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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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umgewandelt haben, und diese Vorstellung mag dann später zu der noch bläs¬
seren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht der
Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uns und unsre Umgebung
besitze. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im Monde
schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und Ver¬
boten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem Monde
regeln. Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr
ihres Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sym¬
pathetischen Kuren, beim Schröpfen und Aderlassen, beim Haarschneiden, beim
Abtreiben von Würmern als wichtiges Bcstimmungszeichen betrachtet. Der
zunehmende Mond gibt eine günstige, der abnehmende eine ungünstige Zeit
für alle Unternehmungen des Landmanns, vorzüglich für Säen und Pflanzen,
aber auch für Dienst- und Wohnungswechsel, Hochzeiten u. s. w. Der Voll¬
mond scheint in manchen Gegenden geradezu als giftig aufgefaßt zu werden,
während sein Licht in andern als Heilmittel benutzt wird. Auch der Neumond
hat seine Bedeutung, ja selbst der Montag nimmt an der Wichtigkett für das
Leben, die sein Namengeber hat, einen nicht unbeträchtlichen Antheil. Viele
dieser Regeln widersprechen sich, indem hier das eine, dort das Entgegengesetzte
beobachtet werden muß, manche stammen offenbar aus der Astrologie des
Orients, viele haben ihre Begründung nur darin, daß man den Mond und
seine Phasen mit dem Leben verglich, ihn als ein Symbol und Omen irdischer
Entwickelung betrachtete, andere wieder beruhen auf altgermanischen Zauber¬
glauben.

Im Folgenden geben wir eine Uebersicht der wichtigsten Sätze dieses Aber¬
glaubens, und zwar zunächst der an das Obige sich enger anschließenden, nach
denen der Mond als gefahrdrohendes schädliches Gestirn erscheint. Im Mond¬
schein darf man nicht spinnen, in der Oberpfalz, weil solches Garn nicht hält,
in Südschwaben, weil man damit einem seiner Angehörigen einen Strick an
den Hals spinnt. Man darf ferner kein Gerüth, keinen Wagen u. tgi. im
Mondschein stehen lassen, da es sonst bald entzwei geht. Aus ähnlichen
Gründen ist es in Schlesien verboten, Wäsche im Mondschein hängen zu lassen.
Wer aus einem Bach oder Brunnen trinkt, in den der Mond scheint, begeht
in der Oberpfalz einen Frevel (entweder gegen sich selbst oder gegen den Mond)
weil er den (giftigen?) Mond mit hinein trinkt. Ebendaselbst darf man im
Mondschein nicht tanzen, weil dann die Decke der Erde so dünn wie Spinne¬
webe ist und die Geister durch das Tanzen heraufgelockt werden. Verboten
ist ferner in vielen Gegenden Deutschlands, umgetaufte Kinder dem Mondschein
auszusetzen, da sie leicht mondsüchtig oder Zauberer werden, sehr unklug, nach
dem Mond mit den Fingern zu weisen, weil man dann ein Nagelgeschwür,
oder gegen ihn auszuspeien, weil man sonst einen Ausschlag um den Mund


Grenzboten I. 1S60, 63

umgewandelt haben, und diese Vorstellung mag dann später zu der noch bläs¬
seren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht der
Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uns und unsre Umgebung
besitze. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im Monde
schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und Ver¬
boten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem Monde
regeln. Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr
ihres Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sym¬
pathetischen Kuren, beim Schröpfen und Aderlassen, beim Haarschneiden, beim
Abtreiben von Würmern als wichtiges Bcstimmungszeichen betrachtet. Der
zunehmende Mond gibt eine günstige, der abnehmende eine ungünstige Zeit
für alle Unternehmungen des Landmanns, vorzüglich für Säen und Pflanzen,
aber auch für Dienst- und Wohnungswechsel, Hochzeiten u. s. w. Der Voll¬
mond scheint in manchen Gegenden geradezu als giftig aufgefaßt zu werden,
während sein Licht in andern als Heilmittel benutzt wird. Auch der Neumond
hat seine Bedeutung, ja selbst der Montag nimmt an der Wichtigkett für das
Leben, die sein Namengeber hat, einen nicht unbeträchtlichen Antheil. Viele
dieser Regeln widersprechen sich, indem hier das eine, dort das Entgegengesetzte
beobachtet werden muß, manche stammen offenbar aus der Astrologie des
Orients, viele haben ihre Begründung nur darin, daß man den Mond und
seine Phasen mit dem Leben verglich, ihn als ein Symbol und Omen irdischer
Entwickelung betrachtete, andere wieder beruhen auf altgermanischen Zauber¬
glauben.

