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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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schien doch grausam, weil auch die Revolution unblutig aufgetreten war und
niemand hatte Vertrauen zu der Unparteilichkeit der Untersuchungsrichter,
welche Hunderte zum Tode verurtheilten. Grade die gerichtliche Form der
Verfolgung empörte am meisten, die Verhafteten wurden Monate lang in
schauerlichen Kerkern gehalten und, wenn freigesprochen oder begnadigt, aus
Wasser- und schattenlose Strafinseln geschickt, während der Hof in Festen
lebte. Diese Erfahrungen seit 1799 mußten im Herzen der Volker einen
tiefen Abscheu gegen die Dynastie zurücklassen, außerdem fiel die ganze finan-
cielle Last der östreichischen Intervention auf Neapel, von der Ueberschreitung
des Po an bis zur Rückkehr, die Staatsschuld wuchs um 150 Mill. Ducati,
1820 betrugen die Zinsen 1,420,000. 1327: 5,190,850 Ducati. Gualterio
beschreibt die Lage und Stimmung Neapels seit 1821 folgendermaßen: "Alle
ehrlichen Leute fühlten sich betrogen. Der Adel wurde geködert; zum Theil
ruinirt, und deshalb servil und höfisch, flüchtete er sich in die bloßen Eitel¬
keiten des Hoflebens. Der Mittelstand, obgleich stätig zunehmend, kann der
Aristokratie und dem niedern Volk nicht die Stirn bieten. Dieses, in Neapel
zumal in der Hauptstadt, zahlreicher als anderswo, ist eine wahre Heerde von
Sclaven im Dienst der Regierung. Unwissend und roh, abergläubisch und
verthiert. aber unglaublich arbeitsam und bedürfnißlos, kann es, wie es bei
seinen mühseligen Arbeiten karg bezahlt wird, wohlfeil erkauft werden und
bietet so wahrhaft ein Bild der Sclaverei in den Kolonien. In den Pro¬
vinzen entweder kleine Besitzer von Abgaben erdrückt, isolirt, ohne die zum
Absatz ihrer Produkte nöthigen Verkehrsmittel, oder große Besitzer, oft durch
Usurpation von Staatsdomänen vergrößert, welche die ganze Provinz be¬
herrschen, deren Vermögen den Dörfern mit ihren kleinen Besitzern mehr
zum Nachtheil gereicht, also überall das Elend Vieler hart neben dem Ueber¬
fluß Weniger; der Ackerbau durch den Sclavcnzustand der Colonen und durch
ihre. Unwissenheit in allen bessern Methoden niedergedrückt. Ein System voll¬
kommener Jsolirung vom Auslande und der Korruption im Innern, ein be¬
harrlicher Krieg gegen die Intelligenzen und beständige Protection der Un¬
wissenheit, ein weites Netz von Spionage, die Stütze der brutalen Kräfte,
fremde Bayonette und dazu Verbannung, Gefängniß, Todesurtheile. schlüge
gaben der bourbonischen Regierung die Hoffnung, den grade in Neapel längst
eingewurzelten Samen des Liberalismus zu ersticken."

Im Kirchenstaat war die Bewegung nicht zum Ausbruch gekommen, auch
hielt Consalvi unter Pius dem Siebenten die extreme Reaction zurück, diese
brach erst unter der Nachfolge Leo des Zwölften, einer Creatur Oestreichs,
mit voller Macht herein. 508 Personen wurde allein in den nördlich von
Urbino gelegenen Provinzen wegen politischer Vergehen verurtheilt, jede Ver-
tidihegung war vor den Gerichten ausgeschlossen, alle Immunitäten des Adels


schien doch grausam, weil auch die Revolution unblutig aufgetreten war und
niemand hatte Vertrauen zu der Unparteilichkeit der Untersuchungsrichter,
welche Hunderte zum Tode verurtheilten. Grade die gerichtliche Form der
Verfolgung empörte am meisten, die Verhafteten wurden Monate lang in
schauerlichen Kerkern gehalten und, wenn freigesprochen oder begnadigt, aus
Wasser- und schattenlose Strafinseln geschickt, während der Hof in Festen
lebte. Diese Erfahrungen seit 1799 mußten im Herzen der Volker einen
tiefen Abscheu gegen die Dynastie zurücklassen, außerdem fiel die ganze finan-
cielle Last der östreichischen Intervention auf Neapel, von der Ueberschreitung
des Po an bis zur Rückkehr, die Staatsschuld wuchs um 150 Mill. Ducati,
1820 betrugen die Zinsen 1,420,000. 1327: 5,190,850 Ducati. Gualterio
beschreibt die Lage und Stimmung Neapels seit 1821 folgendermaßen: „Alle
ehrlichen Leute fühlten sich betrogen. Der Adel wurde geködert; zum Theil
ruinirt, und deshalb servil und höfisch, flüchtete er sich in die bloßen Eitel¬
keiten des Hoflebens. Der Mittelstand, obgleich stätig zunehmend, kann der
Aristokratie und dem niedern Volk nicht die Stirn bieten. Dieses, in Neapel
zumal in der Hauptstadt, zahlreicher als anderswo, ist eine wahre Heerde von
Sclaven im Dienst der Regierung. Unwissend und roh, abergläubisch und
verthiert. aber unglaublich arbeitsam und bedürfnißlos, kann es, wie es bei
seinen mühseligen Arbeiten karg bezahlt wird, wohlfeil erkauft werden und
bietet so wahrhaft ein Bild der Sclaverei in den Kolonien. In den Pro¬
vinzen entweder kleine Besitzer von Abgaben erdrückt, isolirt, ohne die zum
Absatz ihrer Produkte nöthigen Verkehrsmittel, oder große Besitzer, oft durch
Usurpation von Staatsdomänen vergrößert, welche die ganze Provinz be¬
herrschen, deren Vermögen den Dörfern mit ihren kleinen Besitzern mehr
zum Nachtheil gereicht, also überall das Elend Vieler hart neben dem Ueber¬
fluß Weniger; der Ackerbau durch den Sclavcnzustand der Colonen und durch
ihre. Unwissenheit in allen bessern Methoden niedergedrückt. Ein System voll¬
kommener Jsolirung vom Auslande und der Korruption im Innern, ein be¬
harrlicher Krieg gegen die Intelligenzen und beständige Protection der Un¬
wissenheit, ein weites Netz von Spionage, die Stütze der brutalen Kräfte,
fremde Bayonette und dazu Verbannung, Gefängniß, Todesurtheile. schlüge
gaben der bourbonischen Regierung die Hoffnung, den grade in Neapel längst
eingewurzelten Samen des Liberalismus zu ersticken."

Im Kirchenstaat war die Bewegung nicht zum Ausbruch gekommen, auch
hielt Consalvi unter Pius dem Siebenten die extreme Reaction zurück, diese
brach erst unter der Nachfolge Leo des Zwölften, einer Creatur Oestreichs,
mit voller Macht herein. 508 Personen wurde allein in den nördlich von
Urbino gelegenen Provinzen wegen politischer Vergehen verurtheilt, jede Ver-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/118>, abgerufen am 21.05.2024.