Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man schon durch den gleichen Vers gebunden ist, bleibt das Modernisiren
immer aus halbem Wege stehn. Gleichwol tragen alle diese Versuche dazu
bei, das herrliche Gedicht, das immer noch mehr gelobt als gelesen wird, in
großem Kreisen zu verbreiten. -- Im Sophokles hat der Uebersetzer den Tri-
meter durch den fünffüßigen Jambus, die Chöre durch gereimte Verse ersetzt.
Für das erste laßt sich manches anführen, das zweite, an sich bedenklich, ist
hier entschieden mißlungen. Der gereimte vierfüßige Trochäus, aus Müllner
bekannt, ist ein entsetzlich einschläferndes Versmaß. Für manche Wunderlich¬
keiten finden wir keinen Grund; so wird z. B. mit einer Ausdauer, die einer
bessern Sache werth wäre, Antigone skandirt, serner Oidlpus, Odysseus (als
Creticus) u. s. w. -- Ist das nun griechisch oder deutsch oder was sonst?

Ein vortreffliches Unternehmen ist der "Hausschatz der schwedischen Poe¬
sie." Eine schwedische Anthologie und Literaturgeschichte in Proben mit gegen¬
überstehender Übertragung in Prosa und kurzen literarhistorischen Einleitun¬
gen und Charakteristiken von Gottfried v. Leinburg (Leipzig, Arnold).
Die Herausgabe beginnt mit dem 3. Bd. "Gothische Schule, 1810--1857:"
Geifer, Tegnör, Ling, Afzelius, Beskow, Nikander, Lindeblad; Dichter, die
sich zum Theil schon in Deutschland eingebürgert haben und die man hier
mit Vergnügen im ursprünglichen Gewände ansehn wird. Die geschichtlichen
Einleitungen enthalten das Nöthige. Ueber den Werth dieser Dichter, soweit
der Ausländer ihn beurtheilen kann, ein andermal.

Ein sehr zeitgemäßes Unternehmen ist das ,.Album plattdeutscher Gedichte",
herausgegeben von Hermann Eschenhagen (Berlin, Schotte). -- "Pan¬
dora." Ein weltpoetisches Stammbuch von Maria von Andechs (Leipzig,
Arnold). Eine Sammlung von Sinnsprüchen für Frauen, die sich vor andern
ähnlichen dadurch auszeichnet, daß die Auswahl zum Theil aus weniger be¬
kannten Dichtern und Dichterinnen genommen ist. -- "Nach Westen!" Britische
und amerikanische Gedichte, übersetzt von Karl Elze (Dessau, Ane). Meist
vortrefflich nachgebildet: Kcats, Felicia Hemans, Wordsworth, Bryant. Long-
fellow 2c. Der Uebersetzer hat mit richtigem Tact solche Gedichte gewählt,
deren Stimmung der unsrigen verwandt ist.

Anton Springer gibt in der Abhandlung über "Rafaels Disputa"
(Bonn, Marcus) bedeutende Einblicke in die künstlerische Entwickelung des 16.
Jahrhunderts und Studien über das Wesen des Idealismus überhaupt.

An diese kurzen Notizen knüpfen wir eine längere Betrachtung über ein-
Büchlein, das, an sich völlig unbedeutend, doch für die Krankheitsgeschichte
des 19. Jahrhunderts als eine Art von Phänomen gelten kann: "Aufschlüsse
über Dritis sicut Osus" (Bremen und Leipzig, Ed. Müller). Der genannte
anonyme Roman hatte zur Zeit seines Erscheinens (1853) vielfachen Anstoß
gegeben. Ueber den künstlerischen Werth waren die Stimmen getheilt; wir


man schon durch den gleichen Vers gebunden ist, bleibt das Modernisiren
immer aus halbem Wege stehn. Gleichwol tragen alle diese Versuche dazu
bei, das herrliche Gedicht, das immer noch mehr gelobt als gelesen wird, in
großem Kreisen zu verbreiten. — Im Sophokles hat der Uebersetzer den Tri-
meter durch den fünffüßigen Jambus, die Chöre durch gereimte Verse ersetzt.
Für das erste laßt sich manches anführen, das zweite, an sich bedenklich, ist
hier entschieden mißlungen. Der gereimte vierfüßige Trochäus, aus Müllner
bekannt, ist ein entsetzlich einschläferndes Versmaß. Für manche Wunderlich¬
keiten finden wir keinen Grund; so wird z. B. mit einer Ausdauer, die einer
bessern Sache werth wäre, Antigone skandirt, serner Oidlpus, Odysseus (als
Creticus) u. s. w. — Ist das nun griechisch oder deutsch oder was sonst?

Ein vortreffliches Unternehmen ist der „Hausschatz der schwedischen Poe¬
sie." Eine schwedische Anthologie und Literaturgeschichte in Proben mit gegen¬
überstehender Übertragung in Prosa und kurzen literarhistorischen Einleitun¬
gen und Charakteristiken von Gottfried v. Leinburg (Leipzig, Arnold).
Die Herausgabe beginnt mit dem 3. Bd. „Gothische Schule, 1810—1857:"
Geifer, Tegnör, Ling, Afzelius, Beskow, Nikander, Lindeblad; Dichter, die
sich zum Theil schon in Deutschland eingebürgert haben und die man hier
mit Vergnügen im ursprünglichen Gewände ansehn wird. Die geschichtlichen
Einleitungen enthalten das Nöthige. Ueber den Werth dieser Dichter, soweit
der Ausländer ihn beurtheilen kann, ein andermal.

