Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man endlich, wo die Deckung zu suchen sei? so erfuhr man nichts weiter, als
daß vorläufig von der vorjährigen Anleihe ja ein noch hinreichender Vorrath
da sei, für die spätern Jahre werde sich dann das Weitere finden.

Ohne Uebertreibung kann man sagen, daß diese Principien dieselben sind,
welche Oestreich in die Lage gebracht haben, die wir kennen; ja sie erinnern
lebhaft an die Principien, denen man in Frankreich vor 1789 folgte. nicht
der kleinste Grund von Preußens Größe ist seine solide Finanzwirthschaft ge¬
wesen, d. h. das Princip, die Steuerkrast nicht zu hoch anzuspannen, die Aus¬
gaben nach den Einnahmen einzurichten und Schulden nur zu machen, wenn man
die Aussicht hat, sie zu bezahlen. Wenn die Aenderung dieser Principien eine
Folge des Constitutionalismus sein soll, so hätte man den letzteren zu theuer
erkauft.

Nicht minder bedenklich ist die sociale Bedeutung des neuen Projects.
Bisher stand Preußen überall in dem Ruf, im Dritten allen Völkern voraus
zu sein und verhältnißmäßig mehr Soldaten zu haben als Bürger. Nun er¬
fährt man plötzlich, daß noch lange nicht genug gedrillt worden ist, und daß
die Zahl der Soldaten noch beträchtlich vermehrt werden muß. Die Zahl
der jährlich Ausgehobenen steigt um 33 Procent, die Dienstzeit im stehenden
Heer von 3 Jahren bei der Infanterie wird festgehalten, bei gewissen Trup¬
pengattungen, die eine erhöhte Uebung fordern, sogar noch gesteigert (gegen
das letztere wäre am wenigsten einzuwenden), und aus dem Landwehrmann
des ersten Aufgebots wird ein Kriegsreservist. Da in Bezug auf die Heer¬
verfassung selbst und namentlich das Avancement nicht die geringste Verän¬
derung in Aussicht gestellt wird, so heißt das, wie wir schon früher auseinan¬
der gesetzt haben, nichts anderes, als in einer Weise wie es bisher noch gar
nicht vorgekommen ist, das ganze Land unter die Herrschaft des Junkerthums
stellen.

Und wenn man nun fragt, welchem Zweck eigentlich diese unerhörten
Opfer gebracht werden sollen? so herrscht das tiefste Stillschweigen. Was
die andern Staaten im Lauf des letzten halben Jahrs gewollt haben, ist we¬
nigstens bruchstückweise mitgetheilt; von Herrn von Schleinitz finden sich im
englischen Blaubuch nur einige verlorene Papiere. Ueber die deutschen An¬
gelegenheiten wird hin und her, bald höflich bald mit Stichelreden verhandelt,
ohne daß die Sache einen Schritt vorwärts rückte. Ist "etwa die Regierung
der Ansicht, die neue Militärversassung würde im Ausland einen so großen
Schreck erregen, daß man ohne weitere Mühe alles durchsetzen könnte was
man wollte? Wenn Herr v. Schleinitz das wirklich glaubte, so wäre es ein
sehr gefährlicher Irrthum. Die Zeiten des siebenjährigen Kriegs sind vorüber,
selbst wenn ein neuer Friedrich der Große aufstände, und auch diesen Krieg
hat Friedrich nur aus Verzweiflung geführt, nur um dem Untergange zu ent-


56"

man endlich, wo die Deckung zu suchen sei? so erfuhr man nichts weiter, als
daß vorläufig von der vorjährigen Anleihe ja ein noch hinreichender Vorrath
da sei, für die spätern Jahre werde sich dann das Weitere finden.

Ohne Uebertreibung kann man sagen, daß diese Principien dieselben sind,
welche Oestreich in die Lage gebracht haben, die wir kennen; ja sie erinnern
lebhaft an die Principien, denen man in Frankreich vor 1789 folgte. nicht
der kleinste Grund von Preußens Größe ist seine solide Finanzwirthschaft ge¬
wesen, d. h. das Princip, die Steuerkrast nicht zu hoch anzuspannen, die Aus¬
gaben nach den Einnahmen einzurichten und Schulden nur zu machen, wenn man
die Aussicht hat, sie zu bezahlen. Wenn die Aenderung dieser Principien eine
Folge des Constitutionalismus sein soll, so hätte man den letzteren zu theuer
erkauft.

