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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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jener Civilbehörde ein Geschenk von etlichen Rubeln und steckt den Nest der
Differenz zwischen Angeblich und Wirklich in die Tasche.

Nach russischem System kann ein Oberer gegen einen Untergebenen nie Un¬
recht, ein Untergebener seinem Obern gegenüber nie Recht haben. Die Regierung
hat zwar sogenannte Inspections-Revuen (Jnspectorskoi Snetr) eingerichtet, wo
man einen zu diesem Zweck abgeordneten General erscheinen sieht, um die Beklei¬
dung und Ausrüstung der Mannschaften zu mustern und an sie zugleich die Frage
zu richten, ob sie sich über ihre Vorgesetzten irgendwie zu beklagen haben. Aber
wehe dem Soldaten, der sich erkühnte, die mindeste Klage vorzubringen, das lei¬
seste Mißbehagen merken zu lassen. Es ist immer Alles in der Ordnung.
Wollte ein Unzufricdncr laut werden, so würde man die Sache der Prüfung
höher gestellter Officiere übergeben, weiche der Oberst zu bestechen wissen würde,
und kaum wäre der Inspector abgereist, so würde der Oberst die erste beste
Gelegenheit vom Zaun brechen, um dem kecken Soldaten fünfhundert Stock¬
prügel und nach Heilung des mißhandelten Rückens eine gleiche Last dieser
Gattung aufzählen zu lassen. Was sollen die Armen unter solchen Umständen
thun? Man sieht, ihr Loos ist Dulden und Schweigen.

Aber auch die Officiere sind nichts weniger als sicher vor dem Despotis¬
mus und der Habsucht ihrer Obersten. Dieselben treiben fleißig das Geschäft
von NoMmmen und ziehen daraus erklecklichen Nutzen, indem sie die wohl¬
habenden unter ihren Lieutenants und Hauptleuten nöthigen, ihnen Pferde zu
übertriebenen Preisen abzukaufen. In jedem Regiment ferner ist ein Officier
mit den Functionen eines Zahlmeisters und ein anderer mit dem Amt eines
Quartiermeisters betraut. Beide Stellen sind dem Herkommen nach mit Leu¬
ten zu besetzen, welche das Ofsicierskorps des Regiments wählt. In Wirk-
Uchkeit aber besetzt sie der Oberst nach seinem Gutdünken. Er schlägt seine
Günstlinge vor, und die Wahl ist eine bloße Form. Wollten Officiere, welche
dem Obersten nicht zusagen, es wagen, die auf sie gefallne Wahl ihrer
Kameraden anzunehmen, so würden sie es bald zu bereuen haben, da ihr
Chef tausend Mittel in Händen hat, ihnen Ungelegenheiten zu verschaffen.
Welche Bedeutung aber ein Zahlmeister und ein Quartiermeister für einen
solchen russischen Regimentsches haben, bedarf keiner Auseinandersetzung. Sie
werden eben seine Gehilfen bei seinen Erpressungen und Unterschleifen.

Alles das hat sich in den letzten Jahren nicht entfernt gebessert und kann
sich nicht bessern, so lange das alte System fortbesteht. Der jetzige Kriegs¬
minister ist ein Ehrenmann von großer Erfahrung und den besten Absichten,
aber er ist alt, kränklich und fast blind. Dazu kommt, daß die russische Bu¬
reaukratie mächtiger als die Minister ist. Diejenigen von den letztern, welche
nicht einwilligen, sich zu Werkzeugen jener widerwärtigen Horde von Dieben
am öffentlichen Gut machen zu lassen, sondern aufrichtig das Beste ihres Lein-


jener Civilbehörde ein Geschenk von etlichen Rubeln und steckt den Nest der
Differenz zwischen Angeblich und Wirklich in die Tasche.

Nach russischem System kann ein Oberer gegen einen Untergebenen nie Un¬
recht, ein Untergebener seinem Obern gegenüber nie Recht haben. Die Regierung
hat zwar sogenannte Inspections-Revuen (Jnspectorskoi Snetr) eingerichtet, wo
man einen zu diesem Zweck abgeordneten General erscheinen sieht, um die Beklei¬
dung und Ausrüstung der Mannschaften zu mustern und an sie zugleich die Frage
zu richten, ob sie sich über ihre Vorgesetzten irgendwie zu beklagen haben. Aber
wehe dem Soldaten, der sich erkühnte, die mindeste Klage vorzubringen, das lei¬
seste Mißbehagen merken zu lassen. Es ist immer Alles in der Ordnung.
Wollte ein Unzufricdncr laut werden, so würde man die Sache der Prüfung
höher gestellter Officiere übergeben, weiche der Oberst zu bestechen wissen würde,
und kaum wäre der Inspector abgereist, so würde der Oberst die erste beste
Gelegenheit vom Zaun brechen, um dem kecken Soldaten fünfhundert Stock¬
prügel und nach Heilung des mißhandelten Rückens eine gleiche Last dieser
Gattung aufzählen zu lassen. Was sollen die Armen unter solchen Umständen
thun? Man sieht, ihr Loos ist Dulden und Schweigen.

Aber auch die Officiere sind nichts weniger als sicher vor dem Despotis¬
mus und der Habsucht ihrer Obersten. Dieselben treiben fleißig das Geschäft
von NoMmmen und ziehen daraus erklecklichen Nutzen, indem sie die wohl¬
habenden unter ihren Lieutenants und Hauptleuten nöthigen, ihnen Pferde zu
übertriebenen Preisen abzukaufen. In jedem Regiment ferner ist ein Officier
mit den Functionen eines Zahlmeisters und ein anderer mit dem Amt eines
Quartiermeisters betraut. Beide Stellen sind dem Herkommen nach mit Leu¬
ten zu besetzen, welche das Ofsicierskorps des Regiments wählt. In Wirk-
Uchkeit aber besetzt sie der Oberst nach seinem Gutdünken. Er schlägt seine
Günstlinge vor, und die Wahl ist eine bloße Form. Wollten Officiere, welche
dem Obersten nicht zusagen, es wagen, die auf sie gefallne Wahl ihrer
Kameraden anzunehmen, so würden sie es bald zu bereuen haben, da ihr
Chef tausend Mittel in Händen hat, ihnen Ungelegenheiten zu verschaffen.
Welche Bedeutung aber ein Zahlmeister und ein Quartiermeister für einen
solchen russischen Regimentsches haben, bedarf keiner Auseinandersetzung. Sie
werden eben seine Gehilfen bei seinen Erpressungen und Unterschleifen.

Alles das hat sich in den letzten Jahren nicht entfernt gebessert und kann
sich nicht bessern, so lange das alte System fortbesteht. Der jetzige Kriegs¬
minister ist ein Ehrenmann von großer Erfahrung und den besten Absichten,
aber er ist alt, kränklich und fast blind. Dazu kommt, daß die russische Bu¬
reaukratie mächtiger als die Minister ist. Diejenigen von den letztern, welche
nicht einwilligen, sich zu Werkzeugen jener widerwärtigen Horde von Dieben
am öffentlichen Gut machen zu lassen, sondern aufrichtig das Beste ihres Lein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/163>, abgerufen am 16.05.2024.