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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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gnügen hören, daß alle Länder, groß und klein, wie sie im Buch bei Deutsch¬
land stehen, das Baterland des Deutschen sein. Der deutsche Bund -- Gott
geb ihm Friede! it849 geschrieben!) -- hat immer, seit der Völkerschlacht, bei
diesem geograph'sah en Liede ein fürchterlich Gesicht gemacht. Und als der deutsche
Bund entschlafen, wie ist das Lied dahergesaust! wie ists den Fürsten und den
Grafen gleich Sturmwind in den Kopf gebraust! . . > Wohin ich möcht durch
Deutschland wandern, am Rhein und an der Donau Strand, hat einer stets
gefragt den andern: was ist des Deutschen Vaterland? Da sprach an einen,
schönen Tage zu Wien Herr Raveaux frank und frei, daß nunmehr auf die
ewge Frage die Antwort schon gefunden sei. Doch dieses war nur eine
Flause, noch bellte ist es unbekannt, noch singen sie bei jedem Schmause-.
Was ist des Deutschen Vaterland?" -- U. s. w.; es ist auch uns nichts Neues.
-- Zu etwas Anderem. --

Den beiden Romanen, die wir im vorigen Heft besprochen, sei ein frisches hei'
leech Lebensbild gegenübergestellt: Otte Kain e it en von Fritz Reuter (Wis-
mar, Hinstvrf.) Die Zeichnung des Einzelnen ist vortrefflich. Charaktere und Be¬
gebenheiten mit vollkommen sicherer Hand ausgeführt und dabei eine übermüthige
Lustigkeit, die wirklich überwältigend wirkt. Das Plattdeutsche ist uns nicht
geläufig, trotzdem macht das Ganze einen rein ästhetischen Eindruck auf uns,
und diese Wirkung wird nirgend ausbleiben, wo Sinn für ein frisches natür¬
liches Leben vorhanden ist. Claus Groth ist mit seinen Hoffnungen auf die
plattdeutsche Sprache nach unserer Ueberzeugung zu weit gegangen. 1) wäre
es gar nicht Wünschenswert!), wenn die deutsche Nation, die sich doch sprach¬
lich wenigstens als solche fühlt, sich wieder in zwei Nationen spalten sollte, und
2) darf man nicht vergessen, daß das Plattdeutsch doch nie in dem Sinn
Schriftsprache werden kann-wie das Hochdeutsche, weil es die große Entwick¬
lung des vorigen Jahrhunderts nicht selber durchgemacht und sie indirect doch
empfunden hat. Auch für den Niederdeutschen ist das Hochdeutsche die
eigentliche Schriftsprache, und er empfindet sein eigenes Platt als eine
Ausdrucksform, die hauptsächlich für ganz bestimmte Empfindungen und
Gedanken eingerichtet ist. Jedenfalls empfinden wir es so, und während uns
der frische derbe Humor in den plattdeutschen Sprichwörtern und Volksliedern,
so wie in diesen naturwüchsigen lustigen Geschichten im höchsten Grade an¬
zieht, empfinden wir bei sentimentalen und pathetischen Gedichten so, als ob
bekannte hochdeutsch gedachte Anschauungen in ein ihnen fremdes und wider¬
strebendes Gewand eingehüllt wären. Fritz Reuter ist ein echter Dichter und
wird sich um so mehr Geltung verschaffen, wenn er es mit der Composition
und zum Theil auch mit der Bestimmung seiner Personen genauer nimmt;
namentlich bei der ersten Geschichte, so vortrefflich die einzelnen Bilder sind,


gnügen hören, daß alle Länder, groß und klein, wie sie im Buch bei Deutsch¬
land stehen, das Baterland des Deutschen sein. Der deutsche Bund — Gott
geb ihm Friede! it849 geschrieben!) — hat immer, seit der Völkerschlacht, bei
diesem geograph'sah en Liede ein fürchterlich Gesicht gemacht. Und als der deutsche
Bund entschlafen, wie ist das Lied dahergesaust! wie ists den Fürsten und den
Grafen gleich Sturmwind in den Kopf gebraust! . . > Wohin ich möcht durch
Deutschland wandern, am Rhein und an der Donau Strand, hat einer stets
gefragt den andern: was ist des Deutschen Vaterland? Da sprach an einen,
schönen Tage zu Wien Herr Raveaux frank und frei, daß nunmehr auf die
ewge Frage die Antwort schon gefunden sei. Doch dieses war nur eine
Flause, noch bellte ist es unbekannt, noch singen sie bei jedem Schmause-.
Was ist des Deutschen Vaterland?" — U. s. w.; es ist auch uns nichts Neues.
— Zu etwas Anderem. —

