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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Was aber wollte Mirabeau eigentlich? Seine Lage war so zweideutig,
daß es für ihn kaum noch einen Ausweg gab. Seine Popularität hatte er
sich im leidenschaftlichen Kampf gegen die Royalisten erworben; es ist wahr,
seine Principien waren immer monarchisch; aber wenn er nun mit derselben
Heftigkeit gegen seine Bundesgenossen zu Felde ziehen wollte, so wäre das
doch von der Partei als Verrath empfunden worden und seine Popularität,
das einzige, was er dem König bieten konnte, hätte damit aufgehört. Die
Treue wird nicht blos nach abstrakten Prinzipien abgemessen, sie hängt auch
von persönlichen Beziehungen ab. und die Rathschläge, welche Mirabeau dem
König gegen die Nationalversammlung ertheilte, würde man zu jeder Zeit
Verrath nennen. Seine Sprache aus der Rednerbühne war eine ganz andere
als in seinen Briefen, und einigemale ließ er sich, während er hier dem König
leine Treue aufs leidenschaftlichste betheuerte, dort zu heftigen Declamationen
im alten Stil verleiten, für die er dann gegen Arcmbcrg demüthig Abbitte
leistete. Das schlimmste bleibt doch, daß er für seine Bekehrung sich Geld,
ja ungeheuer viel Geld geben ließ. Man hat hier sehr feine Distinctionen
gemacht, er habe ja doch dieses Geldes wegen seine Ueberzeugung nicht ver¬
leugnet u. s. w., aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Bei Mira-
beaus leichtsinniger Verschwendung mußte es bald bekannt werden, und das
natürliche Gefühl, an feine Distinctionen nicht gewöhnt, nennt denjenigen, der
zuerst heftig für die eine, dann ebenso heftig für die andere Seite spricht und
handelt, wenn er in der Zwischenzeit von der letzteren Geld erhalten hat. einen
feilen Verräther. So würde sich die allgemeine Stimme in Frankreich aus¬
gesprochen haben, und genau ebenso empfand der König, der sich über diesen
Kauf um Bouillo mit aller Verachtung ausspricht, deren er nur fähig war.
Mirabeau brachte dem König nichts als seine Person, er hatte ihm gegenüber
nicht die geringste Stütze, keine Partei, keine Classe, keine öffentliche Macht
war in seiner Hand; die Konstitutionellen hätten ihn ebenso gehaßt wie die
Royalisten und die Demokraten, und wenn es ihm wirklich gelungen wäre,
woran gar nicht zu denken ist, die Revolution niebeizuschlagen, so hätte der
Hof alsbald ihn mitsammt seiner Verfassung mit einem Fußtritt entfernt.
Nie ist ein Mensch zu einer glücklicheren Zeit gestorben als Mirabeau; er
hätte sonst wahrscheinlich ein schmähliches Ende gehabt. -- Was Lafayette
betrifft, so fehlte ihm allerdings in den beiden Momenten, wo es ihm möglich
gewesen wäre, die Dictatur um sich zu reißen, die nöthige Rücksichtslosigkeit;
jein abstractcs Pflichtgefühl hielt ihn von dem entscheidenden Gewaltschritt
zurück. Das war schlimm genug für Frankreich. Er selbst aber ist doch auf
eine möglichst anständige Weise abgetreten, und dies ist der einzige Punkt, wo
auch Sybel seine gewöhnlich tadelnden Beiwörter zurückhält.

Noch einmal, wir haben bei dieser Betrachtung etwas mehr im Auge,


Was aber wollte Mirabeau eigentlich? Seine Lage war so zweideutig,
daß es für ihn kaum noch einen Ausweg gab. Seine Popularität hatte er
sich im leidenschaftlichen Kampf gegen die Royalisten erworben; es ist wahr,
seine Principien waren immer monarchisch; aber wenn er nun mit derselben
Heftigkeit gegen seine Bundesgenossen zu Felde ziehen wollte, so wäre das
doch von der Partei als Verrath empfunden worden und seine Popularität,
das einzige, was er dem König bieten konnte, hätte damit aufgehört. Die
Treue wird nicht blos nach abstrakten Prinzipien abgemessen, sie hängt auch
von persönlichen Beziehungen ab. und die Rathschläge, welche Mirabeau dem
König gegen die Nationalversammlung ertheilte, würde man zu jeder Zeit
Verrath nennen. Seine Sprache aus der Rednerbühne war eine ganz andere
als in seinen Briefen, und einigemale ließ er sich, während er hier dem König
leine Treue aufs leidenschaftlichste betheuerte, dort zu heftigen Declamationen
im alten Stil verleiten, für die er dann gegen Arcmbcrg demüthig Abbitte
leistete. Das schlimmste bleibt doch, daß er für seine Bekehrung sich Geld,
ja ungeheuer viel Geld geben ließ. Man hat hier sehr feine Distinctionen
gemacht, er habe ja doch dieses Geldes wegen seine Ueberzeugung nicht ver¬
leugnet u. s. w., aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Bei Mira-
beaus leichtsinniger Verschwendung mußte es bald bekannt werden, und das
natürliche Gefühl, an feine Distinctionen nicht gewöhnt, nennt denjenigen, der
zuerst heftig für die eine, dann ebenso heftig für die andere Seite spricht und
handelt, wenn er in der Zwischenzeit von der letzteren Geld erhalten hat. einen
feilen Verräther. So würde sich die allgemeine Stimme in Frankreich aus¬
gesprochen haben, und genau ebenso empfand der König, der sich über diesen
Kauf um Bouillo mit aller Verachtung ausspricht, deren er nur fähig war.
Mirabeau brachte dem König nichts als seine Person, er hatte ihm gegenüber
nicht die geringste Stütze, keine Partei, keine Classe, keine öffentliche Macht
war in seiner Hand; die Konstitutionellen hätten ihn ebenso gehaßt wie die
Royalisten und die Demokraten, und wenn es ihm wirklich gelungen wäre,
woran gar nicht zu denken ist, die Revolution niebeizuschlagen, so hätte der
Hof alsbald ihn mitsammt seiner Verfassung mit einem Fußtritt entfernt.
Nie ist ein Mensch zu einer glücklicheren Zeit gestorben als Mirabeau; er
hätte sonst wahrscheinlich ein schmähliches Ende gehabt. — Was Lafayette
betrifft, so fehlte ihm allerdings in den beiden Momenten, wo es ihm möglich
gewesen wäre, die Dictatur um sich zu reißen, die nöthige Rücksichtslosigkeit;
jein abstractcs Pflichtgefühl hielt ihn von dem entscheidenden Gewaltschritt
zurück. Das war schlimm genug für Frankreich. Er selbst aber ist doch auf
eine möglichst anständige Weise abgetreten, und dies ist der einzige Punkt, wo
auch Sybel seine gewöhnlich tadelnden Beiwörter zurückhält.

