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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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irgend welches Nationalgefühl gewesen, keine Spur von der Aufgabe des deut¬
schen Geistes in Amerika gehabt und nicht im Entferntesten daran hätten denken
können, daß ihre Nachkommen sich in hundert Jahren zu einer Feier vereinigen
würden, wie die, mit welcher an jenem Tage nicht blos die deutsche Bevölker¬
ung Neuyorks, sondern eine große Anzahl anderer, theilweise deutscher Städte
Amerikas bis in das ferne Kansas und bis nach Kalifornien hin dem Andenke"
unsres Nationaldichtcrs ihren Tribut zollten. Man stellte jenen Zuständen die
Thatsache gegenüber, daß die Deutschen jetzt in Amerika, auch wenn man nur
die dem nationalen Wesen treu gebliebenen rechnet, nach Millionen zählen,
daß sie nicht mehr ein Haufe zusammenhangsloser Atome, sondern ein Bolks-
element seien, welches sich einer Eigenart bewußt ist, und stolz darauf, dieselbe
mit mehr oder weniger Nachdruck geltend macht. Man freute sich dessen und
baute darauf die Hoffnung, daß man in abermals hundert Jahren noch Gün¬
stigeres zu berichten haben würde.

Wir können diese Hoffnung nicht ganz theilen. Gern wollen wir zu¬
gestehen, daß das deutsche Element in Amerika in den letzten zehn Jahren
durch eine stärkere Einwanderung von Gebildeten eine bessere Haltung gewon¬
nen, daß es hier und da entschiedener als je vorher sein Wesen gewahrt und
geltend zu machen versucht hat. Aber in der bei weitem überwiegenden Mehr¬
zahl leben solche Stimmungen und Bestrebungen unsrer Erfahrung nach nicht.
Diese Mehrzahl führt noch immer ein Leben, das im Wesentlichen eine Nach¬
ahmung des Amerikcmerthums ist und sich im Grunde von diesem nur dadurch
unterscheidet, daß man besser turnt und singt, weniger, in die Kirche geht und
mehr Lagerbier vertragen kann als der Nachbar Uankee. Das Bewußtsein
von der Mission der Deutschen in Amerika ist nur in verhältnißmäßig Wenigen
zum Durchbruch gekommen, und von diesen werden diejenigen zu zählen sein,
weiche auf verständige Weise dahin wirken, daß dieses Element zur Geltung
gelange. Man sehe sich die deutsch-amerikanische Presse an, man lese die rüpel¬
haften Ausfälle, in welchen die Führer derselben einander befehden, man
überblicke die Reden, die bei den Schillerfesten der verschiedenen Städte gehal¬
ten wurden, und von denen die in Neuorleans, wo ein Herr Maas es in der
Ordnung fand, Robert Blum mit Schiller und Luther zusammenzustellen, nicht
die abgeschmackteste war, man gehe in eins der deutschen Theater, in eine der
deutschen Buchhandlungen in den amerikanischen Hauptstädten, und man wird
von sehr erheblichen Bedenken beschlichen werden, ob es gestattet sei, jene Mis¬
sion zu betonen, ja ob dieselbe in der Ausdehnung, welche ihr einzelne Enthu¬
siasten geben möchten, überhaupt ezistire.

Die Ursachen davon, daß dem so ist, sind nicht schwer zu finden und zur
Genüge schon angegeben worden. Die deutschen Einwandrer sind mit wenigen
Ausnahmen Kaufleute, Handwerker und Bauern, und diese finden ihre Rech-


irgend welches Nationalgefühl gewesen, keine Spur von der Aufgabe des deut¬
schen Geistes in Amerika gehabt und nicht im Entferntesten daran hätten denken
können, daß ihre Nachkommen sich in hundert Jahren zu einer Feier vereinigen
würden, wie die, mit welcher an jenem Tage nicht blos die deutsche Bevölker¬
ung Neuyorks, sondern eine große Anzahl anderer, theilweise deutscher Städte
Amerikas bis in das ferne Kansas und bis nach Kalifornien hin dem Andenke»
unsres Nationaldichtcrs ihren Tribut zollten. Man stellte jenen Zuständen die
Thatsache gegenüber, daß die Deutschen jetzt in Amerika, auch wenn man nur
die dem nationalen Wesen treu gebliebenen rechnet, nach Millionen zählen,
daß sie nicht mehr ein Haufe zusammenhangsloser Atome, sondern ein Bolks-
element seien, welches sich einer Eigenart bewußt ist, und stolz darauf, dieselbe
mit mehr oder weniger Nachdruck geltend macht. Man freute sich dessen und
baute darauf die Hoffnung, daß man in abermals hundert Jahren noch Gün¬
stigeres zu berichten haben würde.

Wir können diese Hoffnung nicht ganz theilen. Gern wollen wir zu¬
gestehen, daß das deutsche Element in Amerika in den letzten zehn Jahren
durch eine stärkere Einwanderung von Gebildeten eine bessere Haltung gewon¬
nen, daß es hier und da entschiedener als je vorher sein Wesen gewahrt und
geltend zu machen versucht hat. Aber in der bei weitem überwiegenden Mehr¬
zahl leben solche Stimmungen und Bestrebungen unsrer Erfahrung nach nicht.
Diese Mehrzahl führt noch immer ein Leben, das im Wesentlichen eine Nach¬
ahmung des Amerikcmerthums ist und sich im Grunde von diesem nur dadurch
unterscheidet, daß man besser turnt und singt, weniger, in die Kirche geht und
mehr Lagerbier vertragen kann als der Nachbar Uankee. Das Bewußtsein
von der Mission der Deutschen in Amerika ist nur in verhältnißmäßig Wenigen
zum Durchbruch gekommen, und von diesen werden diejenigen zu zählen sein,
weiche auf verständige Weise dahin wirken, daß dieses Element zur Geltung
gelange. Man sehe sich die deutsch-amerikanische Presse an, man lese die rüpel¬
haften Ausfälle, in welchen die Führer derselben einander befehden, man
überblicke die Reden, die bei den Schillerfesten der verschiedenen Städte gehal¬
ten wurden, und von denen die in Neuorleans, wo ein Herr Maas es in der
Ordnung fand, Robert Blum mit Schiller und Luther zusammenzustellen, nicht
die abgeschmackteste war, man gehe in eins der deutschen Theater, in eine der
deutschen Buchhandlungen in den amerikanischen Hauptstädten, und man wird
von sehr erheblichen Bedenken beschlichen werden, ob es gestattet sei, jene Mis¬
sion zu betonen, ja ob dieselbe in der Ausdehnung, welche ihr einzelne Enthu¬
siasten geben möchten, überhaupt ezistire.

Die Ursachen davon, daß dem so ist, sind nicht schwer zu finden und zur
Genüge schon angegeben worden. Die deutschen Einwandrer sind mit wenigen
Ausnahmen Kaufleute, Handwerker und Bauern, und diese finden ihre Rech-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/388>, abgerufen am 16.05.2024.