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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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dominirenden Einfluß besitzt, wo der Monarch den erhabenen Beruf der Sorge
für das Ganze vergißt und zum Organ einer Gesellschaftsclasse herabsteigt, da
ist göttliche Ordnung, da ist das gesalbte Königthum. Dieser Konservatismus
vergöttert das historische Recht, weil er für seine eignen Ansprüche ein ratio¬
nelles nicht auffinden kann. Er eifert für das willkürlich Festgesetzte, weil
seine eigne Stellung nur auf der Convention beruht. Er will nicht, dnß in
der Politik dem nationalen, dem sittlichen Bedürfniß der Völker Rechnung
getragen werde, weil bei dem lebendigen Aufblühen aller Kräfte der Nation
das dürre Reis seiner exclusiver Rechte nothwendig abgestoßen wird."

Während die feudale Partei aus egoistischen Interessen Deutschland zur
Theilnahme am italienischen Krieg zu bestimmen suchte, ließ sich ein Theil
der wirklich Liberalen durch- unklare Gefühle bestimmen. Die Herrschaft Oest¬
reichs in Italien wurde als eine Herrschaft Deutschlands in Italien dargestellt
und der deutschen Nation die Pflicht aufgelegt, für den Angriff des Fremden
sich eine "Satisfaction" zu verschaffen. D/r Verfasser sagt darüber ganz rich¬
tig: "man contrahirt doch keine Weltkriege wie der Student ein Duell, bloß
um eine Satisfaction zu erlangen! . . . Das eben ist die Romantik des gro߬
deutschen Patriotismus, daher sich hinopfern möchte für eine Macht, die mit
denselben Principien, um derenwillen sie in den italienischen Krieg zog, un¬
sere deutsche Entwickelung hemmt und befeindet; daß er aus schwärmerischem
Eifer für eine rein fingirte nationale Solidarität zwischen uns und dem
Kaiserstaat sich der engern Verbindung der Staaten entgegenstemmt, die wirk¬
lich deutsche niemals unter sich collidirende Interessen haben; die aber gegen¬
wärtig stets in Gefahr sind, für undeutsche und fremdartige Zwecke in An¬
spruch genommen zu werden."

Die Aufgabe Preußens war, der Sache dadurch eine nationale Wendung
zu geben, daß es den Beistand, den es Oestreich leisten Wollte, von Zuge¬
ständnissen abhängig machte, und bis es diese erlangt, in rein defensiver
Stellung verharrte. Lange Zeit hindurch verfolgte Preußen auch wirklich
diese Politik, aber zuletzt ließ es sich durch die allgemeine Stimmung fort¬
reißen und machte sechs Armeekorps mobil, bevor es jene Zugeständnisse er¬
langt. Oestreich glaubte sehr geschickt zu handeln, als es nun, da Preußen
einmal unwiderruflich engagirt war, sogar das wieder zurücknahm, was es
bereits wirklich zugegeben hatte, und vielleicht wäre es ihm in der That ge¬
lungen, Preußen ohne alle Bedingungen in den Kampf zu ziehen, wenn es
nicht mittlerweile einen andern Einfall gehabt Hütte, nämlich den Einfall,
plötzlich Frieden zu schließen. Was diesen Einfall herbeiführte, ist auch durch
das Blaubuch nicht erklärt worden. Wo so verschiedenartige Motive durch¬
einander wogen, gibt zuweilen ein bloßer Zufall die-Entscheidung.

Allgemein im Volk war das Gefühl rege geworden, daß ohne eine festere


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dominirenden Einfluß besitzt, wo der Monarch den erhabenen Beruf der Sorge
für das Ganze vergißt und zum Organ einer Gesellschaftsclasse herabsteigt, da
ist göttliche Ordnung, da ist das gesalbte Königthum. Dieser Konservatismus
vergöttert das historische Recht, weil er für seine eignen Ansprüche ein ratio¬
nelles nicht auffinden kann. Er eifert für das willkürlich Festgesetzte, weil
seine eigne Stellung nur auf der Convention beruht. Er will nicht, dnß in
der Politik dem nationalen, dem sittlichen Bedürfniß der Völker Rechnung
getragen werde, weil bei dem lebendigen Aufblühen aller Kräfte der Nation
das dürre Reis seiner exclusiver Rechte nothwendig abgestoßen wird."

Während die feudale Partei aus egoistischen Interessen Deutschland zur
Theilnahme am italienischen Krieg zu bestimmen suchte, ließ sich ein Theil
der wirklich Liberalen durch- unklare Gefühle bestimmen. Die Herrschaft Oest¬
reichs in Italien wurde als eine Herrschaft Deutschlands in Italien dargestellt
und der deutschen Nation die Pflicht aufgelegt, für den Angriff des Fremden
sich eine „Satisfaction" zu verschaffen. D/r Verfasser sagt darüber ganz rich¬
tig: „man contrahirt doch keine Weltkriege wie der Student ein Duell, bloß
um eine Satisfaction zu erlangen! . . . Das eben ist die Romantik des gro߬
deutschen Patriotismus, daher sich hinopfern möchte für eine Macht, die mit
denselben Principien, um derenwillen sie in den italienischen Krieg zog, un¬
sere deutsche Entwickelung hemmt und befeindet; daß er aus schwärmerischem
Eifer für eine rein fingirte nationale Solidarität zwischen uns und dem
Kaiserstaat sich der engern Verbindung der Staaten entgegenstemmt, die wirk¬
lich deutsche niemals unter sich collidirende Interessen haben; die aber gegen¬
wärtig stets in Gefahr sind, für undeutsche und fremdartige Zwecke in An¬
spruch genommen zu werden."

