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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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ten Willen der preußischen Regierung, so vortrefflich als möglich zu sein, zweifelt
in ganz Deutschland Niemand, ivvhl aber an ihrer Kraft, Das deutsche Volk
würde gern etwas Liberalismus weniger hinnehme", wenn es dafür etwas mehr
Energie sahe. Der Mangel an Kraft liegt aber hauptsächlich darin, daß bis seht
noch verschiedene Potenzen des Staatslebens sich die Waage zu halten scheinen, so
daß mau nicht weiß, welche die maaßgebende ist. Dem Ministerium steht die Vü-
rcaukratie und das Junkcrthnm gegenüber, und der Opposition dieser beiden Fac-
toren werden sich allmälig alle prcußcuftindlichc Elemente anschließen, der Ultramon¬
tanismus, das Polcuthum rü s. w. Wer von beiden ist nun der Stärkere? --
Das Ministerin"! hat die beste Gelegenheit, das zu zeigen.

Alle Kräfte, die ihm entgegenstehen, concentriren sich im Herrenhaus, welches
zu einer Zeit zusammen gesetzt wurde, als der Haß gegen den Liberalismus für
das Kennzeichen eines echten Preußen galt. Daß ein solches Institut gegen ein
liberales Ministerium Opposition macht, daß es alle seine Gesetze zurückweist, ist
sehr natürlich. Unter den Gesetzen, welche dem Landtag jetzt vorliegen, sind einige,
die nicht blos wünschenswerth, nicht blos praktisch nothwendig sind, sondern deren
Vorenthaltung ein offener Rechtsbruch war; dahin rechnen wir besonders die Fest¬
stellung der Wahlbezirke durch ein Gesetz. Was wird das Ministerium thun, wenn
das Hcrrnhaus diesen Gesetzentwurf zurückweist? Da das Hcrrnhaus kein Wahl¬
körper ist, so gibt es nur ein verfassungsmäßiges Mittel, seinen Widerstand zu bre¬
chen, einen Pairsschub. I" England ist das Mittel zuweilen angewandt worden;
in Preußen liegt es um so näher, da ein nicht kleiner Theil der jetzigen Pairs ihre
Stellung lediglich dem Haß gegen den Liberalismus verdankt. Ist diese Maaßregel
nicht durchzusetzen, so sollte sich das Ministerium sehr ernstlich die Frage vorlegen,
ob in der Lage, in der sich Preußen befindet, Einheit der Regierung nicht ein Bedürf¬
niß ist, dem gegenüber alle andern Rücksichten schweigen müssen? Wir legen die
Frage nur vor, ohne sie entscheiden zu wollen, weil bei der Antwort noch manche
Umstände in Rechnung kommen, die uns nicht bekannt sind. --

Wir können aber diese Betrachtungen nicht schließen, ohne einen Scheideblick
dem Manne nachzuwerfen, dessen Lieder noch heute am lautesten vom deutschen Ruhm
und deutscher Große sprechen -- E. M. Arndt. 9et Jahre alt, noch mit der Lebens¬
kraft eines Jünglings ausgestattet, in den letzten Augenblicken seines Lebens von
ganz Deutschland mit innigem, herzlichem Zuruf begrüßt -- dann ein schneller
Tod! Wer wollte nicht dies Loos beneiden! -- Ob er auch darin zu beneiden
war, oder zu beklage", daß er die nächste Zeit nicht erlebte -- das liegt noch in
5 1' der Dämmerung.




,
Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Ve>c>ntwl.'etlicher Redacteur: Morijz Busch -- Ver!ng von F. V. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

ten Willen der preußischen Regierung, so vortrefflich als möglich zu sein, zweifelt
in ganz Deutschland Niemand, ivvhl aber an ihrer Kraft, Das deutsche Volk
würde gern etwas Liberalismus weniger hinnehme», wenn es dafür etwas mehr
Energie sahe. Der Mangel an Kraft liegt aber hauptsächlich darin, daß bis seht
noch verschiedene Potenzen des Staatslebens sich die Waage zu halten scheinen, so
daß mau nicht weiß, welche die maaßgebende ist. Dem Ministerium steht die Vü-
rcaukratie und das Junkcrthnm gegenüber, und der Opposition dieser beiden Fac-
toren werden sich allmälig alle prcußcuftindlichc Elemente anschließen, der Ultramon¬
tanismus, das Polcuthum rü s. w. Wer von beiden ist nun der Stärkere? —
Das Ministerin»! hat die beste Gelegenheit, das zu zeigen.

Alle Kräfte, die ihm entgegenstehen, concentriren sich im Herrenhaus, welches
zu einer Zeit zusammen gesetzt wurde, als der Haß gegen den Liberalismus für
das Kennzeichen eines echten Preußen galt. Daß ein solches Institut gegen ein
liberales Ministerium Opposition macht, daß es alle seine Gesetze zurückweist, ist
sehr natürlich. Unter den Gesetzen, welche dem Landtag jetzt vorliegen, sind einige,
die nicht blos wünschenswerth, nicht blos praktisch nothwendig sind, sondern deren
Vorenthaltung ein offener Rechtsbruch war; dahin rechnen wir besonders die Fest¬
stellung der Wahlbezirke durch ein Gesetz. Was wird das Ministerium thun, wenn
das Hcrrnhaus diesen Gesetzentwurf zurückweist? Da das Hcrrnhaus kein Wahl¬
körper ist, so gibt es nur ein verfassungsmäßiges Mittel, seinen Widerstand zu bre¬
chen, einen Pairsschub. I» England ist das Mittel zuweilen angewandt worden;
in Preußen liegt es um so näher, da ein nicht kleiner Theil der jetzigen Pairs ihre
Stellung lediglich dem Haß gegen den Liberalismus verdankt. Ist diese Maaßregel
nicht durchzusetzen, so sollte sich das Ministerium sehr ernstlich die Frage vorlegen,
ob in der Lage, in der sich Preußen befindet, Einheit der Regierung nicht ein Bedürf¬
niß ist, dem gegenüber alle andern Rücksichten schweigen müssen? Wir legen die
Frage nur vor, ohne sie entscheiden zu wollen, weil bei der Antwort noch manche
Umstände in Rechnung kommen, die uns nicht bekannt sind. —

Wir können aber diese Betrachtungen nicht schließen, ohne einen Scheideblick
dem Manne nachzuwerfen, dessen Lieder noch heute am lautesten vom deutschen Ruhm
und deutscher Große sprechen — E. M. Arndt. 9et Jahre alt, noch mit der Lebens¬
kraft eines Jünglings ausgestattet, in den letzten Augenblicken seines Lebens von
ganz Deutschland mit innigem, herzlichem Zuruf begrüßt — dann ein schneller
Tod! Wer wollte nicht dies Loos beneiden! — Ob er auch darin zu beneiden
war, oder zu beklage», daß er die nächste Zeit nicht erlebte — das liegt noch in
5 1' der Dämmerung.




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Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Ve>c>ntwl.'etlicher Redacteur: Morijz Busch — Ver!ng von F. V. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/292>, abgerufen am 15.05.2024.