Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

spielt werden; bei Oestreich ist aber diese theoretische Untersuchung bald ab¬
zuschneiden. Wenn Oestreich auf den preußischen Antrag, im Kriegsfall den
Oberbefehl über die Bundesheere mit Preußen zu theilen, nicht eingeht, so
muß es sich doch darüber erklären, was es eigentlich will? Die formale Be¬
stimmung der Ernennung eines Oberfeldherrn muß doch einen materiellen
Sinn haben. Will Oestreich seine Truppen unter einen baierischen oder han-
növerschen General stellen? oder nimmt es den Oberbefehl auch über die preu¬
ßische Armee in Anspruch? Da von dem ersten natürlich nicht die Rede ist, so
muß Oestreich zu der letzten Erklärung getrieben werden; und sobald diese er¬
folgt, ist auch Preußens politische Richtung genau vorgezeichnet. Es wird als¬
dann seine Sache dem preußischen und dem deutschen Volt vorzulegen und nicht
weniger, sondern mehr zu fordern haben.

Die Sache ist so klar, daß am Ende auch Oestreich und selbst die Mittel¬
staaten sie einsehn. und unter zwei Eventualitäten die minder unbequeme
wählen werden, sobald sie sich nur überzeugt haben, daß es Preußen mit sei¬
nem Willen Ernst ist. Davon werden sie sich aber nicht eher überzeugen,' als
bis in Preußen eine einheitliche Regierung hergestellt ist. Wie viel daran
noch fehlt, das stellt sich immer mehr heraus, und wenn das Ministerium die
verschiedenen Fcictoren der Gesetzgebung und Verwaltung weder sür sich zu ge¬
winnen, noch ihren Widerstand zu brechen weiß; wenn es sich vielmehr bald
nach dem einen, bald nach dem andern richtet, und so den vergeblichen Versuch
macht, zwei Prinzipien, die einander ausschließen, gleichmäßig zu vertreten --
wo soll dann sein Credit herkommen? Das Ausland hat die Augen ganz gut
offen und vielleicht sind manche sonst unerklärliche Ereignisse des letzten Monats
nur daraus zu begreifen, daß der Mann, der jetzt den meisten Willen hat, den
Andern doch noch mehr Willen d. h. Widerstandskraft vcigemessen hat, als
sie wirklich haben; jetzt ist er aber darüber völlig enttäuscht.

Möge Preußen sich nicht damit trösten, daß es anderwärts nicht besser
aussieht: Preußen ist eben darauf angewiesen! mehr Politik zu treiben als
die andern, weil es weniger warten kann. Es ist wahr, in England
macht sich das Gewicht von Pfund, Schilling und Pence mehr geltend
als nöthig; aber eine zusammenhängende Politik in der italienischen Sache
kann man den Whigs nicht absprechen, wenn man sich von den offenbaren
Lügen vor dem Parlament nicht täuschen läßt. Was Oestreich betrifft, I"
grenzt die offenbare Schadenfreude über die Einverleibung Savoyens freilich
an Raserei; was hilft uns das aber, wenn wir die Kosten derselben mitzu-
tragen haben? -- daß mehr Rekruten einexercirt werden, kann das Gewicht
unserer Gründe nicht stärken, so lange man nicht die Meinung hat, daß diese
Rekruten eventuell auch marschiren müssen; d. h. daß dieses rohe Material
t 1' durch den Willen, der wirklich etwas will, einmal Leben erhält.




spielt werden; bei Oestreich ist aber diese theoretische Untersuchung bald ab¬
zuschneiden. Wenn Oestreich auf den preußischen Antrag, im Kriegsfall den
Oberbefehl über die Bundesheere mit Preußen zu theilen, nicht eingeht, so
muß es sich doch darüber erklären, was es eigentlich will? Die formale Be¬
stimmung der Ernennung eines Oberfeldherrn muß doch einen materiellen
Sinn haben. Will Oestreich seine Truppen unter einen baierischen oder han-
növerschen General stellen? oder nimmt es den Oberbefehl auch über die preu¬
ßische Armee in Anspruch? Da von dem ersten natürlich nicht die Rede ist, so
muß Oestreich zu der letzten Erklärung getrieben werden; und sobald diese er¬
folgt, ist auch Preußens politische Richtung genau vorgezeichnet. Es wird als¬
dann seine Sache dem preußischen und dem deutschen Volt vorzulegen und nicht
weniger, sondern mehr zu fordern haben.

