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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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gestellt. Mitten unter seinen juristischen Arbeiten schrieb er sein erstes poeti¬
sches Werk, die Vigilien, welches ihm "die Gnade und Liebe des aufge¬
regten Publicums erwarb." "Diese erkaltete plötzlich, als ich 1832 die Er¬
nennung zum außerordentlichen Referenten im Ministerium des Hr. Hassen-
pflug annahm."

Hier bleibt eine Lücke; der Verfasser erzählt nicht, was ihn bewogen hat
diese Ernennung anzunehmen, von der es sehr begreiflich ist, daß sie die
Stimme des Publicums erkältete. "Mit dem Publicum zerfallen, zerfiel ich
bald mit mir selbst und begann statt der Prüfungsarbeiten ein ungebundenes
Leben, das mich in Schulden und allerlei Verwirrung stürzte und im Dec.
1834 (kurz nach dem Erscheinen des Rosa-Stramin) zu dem Entschluß brachte,
das Vaterland heimlich und ohne bestimmte Aussicht zu verlassen. Ich wen¬
dete mich nach Straßburg. Verschiedene Pläne, mir eine Existenz zu gründen,
mißglückter hier und in Paris, und schon nach einigen Monaten bestimmte
mich der gänzliche Mangel an Subfistenzmitteln, in die französische Armee
einzutreten. Man sandte die Freiwilligen über Toulon nach Algier in die
Fremdenlegion. Diese wurden noch in demselben Sommer nach Spanien als
Hilfstruppen der Königin Christina gegen die Carlisten übergeführt und ich
theilte nun das Schicksal dieses Corps, das innerhalb zweier Jahre durch
Kugeln, Krankheiten und Strapazen von 7000 aus 381 Mann herabschmolz."
Schwer verwundet, wurde er den 15. März 1837 in das Lazarett) von Pam-
plona gebracht, wo er in ein schweres Nervenfieber verfiel. Was dort mit
ihm vorging, hat er in einem andern Aufsatz berichtet.

"Das in jedem Menschen wohnende Bedürfniß des Glaubens hatte bei
mir sich schon früher in ruhigen Stunden in der Art geregt, daß ich mir vor¬
nahm, wenn ich einmal Zeit Hütte, mir mein vollständiges Glaubensbekennt-
niß aufzubauen, damit ich wüßte, woran ich wäre. Denn am Ende muß man
doch, dacht' ich, an etwas glauben, und mit sich über dies wichtige Capitel
im Reinen sein. Aehnliches kam mir hier im Hosspital in den Sinn, indem ich
nach vier Wochen zum ersten Mal mit ruhiger Besinnung aufgewacht war,
dem Tode, wie es schien, durch Zufall entrissen. Aber warum fing ich nicht
damit an, die Lehren, in denen ich erzogen war, wenn nicht unbedingt an¬
zunehmen, doch wenigstens näher zu prüfen? Eben darum nicht, weil ich
drin erzogen war, und nach denselben es meinem forschenden Geist frei stand,
mich von einer Unterwerfung oder einer Prüfung zu dispensiren oder nicht.
Es wird keinem Katholiken einfallen, sich in einer Stunde der Muße seinen
Glauben selber machen zu wollen, oder er tritt, wenn er wirklich diesen Ent¬
schluß faßt, sofort aus das Gebiet des Protestantismus. Daß ich nun die
Iber, mir ein System meines Glaubens zu bauen, (welches ich mir wahr¬
scheinlich sehr bequem eingerichtet haben würde) bald wieder aufgab, läßt sich


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gestellt. Mitten unter seinen juristischen Arbeiten schrieb er sein erstes poeti¬
sches Werk, die Vigilien, welches ihm „die Gnade und Liebe des aufge¬
regten Publicums erwarb." „Diese erkaltete plötzlich, als ich 1832 die Er¬
nennung zum außerordentlichen Referenten im Ministerium des Hr. Hassen-
pflug annahm."

Hier bleibt eine Lücke; der Verfasser erzählt nicht, was ihn bewogen hat
diese Ernennung anzunehmen, von der es sehr begreiflich ist, daß sie die
Stimme des Publicums erkältete. „Mit dem Publicum zerfallen, zerfiel ich
bald mit mir selbst und begann statt der Prüfungsarbeiten ein ungebundenes
Leben, das mich in Schulden und allerlei Verwirrung stürzte und im Dec.
1834 (kurz nach dem Erscheinen des Rosa-Stramin) zu dem Entschluß brachte,
das Vaterland heimlich und ohne bestimmte Aussicht zu verlassen. Ich wen¬
dete mich nach Straßburg. Verschiedene Pläne, mir eine Existenz zu gründen,
mißglückter hier und in Paris, und schon nach einigen Monaten bestimmte
mich der gänzliche Mangel an Subfistenzmitteln, in die französische Armee
einzutreten. Man sandte die Freiwilligen über Toulon nach Algier in die
Fremdenlegion. Diese wurden noch in demselben Sommer nach Spanien als
Hilfstruppen der Königin Christina gegen die Carlisten übergeführt und ich
theilte nun das Schicksal dieses Corps, das innerhalb zweier Jahre durch
Kugeln, Krankheiten und Strapazen von 7000 aus 381 Mann herabschmolz."
Schwer verwundet, wurde er den 15. März 1837 in das Lazarett) von Pam-
plona gebracht, wo er in ein schweres Nervenfieber verfiel. Was dort mit
ihm vorging, hat er in einem andern Aufsatz berichtet.