Ein sehr zeitgemäßes Unternehmen ist das ,.Album plattdeutscher Gedichte",
herausgegeben von Hermann Eschenhagen (Berlin, Schotte). — „Pan¬
dora." Ein weltpoetisches Stammbuch von Maria von Andechs (Leipzig,
Arnold). Eine Sammlung von Sinnsprüchen für Frauen, die sich vor andern
ähnlichen dadurch auszeichnet, daß die Auswahl zum Theil aus weniger be¬
kannten Dichtern und Dichterinnen genommen ist. — „Nach Westen!" Britische
und amerikanische Gedichte, übersetzt von Karl Elze (Dessau, Ane). Meist
vortrefflich nachgebildet: Kcats, Felicia Hemans, Wordsworth, Bryant. Long-
fellow 2c. Der Uebersetzer hat mit richtigem Tact solche Gedichte gewählt,
deren Stimmung der unsrigen verwandt ist.

Anton Springer gibt in der Abhandlung über „Rafaels Disputa"
(Bonn, Marcus) bedeutende Einblicke in die künstlerische Entwickelung des 16.
Jahrhunderts und Studien über das Wesen des Idealismus überhaupt.

An diese kurzen Notizen knüpfen wir eine längere Betrachtung über ein-
Büchlein, das, an sich völlig unbedeutend, doch für die Krankheitsgeschichte
des 19. Jahrhunderts als eine Art von Phänomen gelten kann: „Aufschlüsse
über Dritis sicut Osus" (Bremen und Leipzig, Ed. Müller). Der genannte
anonyme Roman hatte zur Zeit seines Erscheinens (1853) vielfachen Anstoß
gegeben. Ueber den künstlerischen Werth waren die Stimmen getheilt; wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109644"/>
        <p xml:id="ID_1210" prev="#ID_1209"> man schon durch den gleichen Vers gebunden ist, bleibt das Modernisiren<lb/>
immer aus halbem Wege stehn. Gleichwol tragen alle diese Versuche dazu<lb/>
bei, das herrliche Gedicht, das immer noch mehr gelobt als gelesen wird, in<lb/>
großem Kreisen zu verbreiten. &#x2014; Im Sophokles hat der Uebersetzer den Tri-<lb/>
meter durch den fünffüßigen Jambus, die Chöre durch gereimte Verse ersetzt.<lb/>
Für das erste laßt sich manches anführen, das zweite, an sich bedenklich, ist<lb/>
hier entschieden mißlungen. Der gereimte vierfüßige Trochäus, aus Müllner<lb/>
bekannt, ist ein entsetzlich einschläferndes Versmaß. Für manche Wunderlich¬<lb/>
keiten finden wir keinen Grund; so wird z. B. mit einer Ausdauer, die einer<lb/>
bessern Sache werth wäre, Antigone skandirt, serner Oidlpus, Odysseus (als<lb/>
Creticus) u. s. w. &#x2014; Ist das nun griechisch oder deutsch oder was sonst?</p><lb/>
        <p xml:id="ID_1211"> Ein vortreffliches Unternehmen ist der &#x201E;Hausschatz der schwedischen Poe¬<lb/>
sie." Eine schwedische Anthologie und Literaturgeschichte in Proben mit gegen¬<lb/>
überstehender Übertragung in Prosa und kurzen literarhistorischen Einleitun¬<lb/>
gen und Charakteristiken von Gottfried v. Leinburg (Leipzig, Arnold).<lb/>
Die Herausgabe beginnt mit dem 3. Bd. &#x201E;Gothische Schule, 1810&#x2014;1857:"<lb/>
Geifer, Tegnör, Ling, Afzelius, Beskow, Nikander, Lindeblad; Dichter, die<lb/>
sich zum Theil schon in Deutschland eingebürgert haben und die man hier<lb/>
mit Vergnügen im ursprünglichen Gewände ansehn wird. Die geschichtlichen<lb/>
Einleitungen enthalten das Nöthige. Ueber den Werth dieser Dichter, soweit<lb/>
der Ausländer ihn beurtheilen kann, ein andermal.</p><lb/>
        <p xml:id="ID_1212"> Ein sehr zeitgemäßes Unternehmen ist das ,.Album plattdeutscher Gedichte",<lb/>
herausgegeben von Hermann Eschenhagen (Berlin, Schotte). &#x2014; &#x201E;Pan¬<lb/>
dora." Ein weltpoetisches Stammbuch von Maria von Andechs (Leipzig,<lb/>
Arnold). Eine Sammlung von Sinnsprüchen für Frauen, die sich vor andern<lb/>
ähnlichen dadurch auszeichnet, daß die Auswahl zum Theil aus weniger be¬<lb/>
kannten Dichtern und Dichterinnen genommen ist. &#x2014; &#x201E;Nach Westen!" Britische<lb/>
und amerikanische Gedichte, übersetzt von Karl Elze (Dessau, Ane). Meist<lb/>
vortrefflich nachgebildet: Kcats, Felicia Hemans, Wordsworth, Bryant. Long-<lb/>
fellow 2c. Der Uebersetzer hat mit richtigem Tact solche Gedichte gewählt,<lb/>
deren Stimmung der unsrigen verwandt ist.</p><lb/>
