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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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falle. Zur großen Unzufriedenheit Vieler, die derselben Ueberzeugung waren
-- auch wir gehörten dazu -- gab er sich, um eine breitere Basis zu ge¬
winnen, einen Ausdruck, der diese Ueberzeugung verwischte. Aber die Gegner
ließen sich durch diesen Ausdruck nicht tauschen, den Kern der Sache da zu
finden, wo er wirklich lag! von ihnen rührt die Bezeichnung "Neugo-
thaer" her. ,

Der Nationalverein ging, wenigstens zum größten Theil, aus derjenigen
Schicht der alten Demokratie hervor, welche, durch eine Reihe ernster Jahre
erzogen, sich nur noch durch den Namen und einzelne meist persönliche Er¬
innerungen von uns schied. Daß wir uns mit diesem Theil der Demokratie
einmal auf gleichem Boden finden würden, war lange vorauszusehn.

Daß aber die Umbildung der Partei tiefer gedrungen ist, zeigt uns eine
neu erschienene Schrift: Demokratische Studien, herausgegeben von
Walesrode (Hamburg. Meißner). Die Mitarbeiter sind: Bamberger, Oppen¬
heim, Lassalle, Vogt, Ludwig Simon aus Trier, Moritz Hartmann, Fr. Kapp,
Michelet, Adolf Stahr, Karl Grün: also zum Theil Angehörige der äußersten
Linken von 1848, leidenschaftliche Bekämpfer der Centren, die damals das
Programm des jetzigen Nationalvereins aufstellten, leidenschaftliche Verbündete
des zu verjüngenden Oestreich und Feinde Preußens. Keiner von ihnen hat
so leidenschaftlich die Altgothaer angefochten, als Ludwig Simon, und
grade dieser ist es, der in der vorliegenden Schrift am correctesten das
Programm des Neu-Gothaismus aufstellt. Daß er nachzuweisen sucht, er
habe sich in seinen Ueberzeugungen nicht geändert, dagegen läßt sich nichts
einwenden: wie er subjectiv zu seiner Ueberzeugung kommt, das hat jeder
Einzelne mit sich auszumachen, die Hauptsache ist die Ueberzeugung selbst.
Auch principielle Vorbehalte (z. B. daß, abstract betrachtet, die Republik besser
sei als die Monarchie), können wir ohne Bedenken gelten lassen, da aus
Avstractionen nichts ankommt. -- In dieselbe Reihe gehört eine einzeln er¬
schienene Broschüre von Arnold Rüge: "Die drei Völker und die Legitimi¬
tät, oder die Italiener, die Ungarn und die Deutschen beim Sturze Oestreichs,"
die ihre Richtung schon durch die Widmung an den Nationalverein verräth.
Alle diese Männer vertreten die Ueberzeugung, daß Deutschland, Preußen an
der Spitze, für die gegenwärtige Zeit nichts besseres zu thun hat, als sich
von dem Einfluß Oestreichs loszureißen und diese Losreißung soviel als mög¬
lich durch bleibende Institutionen zu sichern.

Bei dieser Uebereinstimmung in der Hauptsache sollte es befremden, daß
trotzdem die alten Sticheleien und die alten Scheltworte auf die "Gothaer"
fortgehn -- freilich ist es diesmal nur Walesrode, der sich dazu hergibt, ein
Schriftsteller, der mehr durch seinen Humor als durch seinen politischen Ver¬
stand bekannt ist. Aber erklärlich ist die Sache doch, und wir gehn darauf


falle. Zur großen Unzufriedenheit Vieler, die derselben Ueberzeugung waren
— auch wir gehörten dazu — gab er sich, um eine breitere Basis zu ge¬
winnen, einen Ausdruck, der diese Ueberzeugung verwischte. Aber die Gegner
ließen sich durch diesen Ausdruck nicht tauschen, den Kern der Sache da zu
finden, wo er wirklich lag! von ihnen rührt die Bezeichnung „Neugo-
thaer" her. ,

Der Nationalverein ging, wenigstens zum größten Theil, aus derjenigen
Schicht der alten Demokratie hervor, welche, durch eine Reihe ernster Jahre
erzogen, sich nur noch durch den Namen und einzelne meist persönliche Er¬
innerungen von uns schied. Daß wir uns mit diesem Theil der Demokratie
einmal auf gleichem Boden finden würden, war lange vorauszusehn.

