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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Kinder Bil und Hin? erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine
Stange mit einem Eimer Wasser auf den Schultern trugen, diese raubte und
zu sich nahm, so daß man sie noch heute im Monde gehen sieht.

Die Urgestalt der Vorstellung des germanischen Stammes vom Monde
drücken diese Mythen nicht aus. Man wird sich vielmehr im Anfang den¬
selben einfach als Auge, als rollendes Rad (noch-jetzt sagt man in der
Oberpfalz: "Der Mond ist voll wie ein Pflugrad"), als glänzenden Schild
gedacht haben. Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wieder¬
holt gebraucht werden.

Neben diesen Bebungen der Mythe ging unter den südlichen Germanen
-- vielleicht schon früh -- eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne
her. Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann
gehalten. Beide waren Gatten, der Mond aber ein so kühler Gemahl, daß
es die Sonne verdroß. Sie schlug dem Gatten eine Wette vor- wer zuerst
aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen, dem Trägen
gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der Welt das Licht
an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten beide getrennt.
Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich einander zu nähern.
Das ist die, Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie sich gegenseitig
Vorwürfe, aber keines behält Recht, und so trennen sie sich wieder. Vor
Schmerz nimmt der Mond dann ab, bis ihm die Hoffnung wiederkehrt und
ihn wieder voller werden läßt.

Von allen diesen Sagen und Mythen bewahrt unser Volksaberglaube
deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald wird eine Sonnenfinsterniß als
Streit zwischen Sonne und Mond aufgefaßt, und damit der Mond, der als
der Stärkere gilt, nicht Herr werde, fallen die Altgläubigen auf die Knie und
beten zum Ofen gewendet oder schlagen mit Messern auf Pfannen oder Sen¬
sen, damit der Mond, hierdurch erschreckt, ablasse.

Noch wichtiger aber für unsern Zusammenhang ist die Art und Weise,
in welcher sich das Volk in den verschiedensten Gegenden Deutschlands die
Mondflecken erklärt. Hier sehen wir mit geringen Veränderungen die jüngere
Eddamythe vor uns, ja einige Versionen zeigen auch Spuren der jüngsten.

Bekannt ist, daß wir in den Flecken des Mondes einen Mann vor uns
haben, der wegen eines Vergehens dorthin versetzt worden ist. In der Ge¬
gend .Won Reutlingen ist es ein Weingärtner, der eines Abends noch bei
Mondschein arbeitete und "Rcbenbüschele" machte. Da bei Mondschein
zu arbeiten, wie später zu erwähnen sein wird, sür frevelhaft gilt, so wurde
er zur Strafe dafür in den Mond verwünscht, in dem er noch immer "schwe¬
ben" muß. Er trägt dabei das eorxuZ äelieti, sein Rcbenbüschele an einem
Stock auf der Schulter (ähnlich denen, die an den Pranger gestellt werden).


Kinder Bil und Hin? erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine
Stange mit einem Eimer Wasser auf den Schultern trugen, diese raubte und
zu sich nahm, so daß man sie noch heute im Monde gehen sieht.

Die Urgestalt der Vorstellung des germanischen Stammes vom Monde
drücken diese Mythen nicht aus. Man wird sich vielmehr im Anfang den¬
selben einfach als Auge, als rollendes Rad (noch-jetzt sagt man in der
Oberpfalz: „Der Mond ist voll wie ein Pflugrad"), als glänzenden Schild
gedacht haben. Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wieder¬
holt gebraucht werden.

Neben diesen Bebungen der Mythe ging unter den südlichen Germanen
— vielleicht schon früh — eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne
her. Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann
gehalten. Beide waren Gatten, der Mond aber ein so kühler Gemahl, daß
es die Sonne verdroß. Sie schlug dem Gatten eine Wette vor- wer zuerst
aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen, dem Trägen
gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der Welt das Licht
an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten beide getrennt.
Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich einander zu nähern.
Das ist die, Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie sich gegenseitig
Vorwürfe, aber keines behält Recht, und so trennen sie sich wieder. Vor
Schmerz nimmt der Mond dann ab, bis ihm die Hoffnung wiederkehrt und
ihn wieder voller werden läßt.

