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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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den Streit zogen, den er durch seine Verbindungen in ganz Italien vor¬
bereitet hatte, war eine Vergrößerung Piemonts durch Lombardo-Venetien.
Parma und Pincenza, durch Toscana, Modena und den größten Theil des
Kirchenstaates. Der Papst sollte auf das Gebiet der ewigen Stadt beschränkt,
also im wesentlichen seiner weltlichen Herrschaft entkleidet werden. Nach Ver¬
treibung der Oestreicher war dann Italien eigentlich in zwei große Hälften
getheilt: Nmditalien gehörte der Dynastie von Savoyen. Süditalien machte
das Königreich beider Sicilien aus und schließlich kam es nur noch auf den
Sieg in einem Kampfe zwischen diesen beiden italienischen Reichen an. um
die vollständige Einigung der Halbinsel uuter Einem Scepter zu erreiche".
Dieser Kampf konnte hinausgeschoben werden; wenn er aber begann, so war
der Sieg kaum zweifelhaft: er mußte Norditalien und der savoyischen
Dynastie zufallen. Allerdings ist es wahr, daß wenige Tage vor dem Aus¬
bruche des Krieges, am 24. April, der sardinische Gesandte zu Florenz. Bon-
compagni, den Großherzog Leopold von Toscana aufforderte, mit Piemont
gemeinsame Sache gegen Oestreich zu machen, und man könnte daraus
schließen, daß wenigstens Piemont nicht daraus gerechnet habe, sich durch Tos¬
cana zu vergrößern. Allein, darf man dagegen fragen, war Piemont nicht
ziemlich seiner Sache sicher, wenn es voraussetzte, daß Leopold sich niemals
von dem östreichischen Interesse lossagen werde? Der Kaiser Napoleon, war
hingegen, als er für Italien zu den Waffen griff, mit Cavour darin einig, daß
die Oestreicher gänzlich aus der Halbinsel vertrieben werden müßten. Aber
er wollte seinen Einfluß an die Stelle des östreichischen setzen. Deshalb konnte
es ihm durchaus nicht darum zu thun sein, ein mächtiges Reich in Italien
zu schaffen; die Zertrennung in mehrere kleine Staaten mußte ihm vielmehr
genehmer erscheinen. Zwei Punkte waren es zunächst, um welche er seine
Hebel anzusetzen gedachte. Sein Vetter, der Prinz Napoleon sollte irgend
einen Staat (vor allen Dingen hatte man dabei Toscana im Auge) auf der
Halbinsel erhalten. Ein andrer napoleonide. der junge Prinz Lucian von
Ccmino, jetzt Kämmerer und Secretär Pius des Neunten, war des letzter"
designirter Nachfolger in der Statthalterschaft Christi. Dem Kaiser Napoleon
konnte, so schien es, bei dieser Aussicht an der Zerstückung des Kirchenstaates
nichts liegen. Noch ehe der Krieg eigentlich ausgebrochen war, wurden der
Großherzog von Toscana. der Herzog von Modena und die Herzogin von
Parma durch Aufstände veranlaßt, ihre Staaten zu verlassen; die beiden letz¬
teren wurden allerdings durch die östreichischen Truppen bald wieder zurück-
geführt; aber nach der Schlacht von Magenta mußten sie aufs neue fliehen,
und als nun die Oestreicher nördlich des Po das Land bis zum Mincio und
das Land südlich des Po vollständig räumten, so waren die Bevölkerungen
Parmas, Toscanas, Modenas und der Romagna vollständig sich selbst


den Streit zogen, den er durch seine Verbindungen in ganz Italien vor¬
bereitet hatte, war eine Vergrößerung Piemonts durch Lombardo-Venetien.
Parma und Pincenza, durch Toscana, Modena und den größten Theil des
Kirchenstaates. Der Papst sollte auf das Gebiet der ewigen Stadt beschränkt,
also im wesentlichen seiner weltlichen Herrschaft entkleidet werden. Nach Ver¬
treibung der Oestreicher war dann Italien eigentlich in zwei große Hälften
getheilt: Nmditalien gehörte der Dynastie von Savoyen. Süditalien machte
das Königreich beider Sicilien aus und schließlich kam es nur noch auf den
Sieg in einem Kampfe zwischen diesen beiden italienischen Reichen an. um
die vollständige Einigung der Halbinsel uuter Einem Scepter zu erreiche».
Dieser Kampf konnte hinausgeschoben werden; wenn er aber begann, so war
der Sieg kaum zweifelhaft: er mußte Norditalien und der savoyischen
Dynastie zufallen. Allerdings ist es wahr, daß wenige Tage vor dem Aus¬
bruche des Krieges, am 24. April, der sardinische Gesandte zu Florenz. Bon-
compagni, den Großherzog Leopold von Toscana aufforderte, mit Piemont
gemeinsame Sache gegen Oestreich zu machen, und man könnte daraus
schließen, daß wenigstens Piemont nicht daraus gerechnet habe, sich durch Tos¬
cana zu vergrößern. Allein, darf man dagegen fragen, war Piemont nicht
ziemlich seiner Sache sicher, wenn es voraussetzte, daß Leopold sich niemals
von dem östreichischen Interesse lossagen werde? Der Kaiser Napoleon, war
hingegen, als er für Italien zu den Waffen griff, mit Cavour darin einig, daß
die Oestreicher gänzlich aus der Halbinsel vertrieben werden müßten. Aber
er wollte seinen Einfluß an die Stelle des östreichischen setzen. Deshalb konnte
es ihm durchaus nicht darum zu thun sein, ein mächtiges Reich in Italien
zu schaffen; die Zertrennung in mehrere kleine Staaten mußte ihm vielmehr
genehmer erscheinen. Zwei Punkte waren es zunächst, um welche er seine
Hebel anzusetzen gedachte. Sein Vetter, der Prinz Napoleon sollte irgend
einen Staat (vor allen Dingen hatte man dabei Toscana im Auge) auf der
Halbinsel erhalten. Ein andrer napoleonide. der junge Prinz Lucian von
Ccmino, jetzt Kämmerer und Secretär Pius des Neunten, war des letzter»
designirter Nachfolger in der Statthalterschaft Christi. Dem Kaiser Napoleon
konnte, so schien es, bei dieser Aussicht an der Zerstückung des Kirchenstaates
nichts liegen. Noch ehe der Krieg eigentlich ausgebrochen war, wurden der
Großherzog von Toscana. der Herzog von Modena und die Herzogin von
Parma durch Aufstände veranlaßt, ihre Staaten zu verlassen; die beiden letz¬
teren wurden allerdings durch die östreichischen Truppen bald wieder zurück-
geführt; aber nach der Schlacht von Magenta mußten sie aufs neue fliehen,
und als nun die Oestreicher nördlich des Po das Land bis zum Mincio und
das Land südlich des Po vollständig räumten, so waren die Bevölkerungen
Parmas, Toscanas, Modenas und der Romagna vollständig sich selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/99>, abgerufen am 14.05.2024.