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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ciplin. welche der General Zucchi übte, eine tüchtige aufgeklärte Mittelclasse,
aus welche die Minister sich hätten stützen können, fehlte. Am 18. Novbr. ward
Rossi ermordet, die Kammer fand kein Wort der Rüge. Pius floh im Wagen
der Gräfin Span nach Neapel aus dem Rom, das ihn binnen 19 Monaten
vergöttert und verflucht hatte. Es war inzwischen bei ihm eine entschiedene
Gesinnungsänderung eingetreten, er hatte an der Reform verzweifelt und auf
die Vermittlungsvorschläge Giobertis, der als piemontesischer Minister seine
Idee des Primato verwirklichen wollte, antwortete er, nur fremde bewaffnete
Hilfe könne seine, durch freche Faction überfallne Autorität wieder aufrichten.
Oestreichs Intervention ward angerufen, weil sie zuverlässiger schien, als die
Anerbietungen Spaniens und Neapels, das wiener Cabinet war willig dazu,
wagte es aber nicht ohne Zustimmung Frankreichs zu thun. Indeß arbeiteten
in Rom. wie in ganz Italien die Radicalen der Reaction in die Hand, die
constituirende Versammlung erklärte den Papst seiner weltlichen Würde ver¬
lustig, der Großherzog von Toscana floh vor den Excessen der florentinischen
Demokratie.

Für die Geschicke der apenninischen Halbinsel wird immer die Stellung Nea¬
pels und noch mehr Piemonts maßgebend sein. König Ferdinand der Zweite hatte
mit eigner Gewalt die Revolution niedergeworfen, Sardinien sollte durch die
östreichischen Waffen gedemüthigt werden. Die nach dem Waffenstillstand von
Vigevano angesponnenen Verhandlungen über einen definitiven Frieden schlepp¬
ten sich unter dem Hin- und Herzerren der englisch-französischen Vermittlung
resultatlos durch den Winter hin. Die Lage hatte sich umgekehrt, wie im
Frühling Piemont Forderungen machte, aus die selbst das tief erschütterte Oest¬
reich nicht eingehen wollte, so verlangte jetzt letzteres, was Karl Albert nicht
gewähren konnte, je mehr das wiener Cabinet sich in seinen deutschen Landen
wieder befestigte, desto höher stiegen seine Ansprüche, es weigerte sich jetzt irgend
etwas von seinem Besitzstande aufzugeben, so konnte der von Palmerston pro-
jectirte Kongreß in Brüssel nicht zu Stande kommen. Die Gegensätze scharfem
sich, indem in Wien Schwarzenberg, in Turin Gioberti an die Spitze der
Geschäfte traten. Piemont ward im Innern durch ein heilloses Parteitreiben zer¬
rüttet, das Ministerium wurde durch die jetzt in Turin tagende lombardische
Consulta und die Emigration gedrängt, welche durch die Radetzkyschen Con-
fiscationsdecrete zur Wuth entflammt war, die Demokratie forderte laut den
Krieg. Der König fühlte die Lage als für seine Person, die Krone und das
Land so aufreibend, er war so vollständig von der Nutzlosigkeit aller Friedens¬
verhandlungen überzeugt, daß er beschloß, die nochmalige Entscheidung des
Schwertes anzurufen, um den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern. Die
Schlacht von Novara zerstörte seine letzte Hoffnung. Da er fühlte, daß seine
Person ein Hinderniß sür den Frieden sei, dankte er großherzig ab. Mit dem


ciplin. welche der General Zucchi übte, eine tüchtige aufgeklärte Mittelclasse,
aus welche die Minister sich hätten stützen können, fehlte. Am 18. Novbr. ward
Rossi ermordet, die Kammer fand kein Wort der Rüge. Pius floh im Wagen
der Gräfin Span nach Neapel aus dem Rom, das ihn binnen 19 Monaten
vergöttert und verflucht hatte. Es war inzwischen bei ihm eine entschiedene
Gesinnungsänderung eingetreten, er hatte an der Reform verzweifelt und auf
die Vermittlungsvorschläge Giobertis, der als piemontesischer Minister seine
Idee des Primato verwirklichen wollte, antwortete er, nur fremde bewaffnete
Hilfe könne seine, durch freche Faction überfallne Autorität wieder aufrichten.
Oestreichs Intervention ward angerufen, weil sie zuverlässiger schien, als die
Anerbietungen Spaniens und Neapels, das wiener Cabinet war willig dazu,
wagte es aber nicht ohne Zustimmung Frankreichs zu thun. Indeß arbeiteten
in Rom. wie in ganz Italien die Radicalen der Reaction in die Hand, die
constituirende Versammlung erklärte den Papst seiner weltlichen Würde ver¬
lustig, der Großherzog von Toscana floh vor den Excessen der florentinischen
Demokratie.