Daß aber die Umbildung der Partei tiefer gedrungen ist, zeigt uns eine
neu erschienene Schrift: Demokratische Studien, herausgegeben von
Walesrode (Hamburg. Meißner). Die Mitarbeiter sind: Bamberger, Oppen¬
heim, Lassalle, Vogt, Ludwig Simon aus Trier, Moritz Hartmann, Fr. Kapp,
Michelet, Adolf Stahr, Karl Grün: also zum Theil Angehörige der äußersten
Linken von 1848, leidenschaftliche Bekämpfer der Centren, die damals das
Programm des jetzigen Nationalvereins aufstellten, leidenschaftliche Verbündete
des zu verjüngenden Oestreich und Feinde Preußens. Keiner von ihnen hat
so leidenschaftlich die Altgothaer angefochten, als Ludwig Simon, und
grade dieser ist es, der in der vorliegenden Schrift am correctesten das
Programm des Neu-Gothaismus aufstellt. Daß er nachzuweisen sucht, er
habe sich in seinen Ueberzeugungen nicht geändert, dagegen läßt sich nichts
einwenden: wie er subjectiv zu seiner Ueberzeugung kommt, das hat jeder
Einzelne mit sich auszumachen, die Hauptsache ist die Ueberzeugung selbst.
Auch principielle Vorbehalte (z. B. daß, abstract betrachtet, die Republik besser
sei als die Monarchie), können wir ohne Bedenken gelten lassen, da aus
Avstractionen nichts ankommt. — In dieselbe Reihe gehört eine einzeln er¬
schienene Broschüre von Arnold Rüge: „Die drei Völker und die Legitimi¬
tät, oder die Italiener, die Ungarn und die Deutschen beim Sturze Oestreichs,"
die ihre Richtung schon durch die Widmung an den Nationalverein verräth.
Alle diese Männer vertreten die Ueberzeugung, daß Deutschland, Preußen an
der Spitze, für die gegenwärtige Zeit nichts besseres zu thun hat, als sich
von dem Einfluß Oestreichs loszureißen und diese Losreißung soviel als mög¬
lich durch bleibende Institutionen zu sichern.

Bei dieser Uebereinstimmung in der Hauptsache sollte es befremden, daß
trotzdem die alten Sticheleien und die alten Scheltworte auf die „Gothaer"
fortgehn — freilich ist es diesmal nur Walesrode, der sich dazu hergibt, ein
Schriftsteller, der mehr durch seinen Humor als durch seinen politischen Ver¬
stand bekannt ist. Aber erklärlich ist die Sache doch, und wir gehn darauf


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[0134] falle. Zur großen Unzufriedenheit Vieler, die derselben Ueberzeugung waren — auch wir gehörten dazu — gab er sich, um eine breitere Basis zu ge¬ winnen, einen Ausdruck, der diese Ueberzeugung verwischte. Aber die Gegner ließen sich durch diesen Ausdruck nicht tauschen, den Kern der Sache da zu finden, wo er wirklich lag! von ihnen rührt die Bezeichnung „Neugo- thaer" her. , Der Nationalverein ging, wenigstens zum größten Theil, aus derjenigen Schicht der alten Demokratie hervor, welche, durch eine Reihe ernster Jahre erzogen, sich nur noch durch den Namen und einzelne meist persönliche Er¬ innerungen von uns schied. Daß wir uns mit diesem Theil der Demokratie einmal auf gleichem Boden finden würden, war lange vorauszusehn. Daß aber die Umbildung der Partei tiefer gedrungen ist, zeigt uns eine neu erschienene Schrift: Demokratische Studien, herausgegeben von Walesrode (Hamburg. Meißner). Die Mitarbeiter sind: Bamberger, Oppen¬ heim, Lassalle, Vogt, Ludwig Simon aus Trier, Moritz Hartmann, Fr. Kapp, Michelet, Adolf Stahr, Karl Grün: also zum Theil Angehörige der äußersten Linken von 1848, leidenschaftliche Bekämpfer der Centren, die damals das Programm des jetzigen Nationalvereins aufstellten, leidenschaftliche Verbündete des zu verjüngenden Oestreich und Feinde Preußens. Keiner von ihnen hat so leidenschaftlich die Altgothaer angefochten, als Ludwig Simon, und grade dieser ist es, der in der vorliegenden Schrift am correctesten das Programm des Neu-Gothaismus aufstellt. Daß er nachzuweisen sucht, er habe sich in seinen Ueberzeugungen nicht geändert, dagegen läßt sich nichts einwenden: wie er subjectiv zu seiner Ueberzeugung kommt, das hat jeder Einzelne mit sich auszumachen, die Hauptsache ist die Ueberzeugung selbst. Auch principielle Vorbehalte (z. B. daß, abstract betrachtet, die Republik besser sei als die Monarchie), können wir ohne Bedenken gelten lassen, da aus Avstractionen nichts ankommt. — In dieselbe Reihe gehört eine einzeln er¬ schienene Broschüre von Arnold Rüge: „Die drei Völker und die Legitimi¬ tät, oder die Italiener, die Ungarn und die Deutschen beim Sturze Oestreichs," die ihre Richtung schon durch die Widmung an den Nationalverein verräth. Alle diese Männer vertreten die Ueberzeugung, daß Deutschland, Preußen an der Spitze, für die gegenwärtige Zeit nichts besseres zu thun hat, als sich von dem Einfluß Oestreichs loszureißen und diese Losreißung soviel als mög¬ lich durch bleibende Institutionen zu sichern. Bei dieser Uebereinstimmung in der Hauptsache sollte es befremden, daß trotzdem die alten Sticheleien und die alten Scheltworte auf die „Gothaer" fortgehn — freilich ist es diesmal nur Walesrode, der sich dazu hergibt, ein Schriftsteller, der mehr durch seinen Humor als durch seinen politischen Ver¬ stand bekannt ist. Aber erklärlich ist die Sache doch, und wir gehn darauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/134>, abgerufen am 21.05.2024.