        <p xml:id="ID_1213"> Anton Springer gibt in der Abhandlung über &#x201E;Rafaels Disputa"<lb/>
(Bonn, Marcus) bedeutende Einblicke in die künstlerische Entwickelung des 16.<lb/>
Jahrhunderts und Studien über das Wesen des Idealismus überhaupt.</p><lb/>
        <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> An diese kurzen Notizen knüpfen wir eine längere Betrachtung über ein-<lb/>
Büchlein, das, an sich völlig unbedeutend, doch für die Krankheitsgeschichte<lb/>
des 19. Jahrhunderts als eine Art von Phänomen gelten kann: &#x201E;Aufschlüsse<lb/>
über Dritis sicut Osus" (Bremen und Leipzig, Ed. Müller). Der genannte<lb/>
anonyme Roman hatte zur Zeit seines Erscheinens (1853) vielfachen Anstoß<lb/>
gegeben.  Ueber den künstlerischen Werth waren die Stimmen getheilt; wir</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] man schon durch den gleichen Vers gebunden ist, bleibt das Modernisiren immer aus halbem Wege stehn. Gleichwol tragen alle diese Versuche dazu bei, das herrliche Gedicht, das immer noch mehr gelobt als gelesen wird, in großem Kreisen zu verbreiten. — Im Sophokles hat der Uebersetzer den Tri- meter durch den fünffüßigen Jambus, die Chöre durch gereimte Verse ersetzt. Für das erste laßt sich manches anführen, das zweite, an sich bedenklich, ist hier entschieden mißlungen. Der gereimte vierfüßige Trochäus, aus Müllner bekannt, ist ein entsetzlich einschläferndes Versmaß. Für manche Wunderlich¬ keiten finden wir keinen Grund; so wird z. B. mit einer Ausdauer, die einer bessern Sache werth wäre, Antigone skandirt, serner Oidlpus, Odysseus (als Creticus) u. s. w. — Ist das nun griechisch oder deutsch oder was sonst? Ein vortreffliches Unternehmen ist der „Hausschatz der schwedischen Poe¬ sie." Eine schwedische Anthologie und Literaturgeschichte in Proben mit gegen¬ überstehender Übertragung in Prosa und kurzen literarhistorischen Einleitun¬ gen und Charakteristiken von Gottfried v. Leinburg (Leipzig, Arnold). Die Herausgabe beginnt mit dem 3. Bd. „Gothische Schule, 1810—1857:" Geifer, Tegnör, Ling, Afzelius, Beskow, Nikander, Lindeblad; Dichter, die sich zum Theil schon in Deutschland eingebürgert haben und die man hier mit Vergnügen im ursprünglichen Gewände ansehn wird. Die geschichtlichen Einleitungen enthalten das Nöthige. Ueber den Werth dieser Dichter, soweit der Ausländer ihn beurtheilen kann, ein andermal. Ein sehr zeitgemäßes Unternehmen ist das ,.Album plattdeutscher Gedichte", herausgegeben von Hermann Eschenhagen (Berlin, Schotte). — „Pan¬ dora." Ein weltpoetisches Stammbuch von Maria von Andechs (Leipzig, Arnold). Eine Sammlung von Sinnsprüchen für Frauen, die sich vor andern ähnlichen dadurch auszeichnet, daß die Auswahl zum Theil aus weniger be¬ kannten Dichtern und Dichterinnen genommen ist. — „Nach Westen!" Britische und amerikanische Gedichte, übersetzt von Karl Elze (Dessau, Ane). Meist vortrefflich nachgebildet: Kcats, Felicia Hemans, Wordsworth, Bryant. Long- fellow 2c. Der Uebersetzer hat mit richtigem Tact solche Gedichte gewählt, deren Stimmung der unsrigen verwandt ist. Anton Springer gibt in der Abhandlung über „Rafaels Disputa" (Bonn, Marcus) bedeutende Einblicke in die künstlerische Entwickelung des 16. Jahrhunderts und Studien über das Wesen des Idealismus überhaupt. An diese kurzen Notizen knüpfen wir eine längere Betrachtung über ein- Büchlein, das, an sich völlig unbedeutend, doch für die Krankheitsgeschichte des 19. Jahrhunderts als eine Art von Phänomen gelten kann: „Aufschlüsse über Dritis sicut Osus" (Bremen und Leipzig, Ed. Müller). Der genannte anonyme Roman hatte zur Zeit seines Erscheinens (1853) vielfachen Anstoß gegeben. Ueber den künstlerischen Werth waren die Stimmen getheilt; wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109263
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109263/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109263/380>, abgerufen am 11.06.2024.