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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Hauptsymbolcn bekennen. Damit wäre ein Mittel gewonnen, alle irgendwie von
der alten Orthodoxie abweichenden oder nicht fügsamen Gemeinden mit Verlust der
kirchlichen Güter und Rechte aus der Landeskirche herauszutreiben. -- Folgerichtig
war das Bestreben des Obcrkirchenraths gegen die Union gerichtet, man war eifrig
bemüht, von jeder Gemeinde zu erforschen, welchem Bekenntniß sie vor der Union
angehört hatte und ihr dies alte Bekenntniß wieder aufzudrängen. Wie es nebenbei
mit den Universitäten, Gymnasien und Schulen gehalten wurde, ist leider nur zu
bekannt.

Zur Abstellung dieser Schäden schlägt die Denkschrift die Einberufung einer
Generals" note und die Durchführung des betreffenden Paragraphen der Verfassung
vor. Dies Mittel lehnt die Antwort des Prinz-Regenten ab, verheißt dagegen wei¬
tere Anregung im Betreff der Gemeinde-Verfassung und der auf dieselbe ;u grün¬
denden Kreissynoden, so wie Aufrechthaltung der Union.

Was uns betrifft, so können wir uns von der Einberufung einer General-
synode, d. h, einer constituirenden Versammlung, nicht ganz die Vortheile verspre¬
chen, welche die Denkschrift in Aussicht stellt. Wir behalten uns vor, auf diesen
Punkt zurückzukommen. Vorläufig scheint uns am dringendsten geboten zu sein,
daß man den alten Zustand, wie er vor der Einsetzung des Obcrkirchenraths war,
wieder herstelle. Gleichviel ob man die Freiheit der Kirche für wünschenswert!) und
für ausführbar hält, vorläufig muß constatirt werden, daß sie noch nicht besteht: daß
die Abtheilung für geistliche Angelegenheiten oder der Oberkirchenrath nicht eine
kirchliche, sondern eine Staatsbehörde ist. Wollte man einwenden, daß dieser Unter¬
schied nicht viel sagen will, so wäre das ein großer Irrthum: denn eine Staatsge¬
walt kann nur so weit in die Functionen der Kirchenpatrone, der Gemeinden und
Geistlichen eingreifen, als sie sich aus ein Staatsgesetz stützt; es kann ihr nicht ein¬
fallen, organische Statute über die Kirchenverfassung zu erlassen, oder gar im Ton
einer päpstlichen Bannbulle ihre Ansichten über andere Religionsgesellschaften auszu-
sprechen. Sodann muß in Bezug auf die streitigen Gebiete der Staat seinen Ge¬
setzen Nachdruck verschaffen und den Widerstand der Kirche brechen. Diese beiden
Punkte sind das Eherecht und die Volkserziehung. Civilehe'und ein von den Fac-
toren der Gesetzgebung sanctionirtes Schulgesetz, dann werden zunächst wir frei sein
und Muße haben, zu überlegen, in welcher Gestalt man auch die Kirche befreien
könne: bis dahin hieße Freiheit der Kirche nichts anderes, als Unterwerfung
des Einzelnen und des Staats unter die Kirche.

Mit Worten bezahlt man nicht: -- als Mitglied einer freien Kirche, d.- h.
einer Kirche, welche die Freiheit hat, mich allenfalls zu braten, bin ich weniger frei,
als das Mitglied einer unfreien Kirche, d. h. einer Kirche, der diese Freiheit fehlt
.
f 5 Auch in politischen Dingen ist mitunter die Grammatik nicht zu entbehren.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlicher Redacteur: Moritz Busch -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Hauptsymbolcn bekennen. Damit wäre ein Mittel gewonnen, alle irgendwie von
der alten Orthodoxie abweichenden oder nicht fügsamen Gemeinden mit Verlust der
kirchlichen Güter und Rechte aus der Landeskirche herauszutreiben. — Folgerichtig
war das Bestreben des Obcrkirchenraths gegen die Union gerichtet, man war eifrig
bemüht, von jeder Gemeinde zu erforschen, welchem Bekenntniß sie vor der Union
angehört hatte und ihr dies alte Bekenntniß wieder aufzudrängen. Wie es nebenbei
mit den Universitäten, Gymnasien und Schulen gehalten wurde, ist leider nur zu
bekannt.

Zur Abstellung dieser Schäden schlägt die Denkschrift die Einberufung einer
Generals» note und die Durchführung des betreffenden Paragraphen der Verfassung
vor. Dies Mittel lehnt die Antwort des Prinz-Regenten ab, verheißt dagegen wei¬
tere Anregung im Betreff der Gemeinde-Verfassung und der auf dieselbe ;u grün¬
denden Kreissynoden, so wie Aufrechthaltung der Union.

Was uns betrifft, so können wir uns von der Einberufung einer General-
synode, d. h, einer constituirenden Versammlung, nicht ganz die Vortheile verspre¬
chen, welche die Denkschrift in Aussicht stellt. Wir behalten uns vor, auf diesen
Punkt zurückzukommen. Vorläufig scheint uns am dringendsten geboten zu sein,
daß man den alten Zustand, wie er vor der Einsetzung des Obcrkirchenraths war,
wieder herstelle. Gleichviel ob man die Freiheit der Kirche für wünschenswert!) und
für ausführbar hält, vorläufig muß constatirt werden, daß sie noch nicht besteht: daß
die Abtheilung für geistliche Angelegenheiten oder der Oberkirchenrath nicht eine
kirchliche, sondern eine Staatsbehörde ist. Wollte man einwenden, daß dieser Unter¬
schied nicht viel sagen will, so wäre das ein großer Irrthum: denn eine Staatsge¬
walt kann nur so weit in die Functionen der Kirchenpatrone, der Gemeinden und
Geistlichen eingreifen, als sie sich aus ein Staatsgesetz stützt; es kann ihr nicht ein¬
fallen, organische Statute über die Kirchenverfassung zu erlassen, oder gar im Ton
einer päpstlichen Bannbulle ihre Ansichten über andere Religionsgesellschaften auszu-
sprechen. Sodann muß in Bezug auf die streitigen Gebiete der Staat seinen Ge¬
setzen Nachdruck verschaffen und den Widerstand der Kirche brechen. Diese beiden
Punkte sind das Eherecht und die Volkserziehung. Civilehe'und ein von den Fac-
toren der Gesetzgebung sanctionirtes Schulgesetz, dann werden zunächst wir frei sein
und Muße haben, zu überlegen, in welcher Gestalt man auch die Kirche befreien
könne: bis dahin hieße Freiheit der Kirche nichts anderes, als Unterwerfung
des Einzelnen und des Staats unter die Kirche.

Mit Worten bezahlt man nicht: — als Mitglied einer freien Kirche, d.- h.
einer Kirche, welche die Freiheit hat, mich allenfalls zu braten, bin ich weniger frei,
als das Mitglied einer unfreien Kirche, d. h. einer Kirche, der diese Freiheit fehlt
.
f 5 Auch in politischen Dingen ist mitunter die Grammatik nicht zu entbehren.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlicher Redacteur: Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/332>, abgerufen am 15.05.2024.