Von allen diesen Sagen und Mythen bewahrt unser Volksaberglaube
deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald wird eine Sonnenfinsterniß als
Streit zwischen Sonne und Mond aufgefaßt, und damit der Mond, der als
der Stärkere gilt, nicht Herr werde, fallen die Altgläubigen auf die Knie und
beten zum Ofen gewendet oder schlagen mit Messern auf Pfannen oder Sen¬
sen, damit der Mond, hierdurch erschreckt, ablasse.

Noch wichtiger aber für unsern Zusammenhang ist die Art und Weise,
in welcher sich das Volk in den verschiedensten Gegenden Deutschlands die
Mondflecken erklärt. Hier sehen wir mit geringen Veränderungen die jüngere
Eddamythe vor uns, ja einige Versionen zeigen auch Spuren der jüngsten.

Bekannt ist, daß wir in den Flecken des Mondes einen Mann vor uns
haben, der wegen eines Vergehens dorthin versetzt worden ist. In der Ge¬
gend .Won Reutlingen ist es ein Weingärtner, der eines Abends noch bei
Mondschein arbeitete und „Rcbenbüschele" machte. Da bei Mondschein
zu arbeiten, wie später zu erwähnen sein wird, sür frevelhaft gilt, so wurde
er zur Strafe dafür in den Mond verwünscht, in dem er noch immer „schwe¬
ben" muß. Er trägt dabei das eorxuZ äelieti, sein Rcbenbüschele an einem
Stock auf der Schulter (ähnlich denen, die an den Pranger gestellt werden).


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[0505] Kinder Bil und Hin? erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine Stange mit einem Eimer Wasser auf den Schultern trugen, diese raubte und zu sich nahm, so daß man sie noch heute im Monde gehen sieht. Die Urgestalt der Vorstellung des germanischen Stammes vom Monde drücken diese Mythen nicht aus. Man wird sich vielmehr im Anfang den¬ selben einfach als Auge, als rollendes Rad (noch-jetzt sagt man in der Oberpfalz: „Der Mond ist voll wie ein Pflugrad"), als glänzenden Schild gedacht haben. Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wieder¬ holt gebraucht werden. Neben diesen Bebungen der Mythe ging unter den südlichen Germanen — vielleicht schon früh — eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne her. Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann gehalten. Beide waren Gatten, der Mond aber ein so kühler Gemahl, daß es die Sonne verdroß. Sie schlug dem Gatten eine Wette vor- wer zuerst aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen, dem Trägen gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der Welt das Licht an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten beide getrennt. Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich einander zu nähern. Das ist die, Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie sich gegenseitig Vorwürfe, aber keines behält Recht, und so trennen sie sich wieder. Vor Schmerz nimmt der Mond dann ab, bis ihm die Hoffnung wiederkehrt und ihn wieder voller werden läßt. Von allen diesen Sagen und Mythen bewahrt unser Volksaberglaube deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald wird eine Sonnenfinsterniß als Streit zwischen Sonne und Mond aufgefaßt, und damit der Mond, der als der Stärkere gilt, nicht Herr werde, fallen die Altgläubigen auf die Knie und beten zum Ofen gewendet oder schlagen mit Messern auf Pfannen oder Sen¬ sen, damit der Mond, hierdurch erschreckt, ablasse. Noch wichtiger aber für unsern Zusammenhang ist die Art und Weise, in welcher sich das Volk in den verschiedensten Gegenden Deutschlands die Mondflecken erklärt. Hier sehen wir mit geringen Veränderungen die jüngere Eddamythe vor uns, ja einige Versionen zeigen auch Spuren der jüngsten. Bekannt ist, daß wir in den Flecken des Mondes einen Mann vor uns haben, der wegen eines Vergehens dorthin versetzt worden ist. In der Ge¬ gend .Won Reutlingen ist es ein Weingärtner, der eines Abends noch bei Mondschein arbeitete und „Rcbenbüschele" machte. Da bei Mondschein zu arbeiten, wie später zu erwähnen sein wird, sür frevelhaft gilt, so wurde er zur Strafe dafür in den Mond verwünscht, in dem er noch immer „schwe¬ ben" muß. Er trägt dabei das eorxuZ äelieti, sein Rcbenbüschele an einem Stock auf der Schulter (ähnlich denen, die an den Pranger gestellt werden).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/505>, abgerufen am 31.05.2024.