Die Sache ist so klar, daß am Ende auch Oestreich und selbst die Mittel¬
staaten sie einsehn. und unter zwei Eventualitäten die minder unbequeme
wählen werden, sobald sie sich nur überzeugt haben, daß es Preußen mit sei¬
nem Willen Ernst ist. Davon werden sie sich aber nicht eher überzeugen,' als
bis in Preußen eine einheitliche Regierung hergestellt ist. Wie viel daran
noch fehlt, das stellt sich immer mehr heraus, und wenn das Ministerium die
verschiedenen Fcictoren der Gesetzgebung und Verwaltung weder sür sich zu ge¬
winnen, noch ihren Widerstand zu brechen weiß; wenn es sich vielmehr bald
nach dem einen, bald nach dem andern richtet, und so den vergeblichen Versuch
macht, zwei Prinzipien, die einander ausschließen, gleichmäßig zu vertreten —
wo soll dann sein Credit herkommen? Das Ausland hat die Augen ganz gut
offen und vielleicht sind manche sonst unerklärliche Ereignisse des letzten Monats
nur daraus zu begreifen, daß der Mann, der jetzt den meisten Willen hat, den
Andern doch noch mehr Willen d. h. Widerstandskraft vcigemessen hat, als
sie wirklich haben; jetzt ist er aber darüber völlig enttäuscht.