Den beiden Romanen, die wir im vorigen Heft besprochen, sei ein frisches hei'
leech Lebensbild gegenübergestellt: Otte Kain e it en von Fritz Reuter (Wis-
mar, Hinstvrf.) Die Zeichnung des Einzelnen ist vortrefflich. Charaktere und Be¬
gebenheiten mit vollkommen sicherer Hand ausgeführt und dabei eine übermüthige
Lustigkeit, die wirklich überwältigend wirkt. Das Plattdeutsche ist uns nicht
geläufig, trotzdem macht das Ganze einen rein ästhetischen Eindruck auf uns,
und diese Wirkung wird nirgend ausbleiben, wo Sinn für ein frisches natür¬
liches Leben vorhanden ist. Claus Groth ist mit seinen Hoffnungen auf die
plattdeutsche Sprache nach unserer Ueberzeugung zu weit gegangen. 1) wäre
es gar nicht Wünschenswert!), wenn die deutsche Nation, die sich doch sprach¬
lich wenigstens als solche fühlt, sich wieder in zwei Nationen spalten sollte, und
2) darf man nicht vergessen, daß das Plattdeutsch doch nie in dem Sinn
Schriftsprache werden kann-wie das Hochdeutsche, weil es die große Entwick¬
lung des vorigen Jahrhunderts nicht selber durchgemacht und sie indirect doch
empfunden hat. Auch für den Niederdeutschen ist das Hochdeutsche die
eigentliche Schriftsprache, und er empfindet sein eigenes Platt als eine
Ausdrucksform, die hauptsächlich für ganz bestimmte Empfindungen und
Gedanken eingerichtet ist. Jedenfalls empfinden wir es so, und während uns
der frische derbe Humor in den plattdeutschen Sprichwörtern und Volksliedern,
so wie in diesen naturwüchsigen lustigen Geschichten im höchsten Grade an¬
zieht, empfinden wir bei sentimentalen und pathetischen Gedichten so, als ob
bekannte hochdeutsch gedachte Anschauungen in ein ihnen fremdes und wider¬
strebendes Gewand eingehüllt wären. Fritz Reuter ist ein echter Dichter und
wird sich um so mehr Geltung verschaffen, wenn er es mit der Composition
und zum Theil auch mit der Bestimmung seiner Personen genauer nimmt;
namentlich bei der ersten Geschichte, so vortrefflich die einzelnen Bilder sind,


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[0529] gnügen hören, daß alle Länder, groß und klein, wie sie im Buch bei Deutsch¬ land stehen, das Baterland des Deutschen sein. Der deutsche Bund — Gott geb ihm Friede! it849 geschrieben!) — hat immer, seit der Völkerschlacht, bei diesem geograph'sah en Liede ein fürchterlich Gesicht gemacht. Und als der deutsche Bund entschlafen, wie ist das Lied dahergesaust! wie ists den Fürsten und den Grafen gleich Sturmwind in den Kopf gebraust! . . > Wohin ich möcht durch Deutschland wandern, am Rhein und an der Donau Strand, hat einer stets gefragt den andern: was ist des Deutschen Vaterland? Da sprach an einen, schönen Tage zu Wien Herr Raveaux frank und frei, daß nunmehr auf die ewge Frage die Antwort schon gefunden sei. Doch dieses war nur eine Flause, noch bellte ist es unbekannt, noch singen sie bei jedem Schmause-. Was ist des Deutschen Vaterland?" — U. s. w.; es ist auch uns nichts Neues. — Zu etwas Anderem. — Den beiden Romanen, die wir im vorigen Heft besprochen, sei ein frisches hei' leech Lebensbild gegenübergestellt: Otte Kain e it en von Fritz Reuter (Wis- mar, Hinstvrf.) Die Zeichnung des Einzelnen ist vortrefflich. Charaktere und Be¬ gebenheiten mit vollkommen sicherer Hand ausgeführt und dabei eine übermüthige Lustigkeit, die wirklich überwältigend wirkt. Das Plattdeutsche ist uns nicht geläufig, trotzdem macht das Ganze einen rein ästhetischen Eindruck auf uns, und diese Wirkung wird nirgend ausbleiben, wo Sinn für ein frisches natür¬ liches Leben vorhanden ist. Claus Groth ist mit seinen Hoffnungen auf die plattdeutsche Sprache nach unserer Ueberzeugung zu weit gegangen. 1) wäre es gar nicht Wünschenswert!), wenn die deutsche Nation, die sich doch sprach¬ lich wenigstens als solche fühlt, sich wieder in zwei Nationen spalten sollte, und 2) darf man nicht vergessen, daß das Plattdeutsch doch nie in dem Sinn Schriftsprache werden kann-wie das Hochdeutsche, weil es die große Entwick¬ lung des vorigen Jahrhunderts nicht selber durchgemacht und sie indirect doch empfunden hat. Auch für den Niederdeutschen ist das Hochdeutsche die eigentliche Schriftsprache, und er empfindet sein eigenes Platt als eine Ausdrucksform, die hauptsächlich für ganz bestimmte Empfindungen und Gedanken eingerichtet ist. Jedenfalls empfinden wir es so, und während uns der frische derbe Humor in den plattdeutschen Sprichwörtern und Volksliedern, so wie in diesen naturwüchsigen lustigen Geschichten im höchsten Grade an¬ zieht, empfinden wir bei sentimentalen und pathetischen Gedichten so, als ob bekannte hochdeutsch gedachte Anschauungen in ein ihnen fremdes und wider¬ strebendes Gewand eingehüllt wären. Fritz Reuter ist ein echter Dichter und wird sich um so mehr Geltung verschaffen, wenn er es mit der Composition und zum Theil auch mit der Bestimmung seiner Personen genauer nimmt; namentlich bei der ersten Geschichte, so vortrefflich die einzelnen Bilder sind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/529>, abgerufen am 14.05.2024.