Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kann, ist er hier fast ebenso sehr an die Scholle gebunden, wie im Mittel¬
alter der leibeigne Bauer. Während dort nur der Ungeschickte und Träge
verkommt, bewahrt hier auch Fachkenntniß und Fleiß nicht immer vor Verar¬
mung. Während endlich der deutsche Handwerker in fremden Ländern unter
dem Panier der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit zu den gewandtesten Ar¬
beitern gezählt und ihm von dem Amerikaner, dem Franzosen, dem Engländer
vor dem eingebornen vielfach der Vorzug gegeben wird, ist es eine allgemein aner¬
kannte Thatsache, daß die in Deutschland selbst, unter dem Bann von Zunftsatzungen
oder Concessionen erzeugten Producte denen der englischen, französischen und ameri¬
kanischen Industrie noch jetzt in den meisten Beziehungen nachstehen. Sind die
einzelnen deutschen Gewerbe- und Heimathsgesetze in der Mehrzahl schon an
sich keine Muster, so sind sie durch die Beschränkung, welche ihr Nebeneinander¬
bestehen der Production und dem Verkehr, der Verwendung der Arbeitskräfte
und der Verwerthung der Arbeitserzeugnisse auferlegt, gradezu gemeinschädlich
für die sittliche und wirthschaftliche Entwicklung unsres Volkes. Ihre Wir¬
kung ist Stockung der Säfte. Verkümmerung des Wachsthums und eine all¬
gemeine Verstimmung, welche Stadt gegen Stadt, die Städte wieder gegen
das Platte Land, Innung gegen Innung, die Gesellen gegen die Meister, die
Werkstätten gegen die Fabriken, das Capital gegen die Arbeit und die Arbeit
gegen das Capital in den Krieg schickt.

Während in Frankreich jeder Deutsche ein Land findet, in dem er frei
arbeiten, sich frei niederlassen, sich ohne Bewilligung hoher Obrigkeit einen
häuslichen Heerd gründen darf (die neunzig tausend "deutschen Arbeiter, welche
in Paris leben, sind vorzüglich aus diese" Gründen dahin gezogen) muß er
im eignen Vaterland diese Rechte entbehren. Die ausgewecktesten Köpfe, die
wackersten Herzen, deren einzige Schuld darin besteht, daß sie nichts erbten
als einen fleißigen Sinn und frische Unternehmungslust, dürfen sehr oft kaum
im nächsten Ort ihres Geburtsländchens, geschweige denn in einem andern
Bundesstaat sich niederlassen und ein Gewerbe begründen. Unser großes, herr¬
liches Vaterland mit seiner strebsamen, klugen und sparsamen Bevölkerung
und seinen reichen, noch für viele Millionen Erwerb bergenden Hilfs¬
quellen wird von den deutschen Gewerbs- und Niederlassungsgcsctzen nicht
viel günstiger als wie ein großes Armenhaus angesehn, das mit lebend um¬
herschleichenden Gemeindelasten bevölkert ist. Weil es unter hundert Personen
vielleicht em halbes Dutzend gibt, die nicht zu wirthschaften verstehn und so
im Lauf der Zeit zu Bettlern werden, erachtet die Weisheit unsrer Gesetzgeber
es für passend, alle Uebrigen unter die Vormundschaft der Behörden zu stellen,
die bei jeder Gewerbebegründung über den Nahrungsstand der vorhandenen
Bürger, über das örtliche Bedürfniß, ja -- wie in Bayern -- über die Wahr¬
scheinlichkeit des Fortkommens zu Gericht sitzen sollen. Nur wer mit einem


^rcnzl'vier III, ISL0, 20

kann, ist er hier fast ebenso sehr an die Scholle gebunden, wie im Mittel¬
alter der leibeigne Bauer. Während dort nur der Ungeschickte und Träge
verkommt, bewahrt hier auch Fachkenntniß und Fleiß nicht immer vor Verar¬
mung. Während endlich der deutsche Handwerker in fremden Ländern unter
dem Panier der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit zu den gewandtesten Ar¬
beitern gezählt und ihm von dem Amerikaner, dem Franzosen, dem Engländer
vor dem eingebornen vielfach der Vorzug gegeben wird, ist es eine allgemein aner¬
kannte Thatsache, daß die in Deutschland selbst, unter dem Bann von Zunftsatzungen
oder Concessionen erzeugten Producte denen der englischen, französischen und ameri¬
kanischen Industrie noch jetzt in den meisten Beziehungen nachstehen. Sind die
einzelnen deutschen Gewerbe- und Heimathsgesetze in der Mehrzahl schon an
sich keine Muster, so sind sie durch die Beschränkung, welche ihr Nebeneinander¬
bestehen der Production und dem Verkehr, der Verwendung der Arbeitskräfte
und der Verwerthung der Arbeitserzeugnisse auferlegt, gradezu gemeinschädlich
für die sittliche und wirthschaftliche Entwicklung unsres Volkes. Ihre Wir¬
kung ist Stockung der Säfte. Verkümmerung des Wachsthums und eine all¬
gemeine Verstimmung, welche Stadt gegen Stadt, die Städte wieder gegen
das Platte Land, Innung gegen Innung, die Gesellen gegen die Meister, die
Werkstätten gegen die Fabriken, das Capital gegen die Arbeit und die Arbeit
gegen das Capital in den Krieg schickt.

