung steht auf äußerst schwachen Füßen. Der Congreß wird, wofern er
überhaupt zu Staude kommt, ein Fürstencongreß, und es müssen daher die
dynastischen Interessen überwiegend bestimmen. Für diese wäre es nun wol
ein ganz eigner Präcedenzfall, wenn man beschließen wollte, ein Staat sollte
ein Stück Gebiet, welches ihm gar nicht mit den Waffen in der Hand ab¬
genommen ist, an einen andern Staat abtreten, wenn auch gegen eine Ent¬
schädigung. — Alle von früheren Kongressen hergenommenen Beweise reichen
durchaus nicht zu und stehen auf einem ganz andern Boden. Auf keinen Fall
wird ein einstimmiger Beschluß der Mächte in solchem Sinne zu Stande
kommen, und Oestreich könnte es dann wol darauf wagen, mit den Waffen
in der Hand sich der Ausführung zu widersetzen und noch einmal diese ent¬
scheiden zu lassen. Eine geringere Forderung, falls Italien nicht das ganze
Venetien haben könne, war dann die, daß wenigstens Peschiera und Mantua,
welche doch immer zur Lombardei gehört hatten, an Piemont mitabgetreten
würden, sodaß Festungslinie gegen Festungslinie stände, und in dieser Bezieh¬
ung einigermaßen daß Gleichgewicht hergestellt würde. Es liegt auf der


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[0237] und erbitterte Feindschaft zwischen Piemont und Oestreich, so dürfe vollends nicht daran gedacht werden, beide in denselben Bund hineinzubringen. Die¬ sen Ansichten schloß man sich auch in Mittelitnlien an. außerdem fiel überall die schwierige militärische Stellung Italiens gegen Oestreich in die Augen, wenn letzteres mit Venetien auch die beiden Minciofestungen Peschiera und Mantua, überhaupt die ganze Festungsgruppc an Mincio und Etsch behielt, gegenüber dem ganz offenen Lande des nunmehrigen subalpmischen Königreichs und den inittclitalienischen Staaten, mochten letztere ihre Unnbbüngigkeit be- halten oder mochten auch sie zu dem subalpmischen Königreich geschlagen werden, wie es ihr Wunsch war. Als Radikalmittel der Heilung ward in Italien der Loskauf Venetiens von Oestreich dargestellt und vielfach empfohlen. Angenommen, Oestreich wollte überhaupt Venetien „verkaufen", so würde es dafür unbedenklich eine sehr bedeutende Summe verlangen und nach den Geld¬ opfern, welche bisher die Italiener gebracht hatten, zu urtheilen, würde.es ziemlich schwer gehalten haben, diese Summe zu beschaffen. Aber wollte, will Oestreich überhaupt Venetien verkaufen? Um dies anzunehmen, müßte man glauben, daß es für alle Zeiten darauf verzichtet habe, heulen Einfluß und seinen Besitzstand in Italien wieder aus den alten Fuß herzustellen. Zu dem Glau¬ ben an eine so vollständige Verzichtleistung Oestreichs können mindestens wir uns nicht aufschwingen. Also Oestreich will Venetien nicht verkaufen. Der Meinung waren nun im Grunde auch die Italiener; aber sie meinten, daß der Kongreß, welchen sie mit Napoleon dem Dritten wünschten, welchen Oest¬ reich ursprünglich nicht 1)aben wollte, durch einen Beschluß Oestreich zur Ab¬ tretung Venetiens gegen Entschädigung zwingen könne und werde. Auch diese Meinung steht auf äußerst schwachen Füßen. Der Congreß wird, wofern er überhaupt zu Staude kommt, ein Fürstencongreß, und es müssen daher die dynastischen Interessen überwiegend bestimmen. Für diese wäre es nun wol ein ganz eigner Präcedenzfall, wenn man beschließen wollte, ein Staat sollte ein Stück Gebiet, welches ihm gar nicht mit den Waffen in der Hand ab¬ genommen ist, an einen andern Staat abtreten, wenn auch gegen eine Ent¬ schädigung. — Alle von früheren Kongressen hergenommenen Beweise reichen durchaus nicht zu und stehen auf einem ganz andern Boden. Auf keinen Fall wird ein einstimmiger Beschluß der Mächte in solchem Sinne zu Stande kommen, und Oestreich könnte es dann wol darauf wagen, mit den Waffen in der Hand sich der Ausführung zu widersetzen und noch einmal diese ent¬ scheiden zu lassen. Eine geringere Forderung, falls Italien nicht das ganze Venetien haben könne, war dann die, daß wenigstens Peschiera und Mantua, welche doch immer zur Lombardei gehört hatten, an Piemont mitabgetreten würden, sodaß Festungslinie gegen Festungslinie stände, und in dieser Bezieh¬ ung einigermaßen daß Gleichgewicht hergestellt würde. Es liegt auf der Grenzboten I. IL60. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/237>, abgerufen am 14.05.2024.