Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat bereits 1852 beim Bundestag den Antrag gestellt, eine Commission zur
Feststellung allgemeiner Heimathsverhältnisse unter Zugrundelegung der Go-
thaer Convention niederzusetzen, diese Commission hat die Angelegenheit in
die Hand genommen, und die. Bundesversammlung ist sogar soweit gediehen,
daß sie 1853 den Beschluß fassen konnte, die bislang dem Gothaer Vertrag
noch nicht beigetretenen Regierungen zur Aeußerung über den Beitritt und
ihre etwaigen Bedenken einzuladen. Wir sehen also, daß es nicht an gutem
Willen fehlte, freilich aber auch, wie langsam sich am grünen Tisch im Bun¬
despalais die Dinge entwickeln; denn bis zur Stunde ist von dieser Sache
dort nicht wieder die Rede gewesen.

In dem Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851. dem jetzt alle deutschen
Regierungen mit Ausnahme Oestreichs und Liechtensteins beigetreten sind,
wurde "in Berücksichtigung der bei Anwendung der bisher zwischen den deut¬
schen Bundesstaaten abgeschlossenen Conventionen wegen der Ausgewiesenen
und Heimathslosen hervorgetretenen Schwierigkeiten, sowie in der Absicht, das
in Bezug auf die Uebernahme von Auszuweisenden und Heimathslosen zwi¬
schen ihnen bestehende Verhältniß auf möglichst einfache und leicht zu hand¬
habende Grundsatze zurückzuführen und dadurch zugleich ein allgemeines deutsches
Heimathsrecht vorzubereiten," bereits ein Anfang zu einer allgemeinen deutschen
Heimathsordnung gemacht. Es handelt sich also nur noch um die Fortent¬
wicklung einer bereits angebahnten Gemeinsamkeit.

"Dies ist der Weg" so schließt Braun seine Bemerkungen über diesen
Gegenstand -- "auf welchem allein eine nach allen Seiten hin billige und
gerechte Lösung der deutschen Gewerbe- und Niederlassungsfrage erzielt werden
kann. Er schließt zu gleicher Zeit die vielfach als Schreckmittel gebrauchte und
mißbrauchte Befürchtung aus. daß in Folge der Beseitigung der bisherigen
Schranken für die zu dieser Reform schreitenden Staaten eine Ueberschwemm-
ung durch den Zuzug überflüssiger und schwer verwendbarer Bevölkerung
eintreten werde. Dadurch, daß auf die vorgeschlagne Weise gleichzeitig überall
die Schleußen gezogen werden, wird sich die Fluth der Arbeitskräfte auf dem
durch den gemeinschaftlichen Vertrag gebildeten Arbeitsgebiet überall in das
naturgemäße Gleichgewicht stellen, die Arbeitskräfte werden den Platz, ans
welchem wenig Nachfrage ist. verlassen, um den, wo sie augenblicklich stark
gesucht werden, zu beziehen, und was eine einzelne Gegend etwa durch Zu¬
zug einbüßt, wird sie dadurch, daß nunmehr ihrer Bevölkerung ein Arbeits¬
markt von 11.600 Quadratmeilen und 43 Millionen Einwohnern aufgeschlossen
ist (auch wenn wir Oestreich vorläufig nicht in Rechnung bringen, bleibt ein
mehr als hinreichendes Aequivalent). doppelt und dreifach gewinnen. Den
größten Vortheil werden aber ohne Zweifel diejenigen Gegenden haben, in
welchen, neben einer im Verhältniß zu dem Flächeninhalt zahlreichen und da-


hat bereits 1852 beim Bundestag den Antrag gestellt, eine Commission zur
Feststellung allgemeiner Heimathsverhältnisse unter Zugrundelegung der Go-
thaer Convention niederzusetzen, diese Commission hat die Angelegenheit in
die Hand genommen, und die. Bundesversammlung ist sogar soweit gediehen,
daß sie 1853 den Beschluß fassen konnte, die bislang dem Gothaer Vertrag
noch nicht beigetretenen Regierungen zur Aeußerung über den Beitritt und
ihre etwaigen Bedenken einzuladen. Wir sehen also, daß es nicht an gutem
Willen fehlte, freilich aber auch, wie langsam sich am grünen Tisch im Bun¬
despalais die Dinge entwickeln; denn bis zur Stunde ist von dieser Sache
dort nicht wieder die Rede gewesen.

In dem Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851. dem jetzt alle deutschen
Regierungen mit Ausnahme Oestreichs und Liechtensteins beigetreten sind,
wurde „in Berücksichtigung der bei Anwendung der bisher zwischen den deut¬
schen Bundesstaaten abgeschlossenen Conventionen wegen der Ausgewiesenen
und Heimathslosen hervorgetretenen Schwierigkeiten, sowie in der Absicht, das
in Bezug auf die Uebernahme von Auszuweisenden und Heimathslosen zwi¬
schen ihnen bestehende Verhältniß auf möglichst einfache und leicht zu hand¬
habende Grundsatze zurückzuführen und dadurch zugleich ein allgemeines deutsches
Heimathsrecht vorzubereiten," bereits ein Anfang zu einer allgemeinen deutschen
Heimathsordnung gemacht. Es handelt sich also nur noch um die Fortent¬
wicklung einer bereits angebahnten Gemeinsamkeit.

