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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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schön, Baron H......daß Sie uns nicht seind vorübergegangen. Kommen
Sie, wir wollen miteinander plaudern!" Ich folgte ihm durch einen mit
vielen Offizieren gefüllten Salon in einen zweiten, wo ich in der lebhaftesten
Unterhaltung wohl drei Viertelstunden mit ihm auf und abging. Der Mar¬
schall war fast unter Mittelgröße, am ähnlichsten dem schönen Bilde von
Adam; er trug den Feldmarschall-Waffenrock mit dem Stern der Maria Theresia
gerne offen, Weste und Beinkleider, wie hier alle Offiziere, von einem gelb-
grauen Sommerzcug.

Eine wunderbare Erscheinung dieser sechsundachtzigjährige Greis, an dem
auch nicht eine Spur körperlicher, noch weniger geistiger Schwäche wahrnehm¬
bar war! Man erkannte in seinen Zügen nicht den Feldherrn, den Staats¬
mann, nicht den Allgewaltigen, der Oberitalien fast Unumschränkt beherrschte,
in dessen Hand das Geschick von Millionen lag; aber in seinem Gesicht
waltete eine Klarheit, etwas so völlig mit sich Einiges, daß man sofort durch¬
drungen wurde, wie hoch er über den Verhältnissen stand. Man be-
durfte nur eines Blickes in dieses milde, so unendlich liebreiche Auge,
um zu erkennen, wie weit hier der Mensch den Feldherrn überragte; daß es
Humanität war. in echt-eigentlicher Bedeutung, die hier den schönsten Triumph
feierte. Willig huldigte man da. unwillkürlich wendete sich das Herz dem
so liebevollen, so geistcsstischen Greis zu. und man begriff den Einfluß.
den der Marschall so mächtig auf die Armee ausübte und zwar vom
Höchsten bis herab zum Niedrigsten. Im I. 1849 überbrachte eine Depu¬
tation das Ehrenbürgerrecht der Stadt Wien. Während der Anwesenheit
derselben ließen sich mehrere Generale melden, welche den Marschall von Vige-
Uano und Novara nicht gesehen hatten. Sie flogen ihm in die Arme, fast
SU Füßen, küßten ihm die Hände, die dann der greise Feldherr wie segnend
auf die Häupter der Angekommenen legte. Das ist gewiß gegen das Mili-
tär-Reglement, gegen alle Etiquette, und bleibt doch ein schönes, ein bezeichnen¬
des Bild. Graf B. . . dem ich diese Mittheilung verdanke, erzählte noch
Manches von der Gemüthlichkeit, welche im Hauptquartier gewaltet habe.
Feldmavschalllieutnant Haß habe den Thee gekocht, und der alte Marschall
sei wie eine besorgte Hausfrau umhergegangen, daß auch der jüngste Offizier
gehörig bedient werde. Von einer andern cursirendcn Geschichte wollten aber
die Herrn vom Stäbe hier nichts wissen, daß nämlich RadelM eben bei einem
solchen Thee den Operationsplan für 1849 dem Chef des Gcncralstabes in
ein Paar genialen Zügen zu weiterer Ausführung angedeutet habe. Es waren
für diese Campagne mehrere Pläne ausgearbeitet, und es bleibt dem Mar¬
schall das große Verdienst, den kühnen angenommen zu haben, daß man den
König von Sardinien den Ticino bei Buffalora überschreiten ließ, während
die Oestreicher bei Pavia übersetzten. Die Herrn der Umgebung erzählten,


Grenzboten I. 1SLV, 7

schön, Baron H......daß Sie uns nicht seind vorübergegangen. Kommen
Sie, wir wollen miteinander plaudern!" Ich folgte ihm durch einen mit
vielen Offizieren gefüllten Salon in einen zweiten, wo ich in der lebhaftesten
Unterhaltung wohl drei Viertelstunden mit ihm auf und abging. Der Mar¬
schall war fast unter Mittelgröße, am ähnlichsten dem schönen Bilde von
Adam; er trug den Feldmarschall-Waffenrock mit dem Stern der Maria Theresia
gerne offen, Weste und Beinkleider, wie hier alle Offiziere, von einem gelb-
grauen Sommerzcug.

