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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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rennen, du sollst nicht mehr brennen, du sollst nicht mehr brechen, du sollst
nicht mehr stechen. Der du unter den Neunundneunzig und siebenundsiebzig
bist, sicherlich magst du vergehen, wie die weiße Wand (wie der Mondschein
von der Wand?), da unser Herr Jesus am Kreuze sang. Im Namen u. s. w."

Jedenfalls ist der Mond auch bei anderm Zauberwerk nothwendiger Helfer.
So beim Gießen von Freikugeln, beim Diebsbann, bei der Anfertigung von
Wünschelruthen. Einen hierher gehörigen Aberglauben theilt Kühn in seinen
"Sagen. Gebräuchen und Märchen aus Westfalen" mit. Es ist eine Anweisung,
einen Stecken zu schneiden, mit dem man einen Abwesenden prügeln kann.
Man schneidet denselben an einem Dienstag, wenn der Mond neu wird, im
Namen der Dreieinigkeit, zieht seinen Rock aus, schlägt, indem man den Namen
des zu Prügelnden nennt, tapfer drauflos, und derselbe bekommt die Schläge,
gleichviel wie weit er entfernt ist.

Nicht zu verwundern ist es, wenn der Mond, der so viel vermag, auch
als Schutzmittel gegen magische Einwirkungen, als Gcgenzanber, als Amulet,
namentlich gegen den bösen oder neidischen Blick gebraucht wurde. In Deutsch¬
land scheint dieser Aberglaube -- wenn man von den Mondchen an unsern
Pferdczäumen, die aus der Türkei stammen, und von dem Umstand absieht,
daß von der Ritterrüstung des Mittelalters bei unsern Offizieren einzig der
halbmondförmige Ringklagen übrig geblieben ist -- nicht vorzukommen. Da¬
gegen finden wir denselben unter den Griechen und Römern, im heutigen Ita¬
lien und vor allem im alten und neuen Orient weit verbreitet. Sehr wahr¬
scheinlich waren die Mondchen, welche die Kameele der Richter 8, 21 genann-
ten Beduinenemire Schah und Zalmuna trugen, und-ebenso die Jesaias 3,
18 erwähnten, zum Schmuck der hebräischen Modedamen gehörigen kleinen
Monde^) solche Amulete. Der halbe Mond aus den türkischen Moscheen, der
bekanntlich schon das Wahrzeichen des alten Byzanz war. welches er nach der
Sage vor einem nächtlichen Ueberfall bewahrte, ist ein Ueberbleibsel des Heiden-
thums. Wie er noch jetzt in der Türkei, Kindern und Pferden um den Hals
gehangen, als Mittel gegen Augenzaubcr dient, so war er schon im Alterthum
ein solches Amulet. Bekannt sind die ^-axo-, welche die Griechen, die luvn-
lag, welche die Römer ihren Kindern als Schutzwehr gegen den Neid der
Götter und Menschen und vorzüglich gegen den ö<xö"^os ^"nx""^ das zau¬
bernde Auge, umzuhängen pflegten. Auch Frauen wahrten sich mit solchen
Mondchen, welche aus Gold, Silber oder Bein gemacht und an einem Band
um den Hals getragen wurden. Ebenso hing man sie, wie die Basreliefs der
Trajanssäule (vgl. Jahr, über den Aberglauben des bösen Blicks S. 42) zei¬
gen, Pferden um. Wahrscheinlich sicherte man mit ihnen auch leblose Gegenstände,
Häuser, Stadtthore, und so könnte jenes Wahrzeichen des vorchristlichen By-



") Luther hat das hebräische Wort nicht genau mit "Spangen" wiedergegeben.

rennen, du sollst nicht mehr brennen, du sollst nicht mehr brechen, du sollst
nicht mehr stechen. Der du unter den Neunundneunzig und siebenundsiebzig
bist, sicherlich magst du vergehen, wie die weiße Wand (wie der Mondschein
von der Wand?), da unser Herr Jesus am Kreuze sang. Im Namen u. s. w."

Jedenfalls ist der Mond auch bei anderm Zauberwerk nothwendiger Helfer.
So beim Gießen von Freikugeln, beim Diebsbann, bei der Anfertigung von
Wünschelruthen. Einen hierher gehörigen Aberglauben theilt Kühn in seinen
„Sagen. Gebräuchen und Märchen aus Westfalen" mit. Es ist eine Anweisung,
einen Stecken zu schneiden, mit dem man einen Abwesenden prügeln kann.
Man schneidet denselben an einem Dienstag, wenn der Mond neu wird, im
Namen der Dreieinigkeit, zieht seinen Rock aus, schlägt, indem man den Namen
des zu Prügelnden nennt, tapfer drauflos, und derselbe bekommt die Schläge,
gleichviel wie weit er entfernt ist.