Nicht minder bedenklich ist die sociale Bedeutung des neuen Projects.
Bisher stand Preußen überall in dem Ruf, im Dritten allen Völkern voraus
zu sein und verhältnißmäßig mehr Soldaten zu haben als Bürger. Nun er¬
fährt man plötzlich, daß noch lange nicht genug gedrillt worden ist, und daß
die Zahl der Soldaten noch beträchtlich vermehrt werden muß. Die Zahl
der jährlich Ausgehobenen steigt um 33 Procent, die Dienstzeit im stehenden
Heer von 3 Jahren bei der Infanterie wird festgehalten, bei gewissen Trup¬
pengattungen, die eine erhöhte Uebung fordern, sogar noch gesteigert (gegen
das letztere wäre am wenigsten einzuwenden), und aus dem Landwehrmann
des ersten Aufgebots wird ein Kriegsreservist. Da in Bezug auf die Heer¬
verfassung selbst und namentlich das Avancement nicht die geringste Verän¬
derung in Aussicht gestellt wird, so heißt das, wie wir schon früher auseinan¬
der gesetzt haben, nichts anderes, als in einer Weise wie es bisher noch gar
nicht vorgekommen ist, das ganze Land unter die Herrschaft des Junkerthums
stellen.

Und wenn man nun fragt, welchem Zweck eigentlich diese unerhörten
Opfer gebracht werden sollen? so herrscht das tiefste Stillschweigen. Was
die andern Staaten im Lauf des letzten halben Jahrs gewollt haben, ist we¬
nigstens bruchstückweise mitgetheilt; von Herrn von Schleinitz finden sich im
englischen Blaubuch nur einige verlorene Papiere. Ueber die deutschen An¬
gelegenheiten wird hin und her, bald höflich bald mit Stichelreden verhandelt,
ohne daß die Sache einen Schritt vorwärts rückte. Ist "etwa die Regierung
der Ansicht, die neue Militärversassung würde im Ausland einen so großen
Schreck erregen, daß man ohne weitere Mühe alles durchsetzen könnte was
man wollte? Wenn Herr v. Schleinitz das wirklich glaubte, so wäre es ein
sehr gefährlicher Irrthum. Die Zeiten des siebenjährigen Kriegs sind vorüber,
selbst wenn ein neuer Friedrich der Große aufstände, und auch diesen Krieg
hat Friedrich nur aus Verzweiflung geführt, nur um dem Untergange zu ent-


