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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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zum Atlantischen Meere zieht und die ewige Grenzmauer zwischen Frankreich
und Spanien bildet. Ich schloß mich einer Gesellschaft an, welche die Er¬
steigung der Maladetta im Juli 1858 unternahm. Um 11 Uhr Morgens sa¬
ßen wir im Sattel, begleitet von zahlreichen Führern und wohl versehen "ut
Seilen, Decken und Lebensmitteln. Man biegt zuerst in das Val de Lys ein,
das sich langsam ansteigend südwestlich von Luchon hinzieht und gleich den
ganzen Reichthum der Pflanzenwelt erschließt, der einen der größten Reize der
Pyrenäen bildet. Die südliche Lage macht sich hier selbst im Gebirge geltend,
die Schneelinie beginnt etwa 1300 Fuß hoher als in den Alpen und das
Laubholz macht seinen Nadelschwcstcrn die Herrschaft weit hinaus streitig.
Berge, die unter einer nordlichen Zone nackt oder mit dürftigen Algen beklei¬
det sein würden, sind hier bis zum Gipfel begrünt, und selbst steile Felsen,
die anderswo aller Vegetation unzugänglich sind, bieten hier dem Gesträuch
eine Zuflucht. In den Wäldern herrscht die größte Abwechselung der Baum-
arten, am Thalsaume hin ziehen sich die Kastanien, Vorboten des spanischen
Nachbarlandes, auf freien Plätzen breiten die Platanen ihr Schattendach aus,
dann folgen Eichen, Buchen, Häseln und Birken in buntem Durcheinander.
Da, wo die Thäler sich erweitern, bilden sie lichtgrüne Wiese", deren Gründe von
läutenden Heerden bevölkert sind. Die reiche Pflanzenwelt wird genährt und belebt
durch die Menge schöner Gewässer, Gaves genannt (celtisch dem englischen
^.von entsprechend), die von allen Bergen herabströmen. Wie verschieden sind
sie von den Flüssen der Ebne! Sie sind durchsichtig wie die Luft, bei aller Tiefe
kann man die Kiesel auf ihrem Grunde zählen, in bald neckischen bald wilden
Sprüngen rauschen sie dahin, um gelegentlich in einem Becken auszuruhen und
dann mit verdoppelter Kraft weiter zu stürmen. An großen Wasserfällen sind
die Pyrenäen nicht reich, desto reicher an herrlichen Staubbächcu, die "leise
verschleiernd niederfallen" wie Goethe es so schön ausdrückt. Das Wasser
scheint in der That zu einem duftigen nassen Schleier geworden, der sich im
Luftzug hebt und senkt, losgelöst von den Gesetzen der Schwere, im Winde
verstiebend, aufgesogen von den Sonnenstrahlen, die sich in allen Regenbogen¬
farben darin spiegeln.

Der Weg geht vom Val de Lys durch das Val de la Pique nach drin
Port de Venasque, an dessen Fuß das Hospiz, die letzte Wohnung in Frank¬
reich, ein geräumiges Haus aus- massiven Steinblöcken erbaut, liegt. Ihm
gegenüber steigen im Halbkreis die Berge steil auf. Diese Cirques, von denen
der von Gavarnie und Port de Venasque die merkwürdigsten sind, bilden
eine Eigenthümlichkeit der Pyrenäen. Die'dunkeln Granitmauern, die sich in
Absätzen, gleichsam Stockwerken von ewigem Schnee bedeckt, erheben, schließen
das Thal in einem weiten Halbkreis vollständig ab, nur ein schmaler Ein¬
schnitt erlaubt den Saum des Felswalles zu überschreiten, im Cirqne de Ga-


zum Atlantischen Meere zieht und die ewige Grenzmauer zwischen Frankreich
und Spanien bildet. Ich schloß mich einer Gesellschaft an, welche die Er¬
steigung der Maladetta im Juli 1858 unternahm. Um 11 Uhr Morgens sa¬
ßen wir im Sattel, begleitet von zahlreichen Führern und wohl versehen »ut
Seilen, Decken und Lebensmitteln. Man biegt zuerst in das Val de Lys ein,
das sich langsam ansteigend südwestlich von Luchon hinzieht und gleich den
ganzen Reichthum der Pflanzenwelt erschließt, der einen der größten Reize der
Pyrenäen bildet. Die südliche Lage macht sich hier selbst im Gebirge geltend,
die Schneelinie beginnt etwa 1300 Fuß hoher als in den Alpen und das
Laubholz macht seinen Nadelschwcstcrn die Herrschaft weit hinaus streitig.
Berge, die unter einer nordlichen Zone nackt oder mit dürftigen Algen beklei¬
det sein würden, sind hier bis zum Gipfel begrünt, und selbst steile Felsen,
die anderswo aller Vegetation unzugänglich sind, bieten hier dem Gesträuch
eine Zuflucht. In den Wäldern herrscht die größte Abwechselung der Baum-
arten, am Thalsaume hin ziehen sich die Kastanien, Vorboten des spanischen
Nachbarlandes, auf freien Plätzen breiten die Platanen ihr Schattendach aus,
dann folgen Eichen, Buchen, Häseln und Birken in buntem Durcheinander.
Da, wo die Thäler sich erweitern, bilden sie lichtgrüne Wiese», deren Gründe von
läutenden Heerden bevölkert sind. Die reiche Pflanzenwelt wird genährt und belebt
durch die Menge schöner Gewässer, Gaves genannt (celtisch dem englischen
^.von entsprechend), die von allen Bergen herabströmen. Wie verschieden sind
sie von den Flüssen der Ebne! Sie sind durchsichtig wie die Luft, bei aller Tiefe
kann man die Kiesel auf ihrem Grunde zählen, in bald neckischen bald wilden
Sprüngen rauschen sie dahin, um gelegentlich in einem Becken auszuruhen und
dann mit verdoppelter Kraft weiter zu stürmen. An großen Wasserfällen sind
die Pyrenäen nicht reich, desto reicher an herrlichen Staubbächcu, die „leise
verschleiernd niederfallen" wie Goethe es so schön ausdrückt. Das Wasser
scheint in der That zu einem duftigen nassen Schleier geworden, der sich im
Luftzug hebt und senkt, losgelöst von den Gesetzen der Schwere, im Winde
verstiebend, aufgesogen von den Sonnenstrahlen, die sich in allen Regenbogen¬
farben darin spiegeln.

Der Weg geht vom Val de Lys durch das Val de la Pique nach drin
Port de Venasque, an dessen Fuß das Hospiz, die letzte Wohnung in Frank¬
reich, ein geräumiges Haus aus- massiven Steinblöcken erbaut, liegt. Ihm
gegenüber steigen im Halbkreis die Berge steil auf. Diese Cirques, von denen
der von Gavarnie und Port de Venasque die merkwürdigsten sind, bilden
eine Eigenthümlichkeit der Pyrenäen. Die'dunkeln Granitmauern, die sich in
Absätzen, gleichsam Stockwerken von ewigem Schnee bedeckt, erheben, schließen
das Thal in einem weiten Halbkreis vollständig ab, nur ein schmaler Ein¬
schnitt erlaubt den Saum des Felswalles zu überschreiten, im Cirqne de Ga-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/395>, abgerufen am 15.05.2024.