Die Aufgabe Preußens war, der Sache dadurch eine nationale Wendung
zu geben, daß es den Beistand, den es Oestreich leisten Wollte, von Zuge¬
ständnissen abhängig machte, und bis es diese erlangt, in rein defensiver
Stellung verharrte. Lange Zeit hindurch verfolgte Preußen auch wirklich
diese Politik, aber zuletzt ließ es sich durch die allgemeine Stimmung fort¬
reißen und machte sechs Armeekorps mobil, bevor es jene Zugeständnisse er¬
langt. Oestreich glaubte sehr geschickt zu handeln, als es nun, da Preußen
einmal unwiderruflich engagirt war, sogar das wieder zurücknahm, was es
bereits wirklich zugegeben hatte, und vielleicht wäre es ihm in der That ge¬
lungen, Preußen ohne alle Bedingungen in den Kampf zu ziehen, wenn es
nicht mittlerweile einen andern Einfall gehabt Hütte, nämlich den Einfall,
plötzlich Frieden zu schließen. Was diesen Einfall herbeiführte, ist auch durch
das Blaubuch nicht erklärt worden. Wo so verschiedenartige Motive durch¬
einander wogen, gibt zuweilen ein bloßer Zufall die-Entscheidung.

Allgemein im Volk war das Gefühl rege geworden, daß ohne eine festere


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[0375] dominirenden Einfluß besitzt, wo der Monarch den erhabenen Beruf der Sorge für das Ganze vergißt und zum Organ einer Gesellschaftsclasse herabsteigt, da ist göttliche Ordnung, da ist das gesalbte Königthum. Dieser Konservatismus vergöttert das historische Recht, weil er für seine eignen Ansprüche ein ratio¬ nelles nicht auffinden kann. Er eifert für das willkürlich Festgesetzte, weil seine eigne Stellung nur auf der Convention beruht. Er will nicht, dnß in der Politik dem nationalen, dem sittlichen Bedürfniß der Völker Rechnung getragen werde, weil bei dem lebendigen Aufblühen aller Kräfte der Nation das dürre Reis seiner exclusiver Rechte nothwendig abgestoßen wird." Während die feudale Partei aus egoistischen Interessen Deutschland zur Theilnahme am italienischen Krieg zu bestimmen suchte, ließ sich ein Theil der wirklich Liberalen durch- unklare Gefühle bestimmen. Die Herrschaft Oest¬ reichs in Italien wurde als eine Herrschaft Deutschlands in Italien dargestellt und der deutschen Nation die Pflicht aufgelegt, für den Angriff des Fremden sich eine „Satisfaction" zu verschaffen. D/r Verfasser sagt darüber ganz rich¬ tig: „man contrahirt doch keine Weltkriege wie der Student ein Duell, bloß um eine Satisfaction zu erlangen! . . . Das eben ist die Romantik des gro߬ deutschen Patriotismus, daher sich hinopfern möchte für eine Macht, die mit denselben Principien, um derenwillen sie in den italienischen Krieg zog, un¬ sere deutsche Entwickelung hemmt und befeindet; daß er aus schwärmerischem Eifer für eine rein fingirte nationale Solidarität zwischen uns und dem Kaiserstaat sich der engern Verbindung der Staaten entgegenstemmt, die wirk¬ lich deutsche niemals unter sich collidirende Interessen haben; die aber gegen¬ wärtig stets in Gefahr sind, für undeutsche und fremdartige Zwecke in An¬ spruch genommen zu werden." Die Aufgabe Preußens war, der Sache dadurch eine nationale Wendung zu geben, daß es den Beistand, den es Oestreich leisten Wollte, von Zuge¬ ständnissen abhängig machte, und bis es diese erlangt, in rein defensiver Stellung verharrte. Lange Zeit hindurch verfolgte Preußen auch wirklich diese Politik, aber zuletzt ließ es sich durch die allgemeine Stimmung fort¬ reißen und machte sechs Armeekorps mobil, bevor es jene Zugeständnisse er¬ langt. Oestreich glaubte sehr geschickt zu handeln, als es nun, da Preußen einmal unwiderruflich engagirt war, sogar das wieder zurücknahm, was es bereits wirklich zugegeben hatte, und vielleicht wäre es ihm in der That ge¬ lungen, Preußen ohne alle Bedingungen in den Kampf zu ziehen, wenn es nicht mittlerweile einen andern Einfall gehabt Hütte, nämlich den Einfall, plötzlich Frieden zu schließen. Was diesen Einfall herbeiführte, ist auch durch das Blaubuch nicht erklärt worden. Wo so verschiedenartige Motive durch¬ einander wogen, gibt zuweilen ein bloßer Zufall die-Entscheidung. Allgemein im Volk war das Gefühl rege geworden, daß ohne eine festere 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/375>, abgerufen am 05.06.2024.