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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Während die Untersuchung noch im Gange war, ließ der Gcndarmerie-
oberst die Familienhäupter des Dorfes zusammenrufen und sagte ihnen, der
Czar wolle durchaus, daß sie der orthodoxen Kirche angehörten, warum sie
eine solche Hartnäckigkeit zeigten? Die Bauern erwiderten, sie seien getreue
Unterthanen des Czaren, sie bezahlten ihre Steuern regelmäßig, lieferten ihre
Söhne ins Heer und wären bereit, für ihren Kaiser Gut und Blut zu lassen,
aber sie wollten ihrem Glauben getreu bleiben, welcher der Glaube ihrer Väter
gewesen.

"Nun so seid ihr Rebellen," schrie der Gcndarmerieoberst, "ihr wollt dem
Czaren nicht gehorchen! Auf der Stelle liefert mir die Rädelsführer dieser
Rebellion aus, sonst geht ihr sammt und sonders nach Sibirien und seht
eure Weiber und Kinder niemals wieder." Die Bauern erklärten daraus, sie
seien alle Rädelsführer, alle Katholiken, sie wollten alle nach Sibirien gehen
und selbst den Tod erleiden, nur ihre Religion wollten sie nicht wechseln.
"Aber ihr seid ja in die Kirche gegangen," rief der Oberst, "habt das heilige
Abendmahl nach der Weise der orthodoxen Kirche empfangen." Die Bauern
antworteten, gewiß wären sie in der Kirche gewesen, aber man hätte sie durch
Soldaten dazu gezwungen, sie hineingestoßen, die, welche nicht gewollt, seien
mit Bayonnetstichen traktirt worden, wovon sie noch die Spuren an sich trü¬
gen. Zum Abendmahl habe man sie hingcprügelt, sie beim Kopf genommen,
sie geohrfeigt, ihnen den Mund aufgerissen und ihnen den Löffel mit dem
Brot und Wein mit Gewalt hineingeschoben, ohne sich daran zu kehren,
daß sie vorher weder gebeichtet und gefastet.

Im Juni 1858 erschien in der Provinz Witebsk der Senator Se. mit
dem Auftrag, dieselbe zu inspiciren und insbesondere auf eine befriedigende
Lösung der Angelegenheit von Dziernowicz hinzuwirken. Er ersuchte den
Adelsmarschall des Districts. wo diese Orgie des Despotismus stattgefunden,
ihn als Beistand zu begleiten; dieser aber hatte den Muth, ihm sein Ver¬
langen abzuschlagen. Se. begab sich mit sechs Beamten nach dem Dorfe.
Hier versammelte er am 12. Juni die Bauern, umstellte sie mit Soldaten
und prüsentirte sich dann vor ihnen in voller Senatorenunisorm mit jenen
Beamten die ebensalls in voller Uniform waren. In der Rede, die
er den Bauern hielt, erklärte er ihnen, daß der Kaiser ihnen durchaus
nicht gestatten werde, römisch-katholisch zu bleiben, sie müßten sofort zum or¬
thodoxen Glauben übertreten. Er schloß mit den Worten: "Der Wille des
Czaren ist heilig. Der Czar ist der Stellvertreter Gottes. Was Gott im
Himmel ist, das ist der Czar aus Erden. Dem Czaren nicht gehorchen
heißt gegen Gott ungehorsam sein. Also, meine Kinder, dürft ihr euch nicht
auflehnen gegen Gottes Willen, der euch durch meinen Mund verkündigt wird.
Der Czar will, daß ihre alle orthodox werdet, also will es Gott, gehorchet!"


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Während die Untersuchung noch im Gange war, ließ der Gcndarmerie-
oberst die Familienhäupter des Dorfes zusammenrufen und sagte ihnen, der
Czar wolle durchaus, daß sie der orthodoxen Kirche angehörten, warum sie
eine solche Hartnäckigkeit zeigten? Die Bauern erwiderten, sie seien getreue
Unterthanen des Czaren, sie bezahlten ihre Steuern regelmäßig, lieferten ihre
Söhne ins Heer und wären bereit, für ihren Kaiser Gut und Blut zu lassen,
aber sie wollten ihrem Glauben getreu bleiben, welcher der Glaube ihrer Väter
gewesen.

„Nun so seid ihr Rebellen," schrie der Gcndarmerieoberst, „ihr wollt dem
Czaren nicht gehorchen! Auf der Stelle liefert mir die Rädelsführer dieser
Rebellion aus, sonst geht ihr sammt und sonders nach Sibirien und seht
eure Weiber und Kinder niemals wieder." Die Bauern erklärten daraus, sie
seien alle Rädelsführer, alle Katholiken, sie wollten alle nach Sibirien gehen
und selbst den Tod erleiden, nur ihre Religion wollten sie nicht wechseln.
„Aber ihr seid ja in die Kirche gegangen," rief der Oberst, „habt das heilige
Abendmahl nach der Weise der orthodoxen Kirche empfangen." Die Bauern
antworteten, gewiß wären sie in der Kirche gewesen, aber man hätte sie durch
Soldaten dazu gezwungen, sie hineingestoßen, die, welche nicht gewollt, seien
mit Bayonnetstichen traktirt worden, wovon sie noch die Spuren an sich trü¬
gen. Zum Abendmahl habe man sie hingcprügelt, sie beim Kopf genommen,
sie geohrfeigt, ihnen den Mund aufgerissen und ihnen den Löffel mit dem
Brot und Wein mit Gewalt hineingeschoben, ohne sich daran zu kehren,
daß sie vorher weder gebeichtet und gefastet.