Während in Frankreich jeder Deutsche ein Land findet, in dem er frei
arbeiten, sich frei niederlassen, sich ohne Bewilligung hoher Obrigkeit einen
häuslichen Heerd gründen darf (die neunzig tausend »deutschen Arbeiter, welche
in Paris leben, sind vorzüglich aus diese» Gründen dahin gezogen) muß er
im eignen Vaterland diese Rechte entbehren. Die ausgewecktesten Köpfe, die
wackersten Herzen, deren einzige Schuld darin besteht, daß sie nichts erbten
als einen fleißigen Sinn und frische Unternehmungslust, dürfen sehr oft kaum
im nächsten Ort ihres Geburtsländchens, geschweige denn in einem andern
Bundesstaat sich niederlassen und ein Gewerbe begründen. Unser großes, herr¬
liches Vaterland mit seiner strebsamen, klugen und sparsamen Bevölkerung
und seinen reichen, noch für viele Millionen Erwerb bergenden Hilfs¬
quellen wird von den deutschen Gewerbs- und Niederlassungsgcsctzen nicht
viel günstiger als wie ein großes Armenhaus angesehn, das mit lebend um¬
herschleichenden Gemeindelasten bevölkert ist. Weil es unter hundert Personen
vielleicht em halbes Dutzend gibt, die nicht zu wirthschaften verstehn und so
im Lauf der Zeit zu Bettlern werden, erachtet die Weisheit unsrer Gesetzgeber
es für passend, alle Uebrigen unter die Vormundschaft der Behörden zu stellen,
die bei jeder Gewerbebegründung über den Nahrungsstand der vorhandenen
Bürger, über das örtliche Bedürfniß, ja — wie in Bayern — über die Wahr¬
scheinlichkeit des Fortkommens zu Gericht sitzen sollen. Nur wer mit einem


