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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Reform der Bundeskriegsverfassung willigen würde, wenn ihm Preußen seinen
Gesammtbesitz, namentlich Venetien garantirt; Preußen den Standpunkt, daß
eine solche Concession für ein so großes Opfer nicht genügt.

Wir sind entschieden der letzten Meinung, um so mehr, da mit der blo¬
ßen Einwilligung Oestreichs in den preußischen Vorschlag die Sache noch lange
nicht abgemacht ist. Die Reform der Bundcskriegsverfassung, die organischen
Bundesgesetze betreffend, kann nur durch Einstimmigkeit erfolgen; es ist aber
kein Grund, anzunehmen, daß die Regierungen von Bayern, Sachsen u. s. w.
sich diesem Antrag fügen, selbst wenn Oestreich, was noch gar nicht ausgemacht
ist, sie ernstlich dazu zu bestimmen suchte. Soll ihnen denn etwa Preußen
mit Oestreich im Bunde Gewalt anthun!

Dabei kommt noch eine zweite sehr ernste Frage in Betracht: wie hoch
ist der Beistand Oestreichs anzuschlagen? Das östreichische Heer ist vortrefflich;
aber wieviel ist von einem Staat zu erwarten, den seine pecuniären Verhält¬
nisse jeden Augenblick nöthigen können, Frieden zu schließen, und der seinen
eignen Provinzen nicht traut? -- Man vergleiche darüber eine interessante
Broschüre: Betrachtungen eines Engländers über die östreichischen
Zustände (Stuttgart, Göpel), von einem Verfasser, der eigentlich viel Sym¬
pathien für Oestreich hat.

Jene Frage, was Preußen thun soll, sobald in Oestreich die Krisis ein¬
tritt, ist um so schwieriger zu lösen, da wir fest überzeugt sind, daß der un¬
glückliche Ausgang eines großen Krieges für Oestreichs wie es jetzt ist, nichts
anderes heißt, als Untergang. -- Ist nach dem Fall Oestreichs Preußen mit
den übrigen deutschen Staaten noch stark genug, einer dann zu vermuthenden
russisch-französischen Koalition zu widersteh"? --

Diese Frage muß ganz entschieden beantwortet sein, ehe Preußen seinen
Entschluß saßt. Sie übersehen oder vielmehr sie zu leicht genommen zu ha"
ben, ist der Hauptfehler einer sonst sehr beachtenswerthen Schrift: die
deutsche Frage. Von Friedrich v. Thielau, Berlin, Springer. (Von
demselben Verfasser erschien früher: die Traditionen der preußischen Politik,
niedergelegt in einer Reihe geschichtlicher Aufsätze.) -- Herr v. Thielau spricht
sich entschieden für das französisch-italienische Bündniß gegen Oestreich aus,
das er den letzten entscheidenden Kampf der Freiheit für Deutschland und
Italien nennt. Er geht aber von zwei gewagten Voraussetzungen aus: daß
Frankreich eine Constituirung Deutschlands zulassen werde, ohne dafür die
Rheingrenze zu verlangen; und daß Oestreich, aus der Herrschaft Deutschlands
und Italiens verdrängt, nicht blos diesen ungeheuern Fall überleben, sondern
auch seinen Beruf, den Südosten zu cultiviren, desto besser erfüllen werde.

-- Wir gedenken die Frage nicht zu beantworten; es genügt für jetzt, sie
überhaupt gestellt zu haben. -- Daß Oestreich sie noch nicht drohend und


Reform der Bundeskriegsverfassung willigen würde, wenn ihm Preußen seinen
Gesammtbesitz, namentlich Venetien garantirt; Preußen den Standpunkt, daß
eine solche Concession für ein so großes Opfer nicht genügt.

Wir sind entschieden der letzten Meinung, um so mehr, da mit der blo¬
ßen Einwilligung Oestreichs in den preußischen Vorschlag die Sache noch lange
nicht abgemacht ist. Die Reform der Bundcskriegsverfassung, die organischen
Bundesgesetze betreffend, kann nur durch Einstimmigkeit erfolgen; es ist aber
kein Grund, anzunehmen, daß die Regierungen von Bayern, Sachsen u. s. w.
sich diesem Antrag fügen, selbst wenn Oestreich, was noch gar nicht ausgemacht
ist, sie ernstlich dazu zu bestimmen suchte. Soll ihnen denn etwa Preußen
mit Oestreich im Bunde Gewalt anthun!

Dabei kommt noch eine zweite sehr ernste Frage in Betracht: wie hoch
ist der Beistand Oestreichs anzuschlagen? Das östreichische Heer ist vortrefflich;
aber wieviel ist von einem Staat zu erwarten, den seine pecuniären Verhält¬
nisse jeden Augenblick nöthigen können, Frieden zu schließen, und der seinen
eignen Provinzen nicht traut? — Man vergleiche darüber eine interessante
Broschüre: Betrachtungen eines Engländers über die östreichischen
Zustände (Stuttgart, Göpel), von einem Verfasser, der eigentlich viel Sym¬
pathien für Oestreich hat.

Jene Frage, was Preußen thun soll, sobald in Oestreich die Krisis ein¬
tritt, ist um so schwieriger zu lösen, da wir fest überzeugt sind, daß der un¬
glückliche Ausgang eines großen Krieges für Oestreichs wie es jetzt ist, nichts
anderes heißt, als Untergang. — Ist nach dem Fall Oestreichs Preußen mit
den übrigen deutschen Staaten noch stark genug, einer dann zu vermuthenden
russisch-französischen Koalition zu widersteh»? —

Diese Frage muß ganz entschieden beantwortet sein, ehe Preußen seinen
Entschluß saßt. Sie übersehen oder vielmehr sie zu leicht genommen zu ha»
ben, ist der Hauptfehler einer sonst sehr beachtenswerthen Schrift: die
deutsche Frage. Von Friedrich v. Thielau, Berlin, Springer. (Von
demselben Verfasser erschien früher: die Traditionen der preußischen Politik,
niedergelegt in einer Reihe geschichtlicher Aufsätze.) — Herr v. Thielau spricht
sich entschieden für das französisch-italienische Bündniß gegen Oestreich aus,
das er den letzten entscheidenden Kampf der Freiheit für Deutschland und
Italien nennt. Er geht aber von zwei gewagten Voraussetzungen aus: daß
Frankreich eine Constituirung Deutschlands zulassen werde, ohne dafür die
Rheingrenze zu verlangen; und daß Oestreich, aus der Herrschaft Deutschlands
und Italiens verdrängt, nicht blos diesen ungeheuern Fall überleben, sondern
auch seinen Beruf, den Südosten zu cultiviren, desto besser erfüllen werde.

— Wir gedenken die Frage nicht zu beantworten; es genügt für jetzt, sie
überhaupt gestellt zu haben. — Daß Oestreich sie noch nicht drohend und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/139>, abgerufen am 21.05.2024.