Nicht zu verwundern ist es, wenn der Mond, der so viel vermag, auch
als Schutzmittel gegen magische Einwirkungen, als Gcgenzanber, als Amulet,
namentlich gegen den bösen oder neidischen Blick gebraucht wurde. In Deutsch¬
land scheint dieser Aberglaube — wenn man von den Mondchen an unsern
Pferdczäumen, die aus der Türkei stammen, und von dem Umstand absieht,
daß von der Ritterrüstung des Mittelalters bei unsern Offizieren einzig der
halbmondförmige Ringklagen übrig geblieben ist — nicht vorzukommen. Da¬
gegen finden wir denselben unter den Griechen und Römern, im heutigen Ita¬
lien und vor allem im alten und neuen Orient weit verbreitet. Sehr wahr¬
scheinlich waren die Mondchen, welche die Kameele der Richter 8, 21 genann-
ten Beduinenemire Schah und Zalmuna trugen, und-ebenso die Jesaias 3,
18 erwähnten, zum Schmuck der hebräischen Modedamen gehörigen kleinen
Monde^) solche Amulete. Der halbe Mond aus den türkischen Moscheen, der
bekanntlich schon das Wahrzeichen des alten Byzanz war. welches er nach der
Sage vor einem nächtlichen Ueberfall bewahrte, ist ein Ueberbleibsel des Heiden-
thums. Wie er noch jetzt in der Türkei, Kindern und Pferden um den Hals
gehangen, als Mittel gegen Augenzaubcr dient, so war er schon im Alterthum
ein solches Amulet. Bekannt sind die ^-axo-, welche die Griechen, die luvn-
lag, welche die Römer ihren Kindern als Schutzwehr gegen den Neid der
Götter und Menschen und vorzüglich gegen den ö<xö«^os ^«nx«»^ das zau¬
bernde Auge, umzuhängen pflegten. Auch Frauen wahrten sich mit solchen
Mondchen, welche aus Gold, Silber oder Bein gemacht und an einem Band
um den Hals getragen wurden. Ebenso hing man sie, wie die Basreliefs der
Trajanssäule (vgl. Jahr, über den Aberglauben des bösen Blicks S. 42) zei¬
gen, Pferden um. Wahrscheinlich sicherte man mit ihnen auch leblose Gegenstände,
Häuser, Stadtthore, und so könnte jenes Wahrzeichen des vorchristlichen By-



") Luther hat das hebräische Wort nicht genau mit „Spangen" wiedergegeben.
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[0513] rennen, du sollst nicht mehr brennen, du sollst nicht mehr brechen, du sollst nicht mehr stechen. Der du unter den Neunundneunzig und siebenundsiebzig bist, sicherlich magst du vergehen, wie die weiße Wand (wie der Mondschein von der Wand?), da unser Herr Jesus am Kreuze sang. Im Namen u. s. w." Jedenfalls ist der Mond auch bei anderm Zauberwerk nothwendiger Helfer. So beim Gießen von Freikugeln, beim Diebsbann, bei der Anfertigung von Wünschelruthen. Einen hierher gehörigen Aberglauben theilt Kühn in seinen „Sagen. Gebräuchen und Märchen aus Westfalen" mit. Es ist eine Anweisung, einen Stecken zu schneiden, mit dem man einen Abwesenden prügeln kann. Man schneidet denselben an einem Dienstag, wenn der Mond neu wird, im Namen der Dreieinigkeit, zieht seinen Rock aus, schlägt, indem man den Namen des zu Prügelnden nennt, tapfer drauflos, und derselbe bekommt die Schläge, gleichviel wie weit er entfernt ist. Nicht zu verwundern ist es, wenn der Mond, der so viel vermag, auch als Schutzmittel gegen magische Einwirkungen, als Gcgenzanber, als Amulet, namentlich gegen den bösen oder neidischen Blick gebraucht wurde. In Deutsch¬ land scheint dieser Aberglaube — wenn man von den Mondchen an unsern Pferdczäumen, die aus der Türkei stammen, und von dem Umstand absieht, daß von der Ritterrüstung des Mittelalters bei unsern Offizieren einzig der halbmondförmige Ringklagen übrig geblieben ist — nicht vorzukommen. Da¬ gegen finden wir denselben unter den Griechen und Römern, im heutigen Ita¬ lien und vor allem im alten und neuen Orient weit verbreitet. Sehr wahr¬ scheinlich waren die Mondchen, welche die Kameele der Richter 8, 21 genann- ten Beduinenemire Schah und Zalmuna trugen, und-ebenso die Jesaias 3, 18 erwähnten, zum Schmuck der hebräischen Modedamen gehörigen kleinen Monde^) solche Amulete. Der halbe Mond aus den türkischen Moscheen, der bekanntlich schon das Wahrzeichen des alten Byzanz war. welches er nach der Sage vor einem nächtlichen Ueberfall bewahrte, ist ein Ueberbleibsel des Heiden- thums. Wie er noch jetzt in der Türkei, Kindern und Pferden um den Hals gehangen, als Mittel gegen Augenzaubcr dient, so war er schon im Alterthum ein solches Amulet. Bekannt sind die ^-axo-, welche die Griechen, die luvn- lag, welche die Römer ihren Kindern als Schutzwehr gegen den Neid der Götter und Menschen und vorzüglich gegen den ö<xö«^os ^«nx«»^ das zau¬ bernde Auge, umzuhängen pflegten. Auch Frauen wahrten sich mit solchen Mondchen, welche aus Gold, Silber oder Bein gemacht und an einem Band um den Hals getragen wurden. Ebenso hing man sie, wie die Basreliefs der Trajanssäule (vgl. Jahr, über den Aberglauben des bösen Blicks S. 42) zei¬ gen, Pferden um. Wahrscheinlich sicherte man mit ihnen auch leblose Gegenstände, Häuser, Stadtthore, und so könnte jenes Wahrzeichen des vorchristlichen By- ") Luther hat das hebräische Wort nicht genau mit „Spangen" wiedergegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/513>, abgerufen am 31.05.2024.