Im Juni 1858 erschien in der Provinz Witebsk der Senator Se. mit
dem Auftrag, dieselbe zu inspiciren und insbesondere auf eine befriedigende
Lösung der Angelegenheit von Dziernowicz hinzuwirken. Er ersuchte den
Adelsmarschall des Districts. wo diese Orgie des Despotismus stattgefunden,
ihn als Beistand zu begleiten; dieser aber hatte den Muth, ihm sein Ver¬
langen abzuschlagen. Se. begab sich mit sechs Beamten nach dem Dorfe.
Hier versammelte er am 12. Juni die Bauern, umstellte sie mit Soldaten
und prüsentirte sich dann vor ihnen in voller Senatorenunisorm mit jenen
Beamten die ebensalls in voller Uniform waren. In der Rede, die
er den Bauern hielt, erklärte er ihnen, daß der Kaiser ihnen durchaus
nicht gestatten werde, römisch-katholisch zu bleiben, sie müßten sofort zum or¬
thodoxen Glauben übertreten. Er schloß mit den Worten: „Der Wille des
Czaren ist heilig. Der Czar ist der Stellvertreter Gottes. Was Gott im
Himmel ist, das ist der Czar aus Erden. Dem Czaren nicht gehorchen
heißt gegen Gott ungehorsam sein. Also, meine Kinder, dürft ihr euch nicht
auflehnen gegen Gottes Willen, der euch durch meinen Mund verkündigt wird.
Der Czar will, daß ihre alle orthodox werdet, also will es Gott, gehorchet!"


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[0215] Während die Untersuchung noch im Gange war, ließ der Gcndarmerie- oberst die Familienhäupter des Dorfes zusammenrufen und sagte ihnen, der Czar wolle durchaus, daß sie der orthodoxen Kirche angehörten, warum sie eine solche Hartnäckigkeit zeigten? Die Bauern erwiderten, sie seien getreue Unterthanen des Czaren, sie bezahlten ihre Steuern regelmäßig, lieferten ihre Söhne ins Heer und wären bereit, für ihren Kaiser Gut und Blut zu lassen, aber sie wollten ihrem Glauben getreu bleiben, welcher der Glaube ihrer Väter gewesen. „Nun so seid ihr Rebellen," schrie der Gcndarmerieoberst, „ihr wollt dem Czaren nicht gehorchen! Auf der Stelle liefert mir die Rädelsführer dieser Rebellion aus, sonst geht ihr sammt und sonders nach Sibirien und seht eure Weiber und Kinder niemals wieder." Die Bauern erklärten daraus, sie seien alle Rädelsführer, alle Katholiken, sie wollten alle nach Sibirien gehen und selbst den Tod erleiden, nur ihre Religion wollten sie nicht wechseln. „Aber ihr seid ja in die Kirche gegangen," rief der Oberst, „habt das heilige Abendmahl nach der Weise der orthodoxen Kirche empfangen." Die Bauern antworteten, gewiß wären sie in der Kirche gewesen, aber man hätte sie durch Soldaten dazu gezwungen, sie hineingestoßen, die, welche nicht gewollt, seien mit Bayonnetstichen traktirt worden, wovon sie noch die Spuren an sich trü¬ gen. Zum Abendmahl habe man sie hingcprügelt, sie beim Kopf genommen, sie geohrfeigt, ihnen den Mund aufgerissen und ihnen den Löffel mit dem Brot und Wein mit Gewalt hineingeschoben, ohne sich daran zu kehren, daß sie vorher weder gebeichtet und gefastet. Im Juni 1858 erschien in der Provinz Witebsk der Senator Se. mit dem Auftrag, dieselbe zu inspiciren und insbesondere auf eine befriedigende Lösung der Angelegenheit von Dziernowicz hinzuwirken. Er ersuchte den Adelsmarschall des Districts. wo diese Orgie des Despotismus stattgefunden, ihn als Beistand zu begleiten; dieser aber hatte den Muth, ihm sein Ver¬ langen abzuschlagen. Se. begab sich mit sechs Beamten nach dem Dorfe. Hier versammelte er am 12. Juni die Bauern, umstellte sie mit Soldaten und prüsentirte sich dann vor ihnen in voller Senatorenunisorm mit jenen Beamten die ebensalls in voller Uniform waren. In der Rede, die er den Bauern hielt, erklärte er ihnen, daß der Kaiser ihnen durchaus nicht gestatten werde, römisch-katholisch zu bleiben, sie müßten sofort zum or¬ thodoxen Glauben übertreten. Er schloß mit den Worten: „Der Wille des Czaren ist heilig. Der Czar ist der Stellvertreter Gottes. Was Gott im Himmel ist, das ist der Czar aus Erden. Dem Czaren nicht gehorchen heißt gegen Gott ungehorsam sein. Also, meine Kinder, dürft ihr euch nicht auflehnen gegen Gottes Willen, der euch durch meinen Mund verkündigt wird. Der Czar will, daß ihre alle orthodox werdet, also will es Gott, gehorchet!" 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/215>, abgerufen am 14.06.2024.