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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Ein nicht gemeines Interesse erregt das neue Werk der Gräfin Dora
d'Jstria: Kes kemwes vu Orient, 2. Bd. (Zürich, Meyer und Zeller), schon
wegen der Persönlichkeit der Verfasserin (geb. Prinzessin Helene Ghik'a).
Eine Dome von starken geistigen Anlagen, unternehmend bis zur Verwegen¬
heit (ihre Besteigung des Mönch ist bekannt), auf ihren Reisen im lebendigsten
Verkehr mit den bedeutendsten Menschen, verbindet sie mit den auserlesensten
Kenntnissen, die in den Rayon einer Dame von Welt fallen, sehr ernste, jo
gelehrte Studien, wie sie sonst nur Männer treiben. Ihre früheren Werke
I^g, vio noua.8ti<ruo ctg-us l'^k'Ilse orioiMle, 1855 und I^i Lasst Ällsmanäs
1857 haben sich bereits in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, selbst in
England Bahn gebrochen; kleinere Abhandlungen, hauptsächlich in der lievue
ä"z äeux mcmäes, sind: 1,68 lies Imrienucis 1858; Jos Ir6roh cle la, RoumNms
1857; ig" Rouracwrs et 1s. ?axaut6 1856, I^SÄMS av la. Luisss itMoun"
1857, auch eine kleine Novelle: Li^oiwru, 6e Na.le.MMi'. Der erste Band des
vorliegenden Werks bespricht die Frauen der Rumänen, Bulgaren, Serben, Al-
banesen, Griechen und Türken; der zweite Band die Russen. In die aus un¬
mittelbarster Anschauung hervorgehenden Schilderungen sind stets bedeutende
historische Skizzen verwebt; das Ganze hat durchweg die Form der Erzählung
mit Episoden. Die Farben sind deutlich, oft glänzend; für uns Mitteleuropäer
geht eme ganz neue Welt der Vorstellungen darin auf. Einen Fehler hat die
Verfasserin: sie läßt sich durch ihre natürliche Wärme, durch ihre Begeisterung
für die Sache ihres Vaterlandes zuweilen zu einem Ton der Deklamation
verleiten, wo die einfache objective Form eine ungleich größere Wirkung her¬
vorbringen würde.

Mit einer gewissen Neugier haben wir Gustav Struve's "Revolutions¬
zeitalter" (bis jetzt 7 Hefte; das Ganze soll 12 Hefte stark werden) durchblät¬
tert. Man erwarte keinen blutrothen Republicaner; der ehemalige Frcischaaren-
sührer urtheilt über viele Begebenheiten der Revolutionsgeschichte wie jeder
vernünftige Mensch; er verdammt Robespierre und das Schreckensregiment so
entschieden als möglich: -- aber er begeht den großen Fehler, als blos acci-
dentell zu betrachten, was in der Natur der Sache liegt. Bei jeder Gelegen¬
heit, wo die Regierung nach seiner Meinung irgend einen Verrath begeht,
ruft er aus: jetzt hätten die guten Bürger offne Revolution machen sollen!
Aber der Uebelstand ist eben, daß die guten Bürger oder die guten Leute u. s. w.
keine Revolution durchführen -- (nur der Fall ausgenommen, wo der Apfel
reif genug ist, allenfalls von selbst vom Baum zu fallen), sie müssen dazu
die Hefe der Gesellschaft aufbieten, und diese nach gethaner Arbeit nach
Hause schicken, ist, abgesehen von der Undankbarkeit, die darin liegt, immer
ein sehr mißlicher Versuch. Zuletzt wird doch immer eine Art von Napoleon',
nöthig. -- Es sei erlaubt, ein Wort des Grafen Schlaberndorf über Napoleon


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Ein nicht gemeines Interesse erregt das neue Werk der Gräfin Dora
d'Jstria: Kes kemwes vu Orient, 2. Bd. (Zürich, Meyer und Zeller), schon
wegen der Persönlichkeit der Verfasserin (geb. Prinzessin Helene Ghik'a).
Eine Dome von starken geistigen Anlagen, unternehmend bis zur Verwegen¬
heit (ihre Besteigung des Mönch ist bekannt), auf ihren Reisen im lebendigsten
Verkehr mit den bedeutendsten Menschen, verbindet sie mit den auserlesensten
Kenntnissen, die in den Rayon einer Dame von Welt fallen, sehr ernste, jo
gelehrte Studien, wie sie sonst nur Männer treiben. Ihre früheren Werke
I^g, vio noua.8ti<ruo ctg-us l'^k'Ilse orioiMle, 1855 und I^i Lasst Ällsmanäs
1857 haben sich bereits in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, selbst in
England Bahn gebrochen; kleinere Abhandlungen, hauptsächlich in der lievue
ä«z äeux mcmäes, sind: 1,68 lies Imrienucis 1858; Jos Ir6roh cle la, RoumNms
1857; ig« Rouracwrs et 1s. ?axaut6 1856, I^SÄMS av la. Luisss itMoun«
1857, auch eine kleine Novelle: Li^oiwru, 6e Na.le.MMi'. Der erste Band des
vorliegenden Werks bespricht die Frauen der Rumänen, Bulgaren, Serben, Al-
banesen, Griechen und Türken; der zweite Band die Russen. In die aus un¬
mittelbarster Anschauung hervorgehenden Schilderungen sind stets bedeutende
historische Skizzen verwebt; das Ganze hat durchweg die Form der Erzählung
mit Episoden. Die Farben sind deutlich, oft glänzend; für uns Mitteleuropäer
geht eme ganz neue Welt der Vorstellungen darin auf. Einen Fehler hat die
Verfasserin: sie läßt sich durch ihre natürliche Wärme, durch ihre Begeisterung
für die Sache ihres Vaterlandes zuweilen zu einem Ton der Deklamation
verleiten, wo die einfache objective Form eine ungleich größere Wirkung her¬
vorbringen würde.

Mit einer gewissen Neugier haben wir Gustav Struve's „Revolutions¬
zeitalter" (bis jetzt 7 Hefte; das Ganze soll 12 Hefte stark werden) durchblät¬
tert. Man erwarte keinen blutrothen Republicaner; der ehemalige Frcischaaren-
sührer urtheilt über viele Begebenheiten der Revolutionsgeschichte wie jeder
vernünftige Mensch; er verdammt Robespierre und das Schreckensregiment so
entschieden als möglich: — aber er begeht den großen Fehler, als blos acci-
dentell zu betrachten, was in der Natur der Sache liegt. Bei jeder Gelegen¬
heit, wo die Regierung nach seiner Meinung irgend einen Verrath begeht,
ruft er aus: jetzt hätten die guten Bürger offne Revolution machen sollen!
Aber der Uebelstand ist eben, daß die guten Bürger oder die guten Leute u. s. w.
keine Revolution durchführen — (nur der Fall ausgenommen, wo der Apfel
reif genug ist, allenfalls von selbst vom Baum zu fallen), sie müssen dazu
die Hefe der Gesellschaft aufbieten, und diese nach gethaner Arbeit nach
Hause schicken, ist, abgesehen von der Undankbarkeit, die darin liegt, immer
ein sehr mißlicher Versuch. Zuletzt wird doch immer eine Art von Napoleon',
nöthig. — Es sei erlaubt, ein Wort des Grafen Schlaberndorf über Napoleon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/87>, abgerufen am 14.05.2024.