Möge Preußen sich nicht damit trösten, daß es anderwärts nicht besser
aussieht: Preußen ist eben darauf angewiesen! mehr Politik zu treiben als
die andern, weil es weniger warten kann. Es ist wahr, in England
macht sich das Gewicht von Pfund, Schilling und Pence mehr geltend
als nöthig; aber eine zusammenhängende Politik in der italienischen Sache
kann man den Whigs nicht absprechen, wenn man sich von den offenbaren
Lügen vor dem Parlament nicht täuschen läßt. Was Oestreich betrifft, I"
grenzt die offenbare Schadenfreude über die Einverleibung Savoyens freilich
an Raserei; was hilft uns das aber, wenn wir die Kosten derselben mitzu-
tragen haben? — daß mehr Rekruten einexercirt werden, kann das Gewicht
unserer Gründe nicht stärken, so lange man nicht die Meinung hat, daß diese
Rekruten eventuell auch marschiren müssen; d. h. daß dieses rohe Material
t 1' durch den Willen, der wirklich etwas will, einmal Leben erhält.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109222"/>
          <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443"> spielt werden; bei Oestreich ist aber diese theoretische Untersuchung bald ab¬<lb/>
zuschneiden. Wenn Oestreich auf den preußischen Antrag, im Kriegsfall den<lb/>
Oberbefehl über die Bundesheere mit Preußen zu theilen, nicht eingeht, so<lb/>
muß es sich doch darüber erklären, was es eigentlich will? Die formale Be¬<lb/>
stimmung der Ernennung eines Oberfeldherrn muß doch einen materiellen<lb/>
Sinn haben. Will Oestreich seine Truppen unter einen baierischen oder han-<lb/>
növerschen General stellen? oder nimmt es den Oberbefehl auch über die preu¬<lb/>
ßische Armee in Anspruch? Da von dem ersten natürlich nicht die Rede ist, so<lb/>
muß Oestreich zu der letzten Erklärung getrieben werden; und sobald diese er¬<lb/>
folgt, ist auch Preußens politische Richtung genau vorgezeichnet. Es wird als¬<lb/>
dann seine Sache dem preußischen und dem deutschen Volt vorzulegen und nicht<lb/>
weniger, sondern mehr zu fordern haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445"> Die Sache ist so klar, daß am Ende auch Oestreich und selbst die Mittel¬<lb/>
staaten sie einsehn. und unter zwei Eventualitäten die minder unbequeme<lb/>
wählen werden, sobald sie sich nur überzeugt haben, daß es Preußen mit sei¬<lb/>
nem Willen Ernst ist. Davon werden sie sich aber nicht eher überzeugen,' als<lb/>
bis in Preußen eine einheitliche Regierung hergestellt ist. Wie viel daran<lb/>
noch fehlt, das stellt sich immer mehr heraus, und wenn das Ministerium die<lb/>
verschiedenen Fcictoren der Gesetzgebung und Verwaltung weder sür sich zu ge¬<lb/>
winnen, noch ihren Widerstand zu brechen weiß; wenn es sich vielmehr bald<lb/>
nach dem einen, bald nach dem andern richtet, und so den vergeblichen Versuch<lb/>
macht, zwei Prinzipien, die einander ausschließen, gleichmäßig zu vertreten &#x2014;<lb/>
wo soll dann sein Credit herkommen? Das Ausland hat die Augen ganz gut<lb/>
offen und vielleicht sind manche sonst unerklärliche Ereignisse des letzten Monats<lb/>
nur daraus zu begreifen, daß der Mann, der jetzt den meisten Willen hat, den<lb/>
Andern doch noch mehr Willen d. h. Widerstandskraft vcigemessen hat, als<lb/>
sie wirklich haben; jetzt ist er aber darüber völlig enttäuscht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1446"> Möge Preußen sich nicht damit trösten, daß es anderwärts nicht besser<lb/>
aussieht: Preußen ist eben darauf angewiesen! mehr Politik zu treiben als<lb/>
die andern, weil es weniger warten kann. Es ist wahr, in England<lb/>
macht sich das Gewicht von Pfund, Schilling und Pence mehr geltend<lb/>
als nöthig; aber eine zusammenhängende Politik in der italienischen Sache<lb/>
kann man den Whigs nicht absprechen, wenn man sich von den offenbaren<lb/>
Lügen vor dem Parlament nicht täuschen läßt. Was Oestreich betrifft, I"<lb/>
grenzt die offenbare Schadenfreude über die Einverleibung Savoyens freilich<lb/>
an Raserei; was hilft uns das aber, wenn wir die Kosten derselben mitzu-<lb/>
tragen haben? &#x2014; daß mehr Rekruten einexercirt werden, kann das Gewicht<lb/>
unserer Gründe nicht stärken, so lange man nicht die Meinung hat, daß diese<lb/>
Rekruten eventuell auch marschiren müssen; d. h. daß dieses rohe Material<lb/><note type="byline"> t 1'</note> durch den Willen, der wirklich etwas will, einmal Leben erhält. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0500] spielt werden; bei Oestreich ist aber diese theoretische Untersuchung bald ab¬ zuschneiden. Wenn Oestreich auf den preußischen Antrag, im Kriegsfall den Oberbefehl über die Bundesheere mit Preußen zu theilen, nicht eingeht, so muß es sich doch darüber erklären, was es eigentlich will? Die formale Be¬ stimmung der Ernennung eines Oberfeldherrn muß doch einen materiellen Sinn haben. Will Oestreich seine Truppen unter einen baierischen oder han- növerschen General stellen? oder nimmt es den Oberbefehl auch über die preu¬ ßische Armee in Anspruch? Da von dem ersten natürlich nicht die Rede ist, so muß Oestreich zu der letzten Erklärung getrieben werden; und sobald diese er¬ folgt, ist auch Preußens politische Richtung genau vorgezeichnet. Es wird als¬ dann seine Sache dem preußischen und dem deutschen Volt vorzulegen und nicht weniger, sondern mehr zu fordern haben. Die Sache ist so klar, daß am Ende auch Oestreich und selbst die Mittel¬ staaten sie einsehn. und unter zwei Eventualitäten die minder unbequeme wählen werden, sobald sie sich nur überzeugt haben, daß es Preußen mit sei¬ nem Willen Ernst ist. Davon werden sie sich aber nicht eher überzeugen,' als bis in Preußen eine einheitliche Regierung hergestellt ist. Wie viel daran noch fehlt, das stellt sich immer mehr heraus, und wenn das Ministerium die verschiedenen Fcictoren der Gesetzgebung und Verwaltung weder sür sich zu ge¬ winnen, noch ihren Widerstand zu brechen weiß; wenn es sich vielmehr bald nach dem einen, bald nach dem andern richtet, und so den vergeblichen Versuch macht, zwei Prinzipien, die einander ausschließen, gleichmäßig zu vertreten — wo soll dann sein Credit herkommen? Das Ausland hat die Augen ganz gut offen und vielleicht sind manche sonst unerklärliche Ereignisse des letzten Monats nur daraus zu begreifen, daß der Mann, der jetzt den meisten Willen hat, den Andern doch noch mehr Willen d. h. Widerstandskraft vcigemessen hat, als sie wirklich haben; jetzt ist er aber darüber völlig enttäuscht. Möge Preußen sich nicht damit trösten, daß es anderwärts nicht besser aussieht: Preußen ist eben darauf angewiesen! mehr Politik zu treiben als die andern, weil es weniger warten kann. Es ist wahr, in England macht sich das Gewicht von Pfund, Schilling und Pence mehr geltend als nöthig; aber eine zusammenhängende Politik in der italienischen Sache kann man den Whigs nicht absprechen, wenn man sich von den offenbaren Lügen vor dem Parlament nicht täuschen läßt. Was Oestreich betrifft, I" grenzt die offenbare Schadenfreude über die Einverleibung Savoyens freilich an Raserei; was hilft uns das aber, wenn wir die Kosten derselben mitzu- tragen haben? — daß mehr Rekruten einexercirt werden, kann das Gewicht unserer Gründe nicht stärken, so lange man nicht die Meinung hat, daß diese Rekruten eventuell auch marschiren müssen; d. h. daß dieses rohe Material t 1' durch den Willen, der wirklich etwas will, einmal Leben erhält.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/500
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/500>, abgerufen am 14.05.2024.