56"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109177"/>
          <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> man endlich, wo die Deckung zu suchen sei? so erfuhr man nichts weiter, als<lb/>
daß vorläufig von der vorjährigen Anleihe ja ein noch hinreichender Vorrath<lb/>
da sei, für die spätern Jahre werde sich dann das Weitere finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302"> Ohne Uebertreibung kann man sagen, daß diese Principien dieselben sind,<lb/>
welche Oestreich in die Lage gebracht haben, die wir kennen; ja sie erinnern<lb/>
lebhaft an die Principien, denen man in Frankreich vor 1789 folgte. nicht<lb/>
der kleinste Grund von Preußens Größe ist seine solide Finanzwirthschaft ge¬<lb/>
wesen, d. h. das Princip, die Steuerkrast nicht zu hoch anzuspannen, die Aus¬<lb/>
gaben nach den Einnahmen einzurichten und Schulden nur zu machen, wenn man<lb/>
die Aussicht hat, sie zu bezahlen. Wenn die Aenderung dieser Principien eine<lb/>
Folge des Constitutionalismus sein soll, so hätte man den letzteren zu theuer<lb/>
erkauft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1303"> Nicht minder bedenklich ist die sociale Bedeutung des neuen Projects.<lb/>
Bisher stand Preußen überall in dem Ruf, im Dritten allen Völkern voraus<lb/>
zu sein und verhältnißmäßig mehr Soldaten zu haben als Bürger. Nun er¬<lb/>
fährt man plötzlich, daß noch lange nicht genug gedrillt worden ist, und daß<lb/>
die Zahl der Soldaten noch beträchtlich vermehrt werden muß. Die Zahl<lb/>
der jährlich Ausgehobenen steigt um 33 Procent, die Dienstzeit im stehenden<lb/>
Heer von 3 Jahren bei der Infanterie wird festgehalten, bei gewissen Trup¬<lb/>
pengattungen, die eine erhöhte Uebung fordern, sogar noch gesteigert (gegen<lb/>
das letztere wäre am wenigsten einzuwenden), und aus dem Landwehrmann<lb/>
des ersten Aufgebots wird ein Kriegsreservist. Da in Bezug auf die Heer¬<lb/>
verfassung selbst und namentlich das Avancement nicht die geringste Verän¬<lb/>
derung in Aussicht gestellt wird, so heißt das, wie wir schon früher auseinan¬<lb/>
der gesetzt haben, nichts anderes, als in einer Weise wie es bisher noch gar<lb/>
nicht vorgekommen ist, das ganze Land unter die Herrschaft des Junkerthums<lb/>
stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1304" next="#ID_1305"> Und wenn man nun fragt, welchem Zweck eigentlich diese unerhörten<lb/>
Opfer gebracht werden sollen? so herrscht das tiefste Stillschweigen. Was<lb/>
die andern Staaten im Lauf des letzten halben Jahrs gewollt haben, ist we¬<lb/>
nigstens bruchstückweise mitgetheilt; von Herrn von Schleinitz finden sich im<lb/>
englischen Blaubuch nur einige verlorene Papiere. Ueber die deutschen An¬<lb/>
gelegenheiten wird hin und her, bald höflich bald mit Stichelreden verhandelt,<lb/>
ohne daß die Sache einen Schritt vorwärts rückte. Ist "etwa die Regierung<lb/>
der Ansicht, die neue Militärversassung würde im Ausland einen so großen<lb/>
Schreck erregen, daß man ohne weitere Mühe alles durchsetzen könnte was<lb/>
man wollte? Wenn Herr v. Schleinitz das wirklich glaubte, so wäre es ein<lb/>
sehr gefährlicher Irrthum. Die Zeiten des siebenjährigen Kriegs sind vorüber,<lb/>
selbst wenn ein neuer Friedrich der Große aufstände, und auch diesen Krieg<lb/>
hat Friedrich nur aus Verzweiflung geführt, nur um dem Untergange zu ent-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 56"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0455] man endlich, wo die Deckung zu suchen sei? so erfuhr man nichts weiter, als daß vorläufig von der vorjährigen Anleihe ja ein noch hinreichender Vorrath da sei, für die spätern Jahre werde sich dann das Weitere finden. Ohne Uebertreibung kann man sagen, daß diese Principien dieselben sind, welche Oestreich in die Lage gebracht haben, die wir kennen; ja sie erinnern lebhaft an die Principien, denen man in Frankreich vor 1789 folgte. nicht der kleinste Grund von Preußens Größe ist seine solide Finanzwirthschaft ge¬ wesen, d. h. das Princip, die Steuerkrast nicht zu hoch anzuspannen, die Aus¬ gaben nach den Einnahmen einzurichten und Schulden nur zu machen, wenn man die Aussicht hat, sie zu bezahlen. Wenn die Aenderung dieser Principien eine Folge des Constitutionalismus sein soll, so hätte man den letzteren zu theuer erkauft. Nicht minder bedenklich ist die sociale Bedeutung des neuen Projects. Bisher stand Preußen überall in dem Ruf, im Dritten allen Völkern voraus zu sein und verhältnißmäßig mehr Soldaten zu haben als Bürger. Nun er¬ fährt man plötzlich, daß noch lange nicht genug gedrillt worden ist, und daß die Zahl der Soldaten noch beträchtlich vermehrt werden muß. Die Zahl der jährlich Ausgehobenen steigt um 33 Procent, die Dienstzeit im stehenden Heer von 3 Jahren bei der Infanterie wird festgehalten, bei gewissen Trup¬ pengattungen, die eine erhöhte Uebung fordern, sogar noch gesteigert (gegen das letztere wäre am wenigsten einzuwenden), und aus dem Landwehrmann des ersten Aufgebots wird ein Kriegsreservist. Da in Bezug auf die Heer¬ verfassung selbst und namentlich das Avancement nicht die geringste Verän¬ derung in Aussicht gestellt wird, so heißt das, wie wir schon früher auseinan¬ der gesetzt haben, nichts anderes, als in einer Weise wie es bisher noch gar nicht vorgekommen ist, das ganze Land unter die Herrschaft des Junkerthums stellen. Und wenn man nun fragt, welchem Zweck eigentlich diese unerhörten Opfer gebracht werden sollen? so herrscht das tiefste Stillschweigen. Was die andern Staaten im Lauf des letzten halben Jahrs gewollt haben, ist we¬ nigstens bruchstückweise mitgetheilt; von Herrn von Schleinitz finden sich im englischen Blaubuch nur einige verlorene Papiere. Ueber die deutschen An¬ gelegenheiten wird hin und her, bald höflich bald mit Stichelreden verhandelt, ohne daß die Sache einen Schritt vorwärts rückte. Ist "etwa die Regierung der Ansicht, die neue Militärversassung würde im Ausland einen so großen Schreck erregen, daß man ohne weitere Mühe alles durchsetzen könnte was man wollte? Wenn Herr v. Schleinitz das wirklich glaubte, so wäre es ein sehr gefährlicher Irrthum. Die Zeiten des siebenjährigen Kriegs sind vorüber, selbst wenn ein neuer Friedrich der Große aufstände, und auch diesen Krieg hat Friedrich nur aus Verzweiflung geführt, nur um dem Untergange zu ent- 56"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/455
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/455>, abgerufen am 28.05.2024.