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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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richtet, das Thermometer, das zwischen ihnen angebracht ist. gab die Tempe¬
ratur der Nacht auf 3 Grade Wärme an. Die Aussicht ist in ihrer Großar¬
tigkeit einzig. Auf den ersten Blick erscheint alles wie ein ungeheures Chaos
von unzähligen Gipfeln und Gletschern, aber eine nähere Betrachtung unter¬
scheidet bald die vielgezackte Hauptkette, die sich von Osten nach Westen zieht,
von ihr zweigen sich die zahlreichen Querthäler ab, welche einerseits der Ga-
ronne, auf der andern Seite dem Ebro den Tribut ihrer Gewässer bringen;
in weiter Ferne erscheinen die Ebnen der Gascogne und Cataloniens. in de¬
nen wie Silberbünder die Flüsse glänzen, die diese schönen Provinzen durch¬
ziehen. Die Aussicht war vollkommen frei, nur über dem nächsten Thal, dem
von Luchon, lag eine graue dicke Wolke. Am südlichen AbHange lagerten wir
uns dann, um einige Stärkung zu uns zu nehmen und auszuruhen, doch
frühstückten wir nur leicht und traten schon gegen 10 Uhr den Rückzug an.
War der I>ont cku xroxlrete schwierig zu erklimmen, so war er noch gefähr¬
licher herabzusteigen, jeder von uns ward von zwei Führern gehalten, und
wir betraten bald den Gletscher aufs neue. Da die Fußstapfen unsres Hin¬
marsches eine Art von Pfad gebildet, bedienten wir uns nur kurze Zeit des
Strickes; aber die Sonne hatte den Schnee glatt gemacht, und gleich nachdem
wir unsern Einzelmarsch wieder begonnen, that ich einen Feltritt und glitt
sosort mit reißender Geschwindigkeit den Abhang des Gletschers hinab. Mein
Führer versuchte vergeblich mich zu halten, siel vielmehr auf mich und so
kollerten wir wohl eine halbe Minute, bis es mir gelang meine Pike quer in
den Schnee zu stoßen und mich so zu Halt zu bringen. Glücklicherweise war
an diesem Theil des Gletschers keine Gefahr.

Hinter der erwähnten großen Nadel änderten wir unsern Weg und seie>
gen nicht wieder den Felsen hinab, sondern den Maladettagletscher, der zu
steil abfällt, um ihn hinaufzuklimmen und den wir deshalb rechts hatten
liegen lassen. Einige meiner Genossen setzten sich auf die Schnappsäcke der
Führer und glitten wie auf einem Schlitten so hinab, ich zog es vor meiner
Beine Meister zu bleiben und gelangte nach halbstündigen Laufen, wobei ich
bis über die Kniee in den Schnee einsank, an den Fuß des Gletschers, der
kurz abbricht und weder von Moränen noch Felsen umgeben ist. Ein wilder
Gießbach strömt aus ihm hervor, derselbe, der sich unten zur Essera sammelt.
Von da an ward die Wanderung minder beschwerlich und gegen 1 Uhr ka¬
men wir wieder bei unserm Bivouak an, wo die Pferde behaglich weideten.
Nach kurzer Ruhe waren wir im Sattel und strebten dem Port de Venasque
zu. Auf der spanischen Seite war das sonnigste schönste Wetter, kaum hat¬
ten wir die Bresche betreten, als uns der Regen entgegenschlug, alles war in
dicken Nebel gehüllt, so daß wir nur sehr langsam den Weg zum Hospiz hin¬
absteigen konnten, es war die Wolke, die wir oben von der Maladetta über


richtet, das Thermometer, das zwischen ihnen angebracht ist. gab die Tempe¬
ratur der Nacht auf 3 Grade Wärme an. Die Aussicht ist in ihrer Großar¬
tigkeit einzig. Auf den ersten Blick erscheint alles wie ein ungeheures Chaos
von unzähligen Gipfeln und Gletschern, aber eine nähere Betrachtung unter¬
scheidet bald die vielgezackte Hauptkette, die sich von Osten nach Westen zieht,
von ihr zweigen sich die zahlreichen Querthäler ab, welche einerseits der Ga-
ronne, auf der andern Seite dem Ebro den Tribut ihrer Gewässer bringen;
in weiter Ferne erscheinen die Ebnen der Gascogne und Cataloniens. in de¬
nen wie Silberbünder die Flüsse glänzen, die diese schönen Provinzen durch¬
ziehen. Die Aussicht war vollkommen frei, nur über dem nächsten Thal, dem
von Luchon, lag eine graue dicke Wolke. Am südlichen AbHange lagerten wir
uns dann, um einige Stärkung zu uns zu nehmen und auszuruhen, doch
frühstückten wir nur leicht und traten schon gegen 10 Uhr den Rückzug an.
War der I>ont cku xroxlrete schwierig zu erklimmen, so war er noch gefähr¬
licher herabzusteigen, jeder von uns ward von zwei Führern gehalten, und
wir betraten bald den Gletscher aufs neue. Da die Fußstapfen unsres Hin¬
marsches eine Art von Pfad gebildet, bedienten wir uns nur kurze Zeit des
Strickes; aber die Sonne hatte den Schnee glatt gemacht, und gleich nachdem
wir unsern Einzelmarsch wieder begonnen, that ich einen Feltritt und glitt
sosort mit reißender Geschwindigkeit den Abhang des Gletschers hinab. Mein
Führer versuchte vergeblich mich zu halten, siel vielmehr auf mich und so
kollerten wir wohl eine halbe Minute, bis es mir gelang meine Pike quer in
den Schnee zu stoßen und mich so zu Halt zu bringen. Glücklicherweise war
an diesem Theil des Gletschers keine Gefahr.