Noch einmal, wir haben bei dieser Betrachtung etwas mehr im Auge,


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[0523] Was aber wollte Mirabeau eigentlich? Seine Lage war so zweideutig, daß es für ihn kaum noch einen Ausweg gab. Seine Popularität hatte er sich im leidenschaftlichen Kampf gegen die Royalisten erworben; es ist wahr, seine Principien waren immer monarchisch; aber wenn er nun mit derselben Heftigkeit gegen seine Bundesgenossen zu Felde ziehen wollte, so wäre das doch von der Partei als Verrath empfunden worden und seine Popularität, das einzige, was er dem König bieten konnte, hätte damit aufgehört. Die Treue wird nicht blos nach abstrakten Prinzipien abgemessen, sie hängt auch von persönlichen Beziehungen ab. und die Rathschläge, welche Mirabeau dem König gegen die Nationalversammlung ertheilte, würde man zu jeder Zeit Verrath nennen. Seine Sprache aus der Rednerbühne war eine ganz andere als in seinen Briefen, und einigemale ließ er sich, während er hier dem König leine Treue aufs leidenschaftlichste betheuerte, dort zu heftigen Declamationen im alten Stil verleiten, für die er dann gegen Arcmbcrg demüthig Abbitte leistete. Das schlimmste bleibt doch, daß er für seine Bekehrung sich Geld, ja ungeheuer viel Geld geben ließ. Man hat hier sehr feine Distinctionen gemacht, er habe ja doch dieses Geldes wegen seine Ueberzeugung nicht ver¬ leugnet u. s. w., aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Bei Mira- beaus leichtsinniger Verschwendung mußte es bald bekannt werden, und das natürliche Gefühl, an feine Distinctionen nicht gewöhnt, nennt denjenigen, der zuerst heftig für die eine, dann ebenso heftig für die andere Seite spricht und handelt, wenn er in der Zwischenzeit von der letzteren Geld erhalten hat. einen feilen Verräther. So würde sich die allgemeine Stimme in Frankreich aus¬ gesprochen haben, und genau ebenso empfand der König, der sich über diesen Kauf um Bouillo mit aller Verachtung ausspricht, deren er nur fähig war. Mirabeau brachte dem König nichts als seine Person, er hatte ihm gegenüber nicht die geringste Stütze, keine Partei, keine Classe, keine öffentliche Macht war in seiner Hand; die Konstitutionellen hätten ihn ebenso gehaßt wie die Royalisten und die Demokraten, und wenn es ihm wirklich gelungen wäre, woran gar nicht zu denken ist, die Revolution niebeizuschlagen, so hätte der Hof alsbald ihn mitsammt seiner Verfassung mit einem Fußtritt entfernt. Nie ist ein Mensch zu einer glücklicheren Zeit gestorben als Mirabeau; er hätte sonst wahrscheinlich ein schmähliches Ende gehabt. — Was Lafayette betrifft, so fehlte ihm allerdings in den beiden Momenten, wo es ihm möglich gewesen wäre, die Dictatur um sich zu reißen, die nöthige Rücksichtslosigkeit; jein abstractcs Pflichtgefühl hielt ihn von dem entscheidenden Gewaltschritt zurück. Das war schlimm genug für Frankreich. Er selbst aber ist doch auf eine möglichst anständige Weise abgetreten, und dies ist der einzige Punkt, wo auch Sybel seine gewöhnlich tadelnden Beiwörter zurückhält. Noch einmal, wir haben bei dieser Betrachtung etwas mehr im Auge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/523>, abgerufen am 03.06.2024.