Im Folgenden geben wir eine Uebersicht der wichtigsten Sätze dieses Aber¬
glaubens, und zwar zunächst der an das Obige sich enger anschließenden, nach
denen der Mond als gefahrdrohendes schädliches Gestirn erscheint. Im Mond¬
schein darf man nicht spinnen, in der Oberpfalz, weil solches Garn nicht hält,
in Südschwaben, weil man damit einem seiner Angehörigen einen Strick an
den Hals spinnt. Man darf ferner kein Gerüth, keinen Wagen u. tgi. im
Mondschein stehen lassen, da es sonst bald entzwei geht. Aus ähnlichen
Gründen ist es in Schlesien verboten, Wäsche im Mondschein hängen zu lassen.
Wer aus einem Bach oder Brunnen trinkt, in den der Mond scheint, begeht
in der Oberpfalz einen Frevel (entweder gegen sich selbst oder gegen den Mond)
weil er den (giftigen?) Mond mit hinein trinkt. Ebendaselbst darf man im
Mondschein nicht tanzen, weil dann die Decke der Erde so dünn wie Spinne¬
webe ist und die Geister durch das Tanzen heraufgelockt werden. Verboten
ist ferner in vielen Gegenden Deutschlands, umgetaufte Kinder dem Mondschein
auszusetzen, da sie leicht mondsüchtig oder Zauberer werden, sehr unklug, nach
dem Mond mit den Fingern zu weisen, weil man dann ein Nagelgeschwür,
oder gegen ihn auszuspeien, weil man sonst einen Ausschlag um den Mund


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[0509] umgewandelt haben, und diese Vorstellung mag dann später zu der noch bläs¬ seren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht der Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uns und unsre Umgebung besitze. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im Monde schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und Ver¬ boten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem Monde regeln. Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr ihres Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sym¬ pathetischen Kuren, beim Schröpfen und Aderlassen, beim Haarschneiden, beim Abtreiben von Würmern als wichtiges Bcstimmungszeichen betrachtet. Der zunehmende Mond gibt eine günstige, der abnehmende eine ungünstige Zeit für alle Unternehmungen des Landmanns, vorzüglich für Säen und Pflanzen, aber auch für Dienst- und Wohnungswechsel, Hochzeiten u. s. w. Der Voll¬ mond scheint in manchen Gegenden geradezu als giftig aufgefaßt zu werden, während sein Licht in andern als Heilmittel benutzt wird. Auch der Neumond hat seine Bedeutung, ja selbst der Montag nimmt an der Wichtigkett für das Leben, die sein Namengeber hat, einen nicht unbeträchtlichen Antheil. Viele dieser Regeln widersprechen sich, indem hier das eine, dort das Entgegengesetzte beobachtet werden muß, manche stammen offenbar aus der Astrologie des Orients, viele haben ihre Begründung nur darin, daß man den Mond und seine Phasen mit dem Leben verglich, ihn als ein Symbol und Omen irdischer Entwickelung betrachtete, andere wieder beruhen auf altgermanischen Zauber¬ glauben. Im Folgenden geben wir eine Uebersicht der wichtigsten Sätze dieses Aber¬ glaubens, und zwar zunächst der an das Obige sich enger anschließenden, nach denen der Mond als gefahrdrohendes schädliches Gestirn erscheint. Im Mond¬ schein darf man nicht spinnen, in der Oberpfalz, weil solches Garn nicht hält, in Südschwaben, weil man damit einem seiner Angehörigen einen Strick an den Hals spinnt. Man darf ferner kein Gerüth, keinen Wagen u. tgi. im Mondschein stehen lassen, da es sonst bald entzwei geht. Aus ähnlichen Gründen ist es in Schlesien verboten, Wäsche im Mondschein hängen zu lassen. Wer aus einem Bach oder Brunnen trinkt, in den der Mond scheint, begeht in der Oberpfalz einen Frevel (entweder gegen sich selbst oder gegen den Mond) weil er den (giftigen?) Mond mit hinein trinkt. Ebendaselbst darf man im Mondschein nicht tanzen, weil dann die Decke der Erde so dünn wie Spinne¬ webe ist und die Geister durch das Tanzen heraufgelockt werden. Verboten ist ferner in vielen Gegenden Deutschlands, umgetaufte Kinder dem Mondschein auszusetzen, da sie leicht mondsüchtig oder Zauberer werden, sehr unklug, nach dem Mond mit den Fingern zu weisen, weil man dann ein Nagelgeschwür, oder gegen ihn auszuspeien, weil man sonst einen Ausschlag um den Mund Grenzboten I. 1S60, 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/509>, abgerufen am 31.05.2024.