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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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rung, Kampflust, Todesverachtung, die im Jahr 1348 und 1S49 die Schaaren
Radetzky's zu Helden machten, blieb kaum mehr die Erinnerung. Dazu trugen
nicht blos die beflügelte Leichtigkeit der Franzosen in ihren Bewegungen, die
Tragweite ihrer Geschütze, das Talent und kühne Wagniß ihrer Führer bei.
sondern noch mehr die alten Fehler österrciänscher Kriegsführung, das Hof¬
gesinde von Generalen, die rohe Behandlung der Gemeinen, die schlechte Ver¬
pflegung. Ein wahrer Widerwille gegen jeden Krieg trat im ganzen Heer an
die Stelle des frühern Selbstgefühls. Von geistig so herabgekommenen Truppen
lassen sich kaum große Erfolge erwarten, zumal dann nicht, wenn jene Pa¬
rade- und Gamaschenhelden an ihrer Spitze bleiben, die eine falsche Zeitungs¬
nachricht über ihre gefeite Person nicht eher schlafen läßt, bis allen Tage¬
blättern ein vollständiger Kappzaum am Munde hängt.

Es geschieht wol nur im Bewußtsein dieser Schwäche, wenn unsre
Staatsmänner einmal dazu kommen, vom Grundsatze abzugehn. daß nichts
Großes und Tüchtiges durch Deutschland geschehen darf, wenn sie einzu¬
räumen scheinen, daß eine Verständigung mit Preußen nur beide Theile
fördert. Ohne daß wir es sagen, wird aber wol Niemand allzuviel
Schwarzrothgold in seine Träume mijchen. Zuvörderst ist der Treubund da¬
durch bedingt, daß die Bewohner der Ostsee auch für Oestreichs Besitz an
der Adria einstehn; die Restauration der Herzogthümer, den Schutz des
Erben des h. Petrus, die Erhaltung der milden Herrschaft in Neapel können
als Hintergedanken gelten.

Oestreichs äußere Politik hängt genau mit dem zusammen, was man hier
"das göttliche Recht" nennt. Der oberste Grundsatz, wovon man bei uns in
allen, den innern wie den äußern Angelegenheiten ausgeht, wurde nie' so
deutlich ausgesprochen als in jener östreichischen Note vom 26. December
1851 über die Trennung der politischen Realunion Schleswig-Holsteins: die
Souveränetätsrechte dürfen seinen Beschränkungen unterworfen werden. Nicht
so sehr die Legitimität ist es, worüber man hier eifersüchtig wacht, als die
Unumschränktheit der Gewalt. Dies ist auch unser deutscher Standpunkt.
Darum hat man beim Bundestage in der Sache Kurhesseus nicht die Ver¬
fassung von 1831, sondern den Beschluß vom 27. März 1852 aufrecht erhal¬
ten. Das Endergebniß der im kaiserlichen Manifest vom 15, Juli 1859 ver¬
heißenen "zeitgemäßen Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung" war
der verstärkte Reichsrath, ein Körper, dessen Mitglieder die Regierung selbst
wählt, ohne Initation, ohne Recht der Gesetzgebung, -- der alte Postulaten¬
landtag für das ganze Reich. Daß er nun seinen Erfindern über den Kopf
zu wachsen droht, liegt wahrlich nicht in ihrer Berechnung, sondern in der
Macht der Zeit, ist eine Folge der zehnjährigen Mißwirthschaft, die allen Cre¬
dit untergrub. Alle Einrichtungen, wodurch sich das alte Regiment zu stützen


rung, Kampflust, Todesverachtung, die im Jahr 1348 und 1S49 die Schaaren
Radetzky's zu Helden machten, blieb kaum mehr die Erinnerung. Dazu trugen
nicht blos die beflügelte Leichtigkeit der Franzosen in ihren Bewegungen, die
Tragweite ihrer Geschütze, das Talent und kühne Wagniß ihrer Führer bei.
sondern noch mehr die alten Fehler österrciänscher Kriegsführung, das Hof¬
gesinde von Generalen, die rohe Behandlung der Gemeinen, die schlechte Ver¬
pflegung. Ein wahrer Widerwille gegen jeden Krieg trat im ganzen Heer an
die Stelle des frühern Selbstgefühls. Von geistig so herabgekommenen Truppen
lassen sich kaum große Erfolge erwarten, zumal dann nicht, wenn jene Pa¬
rade- und Gamaschenhelden an ihrer Spitze bleiben, die eine falsche Zeitungs¬
nachricht über ihre gefeite Person nicht eher schlafen läßt, bis allen Tage¬
blättern ein vollständiger Kappzaum am Munde hängt.

Es geschieht wol nur im Bewußtsein dieser Schwäche, wenn unsre
Staatsmänner einmal dazu kommen, vom Grundsatze abzugehn. daß nichts
Großes und Tüchtiges durch Deutschland geschehen darf, wenn sie einzu¬
räumen scheinen, daß eine Verständigung mit Preußen nur beide Theile
fördert. Ohne daß wir es sagen, wird aber wol Niemand allzuviel
Schwarzrothgold in seine Träume mijchen. Zuvörderst ist der Treubund da¬
durch bedingt, daß die Bewohner der Ostsee auch für Oestreichs Besitz an
der Adria einstehn; die Restauration der Herzogthümer, den Schutz des
Erben des h. Petrus, die Erhaltung der milden Herrschaft in Neapel können
als Hintergedanken gelten.

Oestreichs äußere Politik hängt genau mit dem zusammen, was man hier
„das göttliche Recht" nennt. Der oberste Grundsatz, wovon man bei uns in
allen, den innern wie den äußern Angelegenheiten ausgeht, wurde nie' so
deutlich ausgesprochen als in jener östreichischen Note vom 26. December
1851 über die Trennung der politischen Realunion Schleswig-Holsteins: die
Souveränetätsrechte dürfen seinen Beschränkungen unterworfen werden. Nicht
so sehr die Legitimität ist es, worüber man hier eifersüchtig wacht, als die
Unumschränktheit der Gewalt. Dies ist auch unser deutscher Standpunkt.
Darum hat man beim Bundestage in der Sache Kurhesseus nicht die Ver¬
fassung von 1831, sondern den Beschluß vom 27. März 1852 aufrecht erhal¬
ten. Das Endergebniß der im kaiserlichen Manifest vom 15, Juli 1859 ver¬
heißenen „zeitgemäßen Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung" war
der verstärkte Reichsrath, ein Körper, dessen Mitglieder die Regierung selbst
wählt, ohne Initation, ohne Recht der Gesetzgebung, — der alte Postulaten¬
landtag für das ganze Reich. Daß er nun seinen Erfindern über den Kopf
zu wachsen droht, liegt wahrlich nicht in ihrer Berechnung, sondern in der
Macht der Zeit, ist eine Folge der zehnjährigen Mißwirthschaft, die allen Cre¬
dit untergrub. Alle Einrichtungen, wodurch sich das alte Regiment zu stützen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/204>, abgerufen am 21.05.2024.