Für die Geschicke der apenninischen Halbinsel wird immer die Stellung Nea¬
pels und noch mehr Piemonts maßgebend sein. König Ferdinand der Zweite hatte
mit eigner Gewalt die Revolution niedergeworfen, Sardinien sollte durch die
östreichischen Waffen gedemüthigt werden. Die nach dem Waffenstillstand von
Vigevano angesponnenen Verhandlungen über einen definitiven Frieden schlepp¬
ten sich unter dem Hin- und Herzerren der englisch-französischen Vermittlung
resultatlos durch den Winter hin. Die Lage hatte sich umgekehrt, wie im
Frühling Piemont Forderungen machte, aus die selbst das tief erschütterte Oest¬
reich nicht eingehen wollte, so verlangte jetzt letzteres, was Karl Albert nicht
gewähren konnte, je mehr das wiener Cabinet sich in seinen deutschen Landen
wieder befestigte, desto höher stiegen seine Ansprüche, es weigerte sich jetzt irgend
etwas von seinem Besitzstande aufzugeben, so konnte der von Palmerston pro-
jectirte Kongreß in Brüssel nicht zu Stande kommen. Die Gegensätze scharfem
sich, indem in Wien Schwarzenberg, in Turin Gioberti an die Spitze der
Geschäfte traten. Piemont ward im Innern durch ein heilloses Parteitreiben zer¬
rüttet, das Ministerium wurde durch die jetzt in Turin tagende lombardische
Consulta und die Emigration gedrängt, welche durch die Radetzkyschen Con-
fiscationsdecrete zur Wuth entflammt war, die Demokratie forderte laut den
Krieg. Der König fühlte die Lage als für seine Person, die Krone und das
Land so aufreibend, er war so vollständig von der Nutzlosigkeit aller Friedens¬
verhandlungen überzeugt, daß er beschloß, die nochmalige Entscheidung des
Schwertes anzurufen, um den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern. Die
Schlacht von Novara zerstörte seine letzte Hoffnung. Da er fühlte, daß seine
Person ein Hinderniß sür den Frieden sei, dankte er großherzig ab. Mit dem


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[0152] ciplin. welche der General Zucchi übte, eine tüchtige aufgeklärte Mittelclasse, aus welche die Minister sich hätten stützen können, fehlte. Am 18. Novbr. ward Rossi ermordet, die Kammer fand kein Wort der Rüge. Pius floh im Wagen der Gräfin Span nach Neapel aus dem Rom, das ihn binnen 19 Monaten vergöttert und verflucht hatte. Es war inzwischen bei ihm eine entschiedene Gesinnungsänderung eingetreten, er hatte an der Reform verzweifelt und auf die Vermittlungsvorschläge Giobertis, der als piemontesischer Minister seine Idee des Primato verwirklichen wollte, antwortete er, nur fremde bewaffnete Hilfe könne seine, durch freche Faction überfallne Autorität wieder aufrichten. Oestreichs Intervention ward angerufen, weil sie zuverlässiger schien, als die Anerbietungen Spaniens und Neapels, das wiener Cabinet war willig dazu, wagte es aber nicht ohne Zustimmung Frankreichs zu thun. Indeß arbeiteten in Rom. wie in ganz Italien die Radicalen der Reaction in die Hand, die constituirende Versammlung erklärte den Papst seiner weltlichen Würde ver¬ lustig, der Großherzog von Toscana floh vor den Excessen der florentinischen Demokratie. Für die Geschicke der apenninischen Halbinsel wird immer die Stellung Nea¬ pels und noch mehr Piemonts maßgebend sein. König Ferdinand der Zweite hatte mit eigner Gewalt die Revolution niedergeworfen, Sardinien sollte durch die östreichischen Waffen gedemüthigt werden. Die nach dem Waffenstillstand von Vigevano angesponnenen Verhandlungen über einen definitiven Frieden schlepp¬ ten sich unter dem Hin- und Herzerren der englisch-französischen Vermittlung resultatlos durch den Winter hin. Die Lage hatte sich umgekehrt, wie im Frühling Piemont Forderungen machte, aus die selbst das tief erschütterte Oest¬ reich nicht eingehen wollte, so verlangte jetzt letzteres, was Karl Albert nicht gewähren konnte, je mehr das wiener Cabinet sich in seinen deutschen Landen wieder befestigte, desto höher stiegen seine Ansprüche, es weigerte sich jetzt irgend etwas von seinem Besitzstande aufzugeben, so konnte der von Palmerston pro- jectirte Kongreß in Brüssel nicht zu Stande kommen. Die Gegensätze scharfem sich, indem in Wien Schwarzenberg, in Turin Gioberti an die Spitze der Geschäfte traten. Piemont ward im Innern durch ein heilloses Parteitreiben zer¬ rüttet, das Ministerium wurde durch die jetzt in Turin tagende lombardische Consulta und die Emigration gedrängt, welche durch die Radetzkyschen Con- fiscationsdecrete zur Wuth entflammt war, die Demokratie forderte laut den Krieg. Der König fühlte die Lage als für seine Person, die Krone und das Land so aufreibend, er war so vollständig von der Nutzlosigkeit aller Friedens¬ verhandlungen überzeugt, daß er beschloß, die nochmalige Entscheidung des Schwertes anzurufen, um den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern. Die Schlacht von Novara zerstörte seine letzte Hoffnung. Da er fühlte, daß seine Person ein Hinderniß sür den Frieden sei, dankte er großherzig ab. Mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/152>, abgerufen am 22.05.2024.