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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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von 1831 trotz des angeblichen untrennbaren Zusammenhangs revidirt wer¬
den, und daß Einzelnes, vielleicht Vieles daraus beibehalten werden kann! Man
setzt ferner eine andere Verfassung an ihre Stelle ohne sie zu genehmigen
und läßt nach dieser Verfassung die Stände wählen, die sich darüber erklä¬
ren sollen. Und doch sollen diese Stände nicht etwa das Recht der Ableh¬
nung haben, wenigstens wird ihnen dieß nicht zugesprochen, was sollen sie
eigentlich? Die Bundesversammlung behält sich endlich die letzte Entscheidung
vor, ohne irgend eine Schranke. Sie kann also auch die Verfassung von
1851 wieder herstellen? oder nur Einiges wieder herausnehmen? oder nach
seinem Belieben und nach jenen Grundsätzen des höheren Rechts, die den
Bundestag auszeichnen, eine neue Verfassung construiren?

Die Widersprüche und Dunkelheiten dieses Beschlusses waren die noth¬
wendige Folge der Abweisung der Fesseln des wirklichen Rechtes; man be¬
trat noch obendrein, auf den morschen Stab der mangelhaftesten Gutachten
gestützt, einen Weg, von dem man kein Ende und kein Ziel sah. Eine wei¬
tere Folge ist die oben angedeutete.

Allerdings lassen sich die Stimmen der Bundesregieruugen hauptsächlich
in die drei Gruppen theilen, die sich durch die bekannten Denkschriften von
Preußen, Oestreich und Kurhessen charakterisiren. Am Weitesten vorgeschritten
ist Kurhessen, es vertheidigt noch jetzt die Reaction um ihrer selbst willen, es
steht noch völlig auf dem erhabenen Standpunkt jener Gutachten, die zum
Bundesbcschluß. von 1852 geführt haben. Für Oestreich ist dieser Beschluß
mehr nur ein kalt g-eeomM. Preußen erachtet sich dadurch nicht gebunden.
Aber mit diesen Gruppen sind die einzelnen Ansichten keineswegs erschöpft:
wir finden die zahlreichsten Nüancen.

Bei der Abstimmung zollte Oestreich dem "sachgemäßen und gründlichen
Gutachten des Ausschusses" -- war dieß Lob etwa nur der diplomatische
Zucker auf die Pille? -- die vollste Anerkennung, erklärte sich aber, lediglich
mit Rücksicht auf die seit Erstattung des Gutachtens zwischen den Regierungen
gepflogenen Verhandlungen und namentlich "wegen des zu Oestreichs Kenntniß
gekommenen Umstcindes, daß die kurhessische Regierung neue Erklärungen an die
B.-V- zurichten beabsichtige," vorerst für Zurückverweisung an den Ausschuß.
Darnach scheint das Ausschußgutachten gebilligt und nur auf weitere Mittheil¬
ungen der kurhessischen Regierung Rundsicht genommen zu werden, und damit
wäre man freilich sehr schnell am Ziele.

Mit Oestreich gehen Hannover, das Großherzogthum Hessen
und Nassau.

Baden, das bei seinem Votum im Jahre 1852 dem "Außer-Wirksam¬
keit-Setzen" der Verfassung beigestimmt, aber dabei, deutlicher ausgedrückt, ge¬
wünscht hatte, daß die den Bundesgrundgesetzen nicht widerstreitenden Be-


von 1831 trotz des angeblichen untrennbaren Zusammenhangs revidirt wer¬
den, und daß Einzelnes, vielleicht Vieles daraus beibehalten werden kann! Man
setzt ferner eine andere Verfassung an ihre Stelle ohne sie zu genehmigen
und läßt nach dieser Verfassung die Stände wählen, die sich darüber erklä¬
ren sollen. Und doch sollen diese Stände nicht etwa das Recht der Ableh¬
nung haben, wenigstens wird ihnen dieß nicht zugesprochen, was sollen sie
eigentlich? Die Bundesversammlung behält sich endlich die letzte Entscheidung
vor, ohne irgend eine Schranke. Sie kann also auch die Verfassung von
1851 wieder herstellen? oder nur Einiges wieder herausnehmen? oder nach
seinem Belieben und nach jenen Grundsätzen des höheren Rechts, die den
Bundestag auszeichnen, eine neue Verfassung construiren?

Die Widersprüche und Dunkelheiten dieses Beschlusses waren die noth¬
wendige Folge der Abweisung der Fesseln des wirklichen Rechtes; man be¬
trat noch obendrein, auf den morschen Stab der mangelhaftesten Gutachten
gestützt, einen Weg, von dem man kein Ende und kein Ziel sah. Eine wei¬
tere Folge ist die oben angedeutete.

Allerdings lassen sich die Stimmen der Bundesregieruugen hauptsächlich
in die drei Gruppen theilen, die sich durch die bekannten Denkschriften von
Preußen, Oestreich und Kurhessen charakterisiren. Am Weitesten vorgeschritten
ist Kurhessen, es vertheidigt noch jetzt die Reaction um ihrer selbst willen, es
steht noch völlig auf dem erhabenen Standpunkt jener Gutachten, die zum
Bundesbcschluß. von 1852 geführt haben. Für Oestreich ist dieser Beschluß
mehr nur ein kalt g-eeomM. Preußen erachtet sich dadurch nicht gebunden.
Aber mit diesen Gruppen sind die einzelnen Ansichten keineswegs erschöpft:
wir finden die zahlreichsten Nüancen.

Bei der Abstimmung zollte Oestreich dem „sachgemäßen und gründlichen
Gutachten des Ausschusses" — war dieß Lob etwa nur der diplomatische
Zucker auf die Pille? — die vollste Anerkennung, erklärte sich aber, lediglich
mit Rücksicht auf die seit Erstattung des Gutachtens zwischen den Regierungen
gepflogenen Verhandlungen und namentlich „wegen des zu Oestreichs Kenntniß
gekommenen Umstcindes, daß die kurhessische Regierung neue Erklärungen an die
B.-V- zurichten beabsichtige," vorerst für Zurückverweisung an den Ausschuß.
Darnach scheint das Ausschußgutachten gebilligt und nur auf weitere Mittheil¬
ungen der kurhessischen Regierung Rundsicht genommen zu werden, und damit
wäre man freilich sehr schnell am Ziele.

Mit Oestreich gehen Hannover, das Großherzogthum Hessen
und Nassau.

Baden, das bei seinem Votum im Jahre 1852 dem „Außer-Wirksam¬
keit-Setzen" der Verfassung beigestimmt, aber dabei, deutlicher ausgedrückt, ge¬
wünscht hatte, daß die den Bundesgrundgesetzen nicht widerstreitenden Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/54>, abgerufen am 13.05.2024.