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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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terials. sondern auch die Aufstellung und wissenschaftliche Begründung allge¬
meiner Principien und Anleitung für die Anwendung derselben auf gegebene
Fälle. Die Wissenschaft soll uns nicht allein richtig erkennen, sondern auch
urtheilen lehren. In wie weit d>es dem Verfasser eines Lehrbuchs gelungen,
das ist eben die Frage, mit deren Beantwortung die Kritik sich zu beschäf¬
tigen bat.

Treten wir mit den bezeichneten Anforderungen dem Lehrbuche von
Lorenz Stein näher, so vermissen wir in demselben nichts von dem Stoffe,
welchen die Finanzwissenschaft behandelt. Es beschränkt zwar den Umfang
derselben mehr als üblich, indem es das Finanzwesen als denjenigen Theil
der Staatswirthschaft bezeichnet, welcher es mit den Einnahmen zu thun
hat. und demgemäß die Ausgaben, wie die Ordnung und Verwaltung
des Haushaltes als besondere, das Finanzwesen nicht berührende Theile
der Staatswirthschaft hinstellt. Da jedoch der Versasser die beiden aus¬
geschiedenen Theile dem dritten, dem Finanzwesen, vorausschickt, so weit er
sie für das Verständniß desselben nothwendig erachtet, so lassen wir diesen Punkt
beruhe". Eigenthümlichkeiten in der Eintheilung und in den Definitionen unter¬
scheiden am bequemsten ein System von einem andern; über solche Kleinigkeiten
wollen wir mit dem Verfasser nicht rechten, da wir in der glücklichen Lage sind,
seinem Werke weit interessantere Seiten abzugewinnen. Das Anziehende, ja Auf¬
fallende des Buches liegt nämlich nicht etwa in seiner Technik, die zwar nicht lücken¬
haft, aber doch dürftig genannt werden kann; die am Schlüsse der einzelnen Ab¬
schnitte mit kleiner Schrift gedruckten Notizen über Literatur, über wirkliche Ver¬
hältnisse und deren Vergleichung in verschiedenen Ländern in Bezug auf Steuern u.
tgi. -- Diese Notizen reichen kaum zum Gebrauch bei Vorlesungen aus, geschweige
denn zum Selbststudium. Wenn der Verfasser in dem Vorworte die "innige
Hoffnung" nusspricht, durch jene Noten der Herstellung einer vergleichenden
Finanzwissenschaft zu dienen, so müssen wir mit Bedauern gestehen, daß
wir diese Dienste für äußerst geringfügig halten.

Anders verhält es sich dagegen mit der ersten Forderung, welche der Ver¬
fasser in der Vorrede an sein Werk stellt: "völlige Klarheit in den organischen
Grundbegriffen, namentlich bei der Besteuerung, und das richtige Ver¬
ständniß des Wesens und der Function eines guten Steuersystems, die allein
der Geso.hr, welche die unaufgelöste Phrase grade hier bringt, zu begegnen
im Stande sind." Dieser Forderung entspricht das Buch in einer merkwür¬
digen Weise; seine Principien, seine Grundbegriffe haben uns wahrhaft in
Erstaunen versetzt. -- Leider vermißt man unier der Menge von Grundbe¬
griffen den des Staates selbst; der Staat, wie er hier für das Finanzwesen
gebraucht wird, macht noch den jetzt so ziemlich überwundenen Eindruck eines
unnennbaren grausigen Etwas, dessen Walten wie das Walten der Natur-


terials. sondern auch die Aufstellung und wissenschaftliche Begründung allge¬
meiner Principien und Anleitung für die Anwendung derselben auf gegebene
Fälle. Die Wissenschaft soll uns nicht allein richtig erkennen, sondern auch
urtheilen lehren. In wie weit d>es dem Verfasser eines Lehrbuchs gelungen,
das ist eben die Frage, mit deren Beantwortung die Kritik sich zu beschäf¬
tigen bat.

Treten wir mit den bezeichneten Anforderungen dem Lehrbuche von
Lorenz Stein näher, so vermissen wir in demselben nichts von dem Stoffe,
welchen die Finanzwissenschaft behandelt. Es beschränkt zwar den Umfang
derselben mehr als üblich, indem es das Finanzwesen als denjenigen Theil
der Staatswirthschaft bezeichnet, welcher es mit den Einnahmen zu thun
hat. und demgemäß die Ausgaben, wie die Ordnung und Verwaltung
des Haushaltes als besondere, das Finanzwesen nicht berührende Theile
der Staatswirthschaft hinstellt. Da jedoch der Versasser die beiden aus¬
geschiedenen Theile dem dritten, dem Finanzwesen, vorausschickt, so weit er
sie für das Verständniß desselben nothwendig erachtet, so lassen wir diesen Punkt
beruhe». Eigenthümlichkeiten in der Eintheilung und in den Definitionen unter¬
scheiden am bequemsten ein System von einem andern; über solche Kleinigkeiten
wollen wir mit dem Verfasser nicht rechten, da wir in der glücklichen Lage sind,
seinem Werke weit interessantere Seiten abzugewinnen. Das Anziehende, ja Auf¬
fallende des Buches liegt nämlich nicht etwa in seiner Technik, die zwar nicht lücken¬
haft, aber doch dürftig genannt werden kann; die am Schlüsse der einzelnen Ab¬
schnitte mit kleiner Schrift gedruckten Notizen über Literatur, über wirkliche Ver¬
hältnisse und deren Vergleichung in verschiedenen Ländern in Bezug auf Steuern u.
tgi. — Diese Notizen reichen kaum zum Gebrauch bei Vorlesungen aus, geschweige
denn zum Selbststudium. Wenn der Verfasser in dem Vorworte die „innige
Hoffnung" nusspricht, durch jene Noten der Herstellung einer vergleichenden
Finanzwissenschaft zu dienen, so müssen wir mit Bedauern gestehen, daß
wir diese Dienste für äußerst geringfügig halten.

Anders verhält es sich dagegen mit der ersten Forderung, welche der Ver¬
fasser in der Vorrede an sein Werk stellt: „völlige Klarheit in den organischen
Grundbegriffen, namentlich bei der Besteuerung, und das richtige Ver¬
ständniß des Wesens und der Function eines guten Steuersystems, die allein
der Geso.hr, welche die unaufgelöste Phrase grade hier bringt, zu begegnen
im Stande sind." Dieser Forderung entspricht das Buch in einer merkwür¬
digen Weise; seine Principien, seine Grundbegriffe haben uns wahrhaft in
Erstaunen versetzt. — Leider vermißt man unier der Menge von Grundbe¬
griffen den des Staates selbst; der Staat, wie er hier für das Finanzwesen
gebraucht wird, macht noch den jetzt so ziemlich überwundenen Eindruck eines
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/120>, abgerufen am 22.05.2024.