„Das in jedem Menschen wohnende Bedürfniß des Glaubens hatte bei
mir sich schon früher in ruhigen Stunden in der Art geregt, daß ich mir vor¬
nahm, wenn ich einmal Zeit Hütte, mir mein vollständiges Glaubensbekennt-
niß aufzubauen, damit ich wüßte, woran ich wäre. Denn am Ende muß man
doch, dacht' ich, an etwas glauben, und mit sich über dies wichtige Capitel
im Reinen sein. Aehnliches kam mir hier im Hosspital in den Sinn, indem ich
nach vier Wochen zum ersten Mal mit ruhiger Besinnung aufgewacht war,
dem Tode, wie es schien, durch Zufall entrissen. Aber warum fing ich nicht
damit an, die Lehren, in denen ich erzogen war, wenn nicht unbedingt an¬
zunehmen, doch wenigstens näher zu prüfen? Eben darum nicht, weil ich
drin erzogen war, und nach denselben es meinem forschenden Geist frei stand,
mich von einer Unterwerfung oder einer Prüfung zu dispensiren oder nicht.
Es wird keinem Katholiken einfallen, sich in einer Stunde der Muße seinen
Glauben selber machen zu wollen, oder er tritt, wenn er wirklich diesen Ent¬
schluß faßt, sofort aus das Gebiet des Protestantismus. Daß ich nun die
Iber, mir ein System meines Glaubens zu bauen, (welches ich mir wahr¬
scheinlich sehr bequem eingerichtet haben würde) bald wieder aufgab, läßt sich


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[0527] gestellt. Mitten unter seinen juristischen Arbeiten schrieb er sein erstes poeti¬ sches Werk, die Vigilien, welches ihm „die Gnade und Liebe des aufge¬ regten Publicums erwarb." „Diese erkaltete plötzlich, als ich 1832 die Er¬ nennung zum außerordentlichen Referenten im Ministerium des Hr. Hassen- pflug annahm." Hier bleibt eine Lücke; der Verfasser erzählt nicht, was ihn bewogen hat diese Ernennung anzunehmen, von der es sehr begreiflich ist, daß sie die Stimme des Publicums erkältete. „Mit dem Publicum zerfallen, zerfiel ich bald mit mir selbst und begann statt der Prüfungsarbeiten ein ungebundenes Leben, das mich in Schulden und allerlei Verwirrung stürzte und im Dec. 1834 (kurz nach dem Erscheinen des Rosa-Stramin) zu dem Entschluß brachte, das Vaterland heimlich und ohne bestimmte Aussicht zu verlassen. Ich wen¬ dete mich nach Straßburg. Verschiedene Pläne, mir eine Existenz zu gründen, mißglückter hier und in Paris, und schon nach einigen Monaten bestimmte mich der gänzliche Mangel an Subfistenzmitteln, in die französische Armee einzutreten. Man sandte die Freiwilligen über Toulon nach Algier in die Fremdenlegion. Diese wurden noch in demselben Sommer nach Spanien als Hilfstruppen der Königin Christina gegen die Carlisten übergeführt und ich theilte nun das Schicksal dieses Corps, das innerhalb zweier Jahre durch Kugeln, Krankheiten und Strapazen von 7000 aus 381 Mann herabschmolz." Schwer verwundet, wurde er den 15. März 1837 in das Lazarett) von Pam- plona gebracht, wo er in ein schweres Nervenfieber verfiel. Was dort mit ihm vorging, hat er in einem andern Aufsatz berichtet. „Das in jedem Menschen wohnende Bedürfniß des Glaubens hatte bei mir sich schon früher in ruhigen Stunden in der Art geregt, daß ich mir vor¬ nahm, wenn ich einmal Zeit Hütte, mir mein vollständiges Glaubensbekennt- niß aufzubauen, damit ich wüßte, woran ich wäre. Denn am Ende muß man doch, dacht' ich, an etwas glauben, und mit sich über dies wichtige Capitel im Reinen sein. Aehnliches kam mir hier im Hosspital in den Sinn, indem ich nach vier Wochen zum ersten Mal mit ruhiger Besinnung aufgewacht war, dem Tode, wie es schien, durch Zufall entrissen. Aber warum fing ich nicht damit an, die Lehren, in denen ich erzogen war, wenn nicht unbedingt an¬ zunehmen, doch wenigstens näher zu prüfen? Eben darum nicht, weil ich drin erzogen war, und nach denselben es meinem forschenden Geist frei stand, mich von einer Unterwerfung oder einer Prüfung zu dispensiren oder nicht. Es wird keinem Katholiken einfallen, sich in einer Stunde der Muße seinen Glauben selber machen zu wollen, oder er tritt, wenn er wirklich diesen Ent¬ schluß faßt, sofort aus das Gebiet des Protestantismus. Daß ich nun die Iber, mir ein System meines Glaubens zu bauen, (welches ich mir wahr¬ scheinlich sehr bequem eingerichtet haben würde) bald wieder aufgab, läßt sich 65*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/527>, abgerufen am 14.05.2024.