„Dies ist der Weg" so schließt Braun seine Bemerkungen über diesen
Gegenstand — „auf welchem allein eine nach allen Seiten hin billige und
gerechte Lösung der deutschen Gewerbe- und Niederlassungsfrage erzielt werden
kann. Er schließt zu gleicher Zeit die vielfach als Schreckmittel gebrauchte und
mißbrauchte Befürchtung aus. daß in Folge der Beseitigung der bisherigen
Schranken für die zu dieser Reform schreitenden Staaten eine Ueberschwemm-
ung durch den Zuzug überflüssiger und schwer verwendbarer Bevölkerung
eintreten werde. Dadurch, daß auf die vorgeschlagne Weise gleichzeitig überall
die Schleußen gezogen werden, wird sich die Fluth der Arbeitskräfte auf dem
durch den gemeinschaftlichen Vertrag gebildeten Arbeitsgebiet überall in das
naturgemäße Gleichgewicht stellen, die Arbeitskräfte werden den Platz, ans
welchem wenig Nachfrage ist. verlassen, um den, wo sie augenblicklich stark
gesucht werden, zu beziehen, und was eine einzelne Gegend etwa durch Zu¬
zug einbüßt, wird sie dadurch, daß nunmehr ihrer Bevölkerung ein Arbeits¬
markt von 11.600 Quadratmeilen und 43 Millionen Einwohnern aufgeschlossen
ist (auch wenn wir Oestreich vorläufig nicht in Rechnung bringen, bleibt ein
mehr als hinreichendes Aequivalent). doppelt und dreifach gewinnen. Den
größten Vortheil werden aber ohne Zweifel diejenigen Gegenden haben, in
welchen, neben einer im Verhältniß zu dem Flächeninhalt zahlreichen und da-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109977"/>
          <p xml:id="ID_455" prev="#ID_454"> hat bereits 1852 beim Bundestag den Antrag gestellt, eine Commission zur<lb/>
Feststellung allgemeiner Heimathsverhältnisse unter Zugrundelegung der Go-<lb/>
thaer Convention niederzusetzen, diese Commission hat die Angelegenheit in<lb/>
die Hand genommen, und die. Bundesversammlung ist sogar soweit gediehen,<lb/>
daß sie 1853 den Beschluß fassen konnte, die bislang dem Gothaer Vertrag<lb/>
noch nicht beigetretenen Regierungen zur Aeußerung über den Beitritt und<lb/>
ihre etwaigen Bedenken einzuladen. Wir sehen also, daß es nicht an gutem<lb/>
Willen fehlte, freilich aber auch, wie langsam sich am grünen Tisch im Bun¬<lb/>
despalais die Dinge entwickeln; denn bis zur Stunde ist von dieser Sache<lb/>
dort nicht wieder die Rede gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_456"> In dem Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851. dem jetzt alle deutschen<lb/>
Regierungen mit Ausnahme Oestreichs und Liechtensteins beigetreten sind,<lb/>
wurde &#x201E;in Berücksichtigung der bei Anwendung der bisher zwischen den deut¬<lb/>
schen Bundesstaaten abgeschlossenen Conventionen wegen der Ausgewiesenen<lb/>
und Heimathslosen hervorgetretenen Schwierigkeiten, sowie in der Absicht, das<lb/>
in Bezug auf die Uebernahme von Auszuweisenden und Heimathslosen zwi¬<lb/>
schen ihnen bestehende Verhältniß auf möglichst einfache und leicht zu hand¬<lb/>
habende Grundsatze zurückzuführen und dadurch zugleich ein allgemeines deutsches<lb/>
Heimathsrecht vorzubereiten," bereits ein Anfang zu einer allgemeinen deutschen<lb/>
Heimathsordnung gemacht. Es handelt sich also nur noch um die Fortent¬<lb/>
wicklung einer bereits angebahnten Gemeinsamkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> &#x201E;Dies ist der Weg" so schließt Braun seine Bemerkungen über diesen<lb/>
Gegenstand &#x2014; &#x201E;auf welchem allein eine nach allen Seiten hin billige und<lb/>
gerechte Lösung der deutschen Gewerbe- und Niederlassungsfrage erzielt werden<lb/>
kann. Er schließt zu gleicher Zeit die vielfach als Schreckmittel gebrauchte und<lb/>
mißbrauchte Befürchtung aus. daß in Folge der Beseitigung der bisherigen<lb/>
Schranken für die zu dieser Reform schreitenden Staaten eine Ueberschwemm-<lb/>
ung durch den Zuzug überflüssiger und schwer verwendbarer Bevölkerung<lb/>
eintreten werde. Dadurch, daß auf die vorgeschlagne Weise gleichzeitig überall<lb/>