Hinter der erwähnten großen Nadel änderten wir unsern Weg und seie>
gen nicht wieder den Felsen hinab, sondern den Maladettagletscher, der zu
steil abfällt, um ihn hinaufzuklimmen und den wir deshalb rechts hatten
liegen lassen. Einige meiner Genossen setzten sich auf die Schnappsäcke der
Führer und glitten wie auf einem Schlitten so hinab, ich zog es vor meiner
Beine Meister zu bleiben und gelangte nach halbstündigen Laufen, wobei ich
bis über die Kniee in den Schnee einsank, an den Fuß des Gletschers, der
kurz abbricht und weder von Moränen noch Felsen umgeben ist. Ein wilder
Gießbach strömt aus ihm hervor, derselbe, der sich unten zur Essera sammelt.
Von da an ward die Wanderung minder beschwerlich und gegen 1 Uhr ka¬
men wir wieder bei unserm Bivouak an, wo die Pferde behaglich weideten.
Nach kurzer Ruhe waren wir im Sattel und strebten dem Port de Venasque
zu. Auf der spanischen Seite war das sonnigste schönste Wetter, kaum hat¬
ten wir die Bresche betreten, als uns der Regen entgegenschlug, alles war in
dicken Nebel gehüllt, so daß wir nur sehr langsam den Weg zum Hospiz hin¬
absteigen konnten, es war die Wolke, die wir oben von der Maladetta über


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[0398] richtet, das Thermometer, das zwischen ihnen angebracht ist. gab die Tempe¬ ratur der Nacht auf 3 Grade Wärme an. Die Aussicht ist in ihrer Großar¬ tigkeit einzig. Auf den ersten Blick erscheint alles wie ein ungeheures Chaos von unzähligen Gipfeln und Gletschern, aber eine nähere Betrachtung unter¬ scheidet bald die vielgezackte Hauptkette, die sich von Osten nach Westen zieht, von ihr zweigen sich die zahlreichen Querthäler ab, welche einerseits der Ga- ronne, auf der andern Seite dem Ebro den Tribut ihrer Gewässer bringen; in weiter Ferne erscheinen die Ebnen der Gascogne und Cataloniens. in de¬ nen wie Silberbünder die Flüsse glänzen, die diese schönen Provinzen durch¬ ziehen. Die Aussicht war vollkommen frei, nur über dem nächsten Thal, dem von Luchon, lag eine graue dicke Wolke. Am südlichen AbHange lagerten wir uns dann, um einige Stärkung zu uns zu nehmen und auszuruhen, doch frühstückten wir nur leicht und traten schon gegen 10 Uhr den Rückzug an. War der I>ont cku xroxlrete schwierig zu erklimmen, so war er noch gefähr¬ licher herabzusteigen, jeder von uns ward von zwei Führern gehalten, und wir betraten bald den Gletscher aufs neue. Da die Fußstapfen unsres Hin¬ marsches eine Art von Pfad gebildet, bedienten wir uns nur kurze Zeit des Strickes; aber die Sonne hatte den Schnee glatt gemacht, und gleich nachdem wir unsern Einzelmarsch wieder begonnen, that ich einen Feltritt und glitt sosort mit reißender Geschwindigkeit den Abhang des Gletschers hinab. Mein Führer versuchte vergeblich mich zu halten, siel vielmehr auf mich und so kollerten wir wohl eine halbe Minute, bis es mir gelang meine Pike quer in den Schnee zu stoßen und mich so zu Halt zu bringen. Glücklicherweise war an diesem Theil des Gletschers keine Gefahr. Hinter der erwähnten großen Nadel änderten wir unsern Weg und seie> gen nicht wieder den Felsen hinab, sondern den Maladettagletscher, der zu steil abfällt, um ihn hinaufzuklimmen und den wir deshalb rechts hatten liegen lassen. Einige meiner Genossen setzten sich auf die Schnappsäcke der Führer und glitten wie auf einem Schlitten so hinab, ich zog es vor meiner Beine Meister zu bleiben und gelangte nach halbstündigen Laufen, wobei ich bis über die Kniee in den Schnee einsank, an den Fuß des Gletschers, der kurz abbricht und weder von Moränen noch Felsen umgeben ist. Ein wilder Gießbach strömt aus ihm hervor, derselbe, der sich unten zur Essera sammelt. Von da an ward die Wanderung minder beschwerlich und gegen 1 Uhr ka¬ men wir wieder bei unserm Bivouak an, wo die Pferde behaglich weideten. Nach kurzer Ruhe waren wir im Sattel und strebten dem Port de Venasque zu. Auf der spanischen Seite war das sonnigste schönste Wetter, kaum hat¬ ten wir die Bresche betreten, als uns der Regen entgegenschlug, alles war in dicken Nebel gehüllt, so daß wir nur sehr langsam den Weg zum Hospiz hin¬ absteigen konnten, es war die Wolke, die wir oben von der Maladetta über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/398>, abgerufen am 15.05.2024.