Eine wunderbare Erscheinung dieser sechsundachtzigjährige Greis, an dem
auch nicht eine Spur körperlicher, noch weniger geistiger Schwäche wahrnehm¬
bar war! Man erkannte in seinen Zügen nicht den Feldherrn, den Staats¬
mann, nicht den Allgewaltigen, der Oberitalien fast Unumschränkt beherrschte,
in dessen Hand das Geschick von Millionen lag; aber in seinem Gesicht
waltete eine Klarheit, etwas so völlig mit sich Einiges, daß man sofort durch¬
drungen wurde, wie hoch er über den Verhältnissen stand. Man be-
durfte nur eines Blickes in dieses milde, so unendlich liebreiche Auge,
um zu erkennen, wie weit hier der Mensch den Feldherrn überragte; daß es
Humanität war. in echt-eigentlicher Bedeutung, die hier den schönsten Triumph
feierte. Willig huldigte man da. unwillkürlich wendete sich das Herz dem
so liebevollen, so geistcsstischen Greis zu. und man begriff den Einfluß.
den der Marschall so mächtig auf die Armee ausübte und zwar vom
Höchsten bis herab zum Niedrigsten. Im I. 1849 überbrachte eine Depu¬
tation das Ehrenbürgerrecht der Stadt Wien. Während der Anwesenheit
derselben ließen sich mehrere Generale melden, welche den Marschall von Vige-
Uano und Novara nicht gesehen hatten. Sie flogen ihm in die Arme, fast
SU Füßen, küßten ihm die Hände, die dann der greise Feldherr wie segnend
auf die Häupter der Angekommenen legte. Das ist gewiß gegen das Mili-
tär-Reglement, gegen alle Etiquette, und bleibt doch ein schönes, ein bezeichnen¬
des Bild. Graf B. . . dem ich diese Mittheilung verdanke, erzählte noch
Manches von der Gemüthlichkeit, welche im Hauptquartier gewaltet habe.
Feldmavschalllieutnant Haß habe den Thee gekocht, und der alte Marschall
sei wie eine besorgte Hausfrau umhergegangen, daß auch der jüngste Offizier
gehörig bedient werde. Von einer andern cursirendcn Geschichte wollten aber
die Herrn vom Stäbe hier nichts wissen, daß nämlich RadelM eben bei einem
solchen Thee den Operationsplan für 1849 dem Chef des Gcncralstabes in
ein Paar genialen Zügen zu weiterer Ausführung angedeutet habe. Es waren
für diese Campagne mehrere Pläne ausgearbeitet, und es bleibt dem Mar¬
schall das große Verdienst, den kühnen angenommen zu haben, daß man den
König von Sardinien den Ticino bei Buffalora überschreiten ließ, während
die Oestreicher bei Pavia übersetzten. Die Herrn der Umgebung erzählten,


Grenzboten I. 1SLV, 7
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[0061] schön, Baron H......daß Sie uns nicht seind vorübergegangen. Kommen Sie, wir wollen miteinander plaudern!" Ich folgte ihm durch einen mit vielen Offizieren gefüllten Salon in einen zweiten, wo ich in der lebhaftesten Unterhaltung wohl drei Viertelstunden mit ihm auf und abging. Der Mar¬ schall war fast unter Mittelgröße, am ähnlichsten dem schönen Bilde von Adam; er trug den Feldmarschall-Waffenrock mit dem Stern der Maria Theresia gerne offen, Weste und Beinkleider, wie hier alle Offiziere, von einem gelb- grauen Sommerzcug. Eine wunderbare Erscheinung dieser sechsundachtzigjährige Greis, an dem auch nicht eine Spur körperlicher, noch weniger geistiger Schwäche wahrnehm¬ bar war! Man erkannte in seinen Zügen nicht den Feldherrn, den Staats¬ mann, nicht den Allgewaltigen, der Oberitalien fast Unumschränkt beherrschte, in dessen Hand das Geschick von Millionen lag; aber in seinem Gesicht waltete eine Klarheit, etwas so völlig mit sich Einiges, daß man sofort durch¬ drungen wurde, wie hoch er über den Verhältnissen stand. Man be- durfte nur eines Blickes in dieses milde, so unendlich liebreiche Auge, um zu erkennen, wie weit hier der Mensch den Feldherrn überragte; daß es Humanität war. in echt-eigentlicher Bedeutung, die hier den schönsten Triumph feierte. Willig huldigte man da. unwillkürlich wendete sich das Herz dem so liebevollen, so geistcsstischen Greis zu. und man begriff den Einfluß. den der Marschall so mächtig auf die Armee ausübte und zwar vom Höchsten bis herab zum Niedrigsten. Im I. 1849 überbrachte eine Depu¬ tation das Ehrenbürgerrecht der Stadt Wien. Während der Anwesenheit derselben ließen sich mehrere Generale melden, welche den Marschall von Vige- Uano und Novara nicht gesehen hatten. Sie flogen ihm in die Arme, fast SU Füßen, küßten ihm die Hände, die dann der greise Feldherr wie segnend auf die Häupter der Angekommenen legte. Das ist gewiß gegen das Mili- tär-Reglement, gegen alle Etiquette, und bleibt doch ein schönes, ein bezeichnen¬ des Bild. Graf B. . . dem ich diese Mittheilung verdanke, erzählte noch Manches von der Gemüthlichkeit, welche im Hauptquartier gewaltet habe. Feldmavschalllieutnant Haß habe den Thee gekocht, und der alte Marschall sei wie eine besorgte Hausfrau umhergegangen, daß auch der jüngste Offizier gehörig bedient werde. Von einer andern cursirendcn Geschichte wollten aber die Herrn vom Stäbe hier nichts wissen, daß nämlich RadelM eben bei einem solchen Thee den Operationsplan für 1849 dem Chef des Gcncralstabes in ein Paar genialen Zügen zu weiterer Ausführung angedeutet habe. Es waren für diese Campagne mehrere Pläne ausgearbeitet, und es bleibt dem Mar¬ schall das große Verdienst, den kühnen angenommen zu haben, daß man den König von Sardinien den Ticino bei Buffalora überschreiten ließ, während die Oestreicher bei Pavia übersetzten. Die Herrn der Umgebung erzählten, Grenzboten I. 1SLV, 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/61>, abgerufen am 14.05.2024.