^rcnzl'vier III, ISL0, 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109971"/>
          <p xml:id="ID_438" prev="#ID_437"> kann, ist er hier fast ebenso sehr an die Scholle gebunden, wie im Mittel¬<lb/>
alter der leibeigne Bauer. Während dort nur der Ungeschickte und Träge<lb/>
verkommt, bewahrt hier auch Fachkenntniß und Fleiß nicht immer vor Verar¬<lb/>
mung. Während endlich der deutsche Handwerker in fremden Ländern unter<lb/>
dem Panier der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit zu den gewandtesten Ar¬<lb/>
beitern gezählt und ihm von dem Amerikaner, dem Franzosen, dem Engländer<lb/>
vor dem eingebornen vielfach der Vorzug gegeben wird, ist es eine allgemein aner¬<lb/>
kannte Thatsache, daß die in Deutschland selbst, unter dem Bann von Zunftsatzungen<lb/>
oder Concessionen erzeugten Producte denen der englischen, französischen und ameri¬<lb/>
kanischen Industrie noch jetzt in den meisten Beziehungen nachstehen. Sind die<lb/>
einzelnen deutschen Gewerbe- und Heimathsgesetze in der Mehrzahl schon an<lb/>
sich keine Muster, so sind sie durch die Beschränkung, welche ihr Nebeneinander¬<lb/>
bestehen der Production und dem Verkehr, der Verwendung der Arbeitskräfte<lb/>
und der Verwerthung der Arbeitserzeugnisse auferlegt, gradezu gemeinschädlich<lb/>
für die sittliche und wirthschaftliche Entwicklung unsres Volkes. Ihre Wir¬<lb/>
kung ist Stockung der Säfte. Verkümmerung des Wachsthums und eine all¬<lb/>
gemeine Verstimmung, welche Stadt gegen Stadt, die Städte wieder gegen<lb/>
das Platte Land, Innung gegen Innung, die Gesellen gegen die Meister, die<lb/>
Werkstätten gegen die Fabriken, das Capital gegen die Arbeit und die Arbeit<lb/>
gegen das Capital in den Krieg schickt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_439" next="#ID_440"> Während in Frankreich jeder Deutsche ein Land findet, in dem er frei<lb/>
arbeiten, sich frei niederlassen, sich ohne Bewilligung hoher Obrigkeit einen<lb/>
häuslichen Heerd gründen darf (die neunzig tausend »deutschen Arbeiter, welche<lb/>
in Paris leben, sind vorzüglich aus diese» Gründen dahin gezogen) muß er<lb/>
im eignen Vaterland diese Rechte entbehren. Die ausgewecktesten Köpfe, die<lb/>
wackersten Herzen, deren einzige Schuld darin besteht, daß sie nichts erbten<lb/>
als einen fleißigen Sinn und frische Unternehmungslust, dürfen sehr oft kaum<lb/>
im nächsten Ort ihres Geburtsländchens, geschweige denn in einem andern<lb/>
Bundesstaat sich niederlassen und ein Gewerbe begründen. Unser großes, herr¬<lb/>
liches Vaterland mit seiner strebsamen, klugen und sparsamen Bevölkerung<lb/>
und seinen reichen, noch für viele Millionen Erwerb bergenden Hilfs¬<lb/>
quellen wird von den deutschen Gewerbs- und Niederlassungsgcsctzen nicht<lb/>
viel günstiger als wie ein großes Armenhaus angesehn, das mit lebend um¬<lb/>
herschleichenden Gemeindelasten bevölkert ist. Weil es unter hundert Personen<lb/>
vielleicht em halbes Dutzend gibt, die nicht zu wirthschaften verstehn und so<lb/>
im Lauf der Zeit zu Bettlern werden, erachtet die Weisheit unsrer Gesetzgeber<lb/>
es für passend, alle Uebrigen unter die Vormundschaft der Behörden zu stellen,<lb/>
die bei jeder Gewerbebegründung über den Nahrungsstand der vorhandenen<lb/>
Bürger, über das örtliche Bedürfniß, ja &#x2014; wie in Bayern &#x2014; über die Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit des Fortkommens zu Gericht sitzen sollen.  Nur wer mit einem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ^rcnzl'vier III, ISL0, 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] kann, ist er hier fast ebenso sehr an die Scholle gebunden, wie im Mittel¬ alter der leibeigne Bauer. Während dort nur der Ungeschickte und Träge verkommt, bewahrt hier auch Fachkenntniß und Fleiß nicht immer vor Verar¬ mung. Während endlich der deutsche Handwerker in fremden Ländern unter dem Panier der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit zu den gewandtesten Ar¬ beitern gezählt und ihm von dem Amerikaner, dem Franzosen, dem Engländer vor dem eingebornen vielfach der Vorzug gegeben wird, ist es eine allgemein aner¬ kannte Thatsache, daß die in Deutschland selbst, unter dem Bann von Zunftsatzungen oder Concessionen erzeugten Producte denen der englischen, französischen und ameri¬ kanischen Industrie noch jetzt in den meisten Beziehungen nachstehen. Sind die einzelnen deutschen Gewerbe- und Heimathsgesetze in der Mehrzahl schon an sich keine Muster, so sind sie durch die Beschränkung, welche ihr Nebeneinander¬ bestehen der Production und dem Verkehr, der Verwendung der Arbeitskräfte und der Verwerthung der Arbeitserzeugnisse auferlegt, gradezu gemeinschädlich für die sittliche und wirthschaftliche Entwicklung unsres Volkes. Ihre Wir¬ kung ist Stockung der Säfte. Verkümmerung des Wachsthums und eine all¬ gemeine Verstimmung, welche Stadt gegen Stadt, die Städte wieder gegen das Platte Land, Innung gegen Innung, die Gesellen gegen die Meister, die Werkstätten gegen die Fabriken, das Capital gegen die Arbeit und die Arbeit gegen das Capital in den Krieg schickt. Während in Frankreich jeder Deutsche ein Land findet, in dem er frei arbeiten, sich frei niederlassen, sich ohne Bewilligung hoher Obrigkeit einen häuslichen Heerd gründen darf (die neunzig tausend »deutschen Arbeiter, welche in Paris leben, sind vorzüglich aus diese» Gründen dahin gezogen) muß er im eignen Vaterland diese Rechte entbehren. Die ausgewecktesten Köpfe, die wackersten Herzen, deren einzige Schuld darin besteht, daß sie nichts erbten als einen fleißigen Sinn und frische Unternehmungslust, dürfen sehr oft kaum im nächsten Ort ihres Geburtsländchens, geschweige denn in einem andern Bundesstaat sich niederlassen und ein Gewerbe begründen. Unser großes, herr¬ liches Vaterland mit seiner strebsamen, klugen und sparsamen Bevölkerung und seinen reichen, noch für viele Millionen Erwerb bergenden Hilfs¬ quellen wird von den deutschen Gewerbs- und Niederlassungsgcsctzen nicht viel günstiger als wie ein großes Armenhaus angesehn, das mit lebend um¬ herschleichenden Gemeindelasten bevölkert ist. Weil es unter hundert Personen vielleicht em halbes Dutzend gibt, die nicht zu wirthschaften verstehn und so im Lauf der Zeit zu Bettlern werden, erachtet die Weisheit unsrer Gesetzgeber es für passend, alle Uebrigen unter die Vormundschaft der Behörden zu stellen, die bei jeder Gewerbebegründung über den Nahrungsstand der vorhandenen Bürger, über das örtliche Bedürfniß, ja — wie in Bayern — über die Wahr¬ scheinlichkeit des Fortkommens zu Gericht sitzen sollen. Nur wer mit einem ^rcnzl'vier III, ISL0, 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/165>, abgerufen am 16.05.2024.