die Schleußen gezogen werden, wird sich die Fluth der Arbeitskräfte auf dem<lb/>
durch den gemeinschaftlichen Vertrag gebildeten Arbeitsgebiet überall in das<lb/>
naturgemäße Gleichgewicht stellen, die Arbeitskräfte werden den Platz, ans<lb/>
welchem wenig Nachfrage ist. verlassen, um den, wo sie augenblicklich stark<lb/>
gesucht werden, zu beziehen, und was eine einzelne Gegend etwa durch Zu¬<lb/>
zug einbüßt, wird sie dadurch, daß nunmehr ihrer Bevölkerung ein Arbeits¬<lb/>
markt von 11.600 Quadratmeilen und 43 Millionen Einwohnern aufgeschlossen<lb/>
ist (auch wenn wir Oestreich vorläufig nicht in Rechnung bringen, bleibt ein<lb/>
mehr als hinreichendes Aequivalent). doppelt und dreifach gewinnen. Den<lb/>
größten Vortheil werden aber ohne Zweifel diejenigen Gegenden haben, in<lb/>
welchen, neben einer im Verhältniß zu dem Flächeninhalt zahlreichen und da-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] hat bereits 1852 beim Bundestag den Antrag gestellt, eine Commission zur Feststellung allgemeiner Heimathsverhältnisse unter Zugrundelegung der Go- thaer Convention niederzusetzen, diese Commission hat die Angelegenheit in die Hand genommen, und die. Bundesversammlung ist sogar soweit gediehen, daß sie 1853 den Beschluß fassen konnte, die bislang dem Gothaer Vertrag noch nicht beigetretenen Regierungen zur Aeußerung über den Beitritt und ihre etwaigen Bedenken einzuladen. Wir sehen also, daß es nicht an gutem Willen fehlte, freilich aber auch, wie langsam sich am grünen Tisch im Bun¬ despalais die Dinge entwickeln; denn bis zur Stunde ist von dieser Sache dort nicht wieder die Rede gewesen. In dem Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851. dem jetzt alle deutschen Regierungen mit Ausnahme Oestreichs und Liechtensteins beigetreten sind, wurde „in Berücksichtigung der bei Anwendung der bisher zwischen den deut¬ schen Bundesstaaten abgeschlossenen Conventionen wegen der Ausgewiesenen und Heimathslosen hervorgetretenen Schwierigkeiten, sowie in der Absicht, das in Bezug auf die Uebernahme von Auszuweisenden und Heimathslosen zwi¬ schen ihnen bestehende Verhältniß auf möglichst einfache und leicht zu hand¬ habende Grundsatze zurückzuführen und dadurch zugleich ein allgemeines deutsches Heimathsrecht vorzubereiten," bereits ein Anfang zu einer allgemeinen deutschen Heimathsordnung gemacht. Es handelt sich also nur noch um die Fortent¬ wicklung einer bereits angebahnten Gemeinsamkeit. „Dies ist der Weg" so schließt Braun seine Bemerkungen über diesen Gegenstand — „auf welchem allein eine nach allen Seiten hin billige und gerechte Lösung der deutschen Gewerbe- und Niederlassungsfrage erzielt werden kann. Er schließt zu gleicher Zeit die vielfach als Schreckmittel gebrauchte und mißbrauchte Befürchtung aus. daß in Folge der Beseitigung der bisherigen Schranken für die zu dieser Reform schreitenden Staaten eine Ueberschwemm- ung durch den Zuzug überflüssiger und schwer verwendbarer Bevölkerung eintreten werde. Dadurch, daß auf die vorgeschlagne Weise gleichzeitig überall die Schleußen gezogen werden, wird sich die Fluth der Arbeitskräfte auf dem durch den gemeinschaftlichen Vertrag gebildeten Arbeitsgebiet überall in das naturgemäße Gleichgewicht stellen, die Arbeitskräfte werden den Platz, ans welchem wenig Nachfrage ist. verlassen, um den, wo sie augenblicklich stark gesucht werden, zu beziehen, und was eine einzelne Gegend etwa durch Zu¬ zug einbüßt, wird sie dadurch, daß nunmehr ihrer Bevölkerung ein Arbeits¬ markt von 11.600 Quadratmeilen und 43 Millionen Einwohnern aufgeschlossen ist (auch wenn wir Oestreich vorläufig nicht in Rechnung bringen, bleibt ein mehr als hinreichendes Aequivalent). doppelt und dreifach gewinnen. Den größten Vortheil werden aber ohne Zweifel diejenigen Gegenden haben, in welchen, neben einer im Verhältniß zu dem Flächeninhalt zahlreichen und da-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/171>, abgerufen am 22.05.2024.