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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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setz, welches man wol ein natürliches nennen kann, fügen, bis es sich dnrch
größere Entfaltung seiner gewerblichen Verhältnisse auf die Stufe der Ent¬
wicklung der modernen Staaten emporgehoben hat. Es steht dies ohne Zwei¬
fel auch unserem Staate bevor und darum müssen wir sofort hinzufügen:
Wenn bei der Umgestaltung der Verfassungsverhältnisse das Bestehende zwar
als Basis festgehalten werden soll, so muß doch die neue Verfassung, welche
mein auf dieser Grundlage errichten würde, die Elemente der Fortentwicklung
in sich tragen.

Unsere Absicht ist es nicht, das hier Gesagte weiter auszuführen; wir
wollen nicht Gründe für eine Umgestaltung der Landesverfassung beibringen
und einer solchen weiter das Wort reden, schon deshalb nicht, weil dies kaum
noch erforderlich sein wird; wir wollen aber noch weniger Andeutungen für
die Art und Weise geben, wie eine Umgestaltung geschehn und eine neue
Verfassung eingerichtet werden müßte. Letzeres wird sich schon finden, wenn
erst der Weg gefunden ist, auf welchem, mit Rücksicht auf das Bestehende,
eine Umgestaltung überhaupt möglich sein würde. Hier liegt, wie die Ge¬
schichte der mecklenburgischen Landtage zeigt, der Punkt, welcher zuerst aufge¬
klärt werden muß. Die Debatten über die Verfassungsrcform sind den Ver¬
hältnissen gemäß von einer Seite gegen "die Berechtigungen der jetzigen
Stände" gerichtet gewesen und haben auf der andern Seite ein um so grö¬
ßeres Festhalten an diesen Berechtigungen hervorgerufen. Sie haben sich be¬
dauerlich Jahre lang, statt die Sache, um welche es sich handelt, in ihrem
ganzen Umfange zu ergreifen, gegen einzelne dieser Berechtigungen gewandt
und dieselben auf alle mögliche Weise angegriffen. Damit ist der Sache
gar nicht gedient; dies Verfahren hat vielmehr dahin geführt, daß die Sym¬
pathie der Bevölkerung Denjenigen, welche solche Berechtigungen angriffen,
verloren ging, da es schien, als strebe man einzig und allein dahin, von die¬
sen Berechtigungen auch seinen Theil zu bekommen. Es bildete sich in Folge
dessen die ganz ungehörige Ansicht, als sei es der adlige Theil der Ritter¬
schaft, welcher einer Verfassungsreform als solcher durchaus widerstünde, wäh¬
rend man doch nur sagen kann, daß dieser Theil der Ritterschaft sich wider¬
setzte, wenn der bürgerliche Theil derselben Antheil an denjenigen Berechtigungen
verlangte, die ersterer für ausschließlich die seinigen hielt. Daß es sich bei
einer Verfassungsreform weder um den Besitz der adligen, noch um den Ge¬
winn der bürgerlichen Rittergutsbesitzer handelt, sondern allein um das Wohl
des Landes und des Volkes, dies hat man -- so bitter es sein mag. ist es
doch die Wahrheit -- vergessen oder unbeachtet gelassen, wenigstens ist davon
selten oder nie die Rede gewesen. Bedenkt man aber, daß bei einer Ent¬
äußerung der Rechte zu Gunsten des Landes und Volkes derjenige Theil die
meisten hergibt, welcher die meisten besitzt, so erkennt man, wie billig die-


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setz, welches man wol ein natürliches nennen kann, fügen, bis es sich dnrch
größere Entfaltung seiner gewerblichen Verhältnisse auf die Stufe der Ent¬
wicklung der modernen Staaten emporgehoben hat. Es steht dies ohne Zwei¬
fel auch unserem Staate bevor und darum müssen wir sofort hinzufügen:
Wenn bei der Umgestaltung der Verfassungsverhältnisse das Bestehende zwar
als Basis festgehalten werden soll, so muß doch die neue Verfassung, welche
mein auf dieser Grundlage errichten würde, die Elemente der Fortentwicklung
in sich tragen.

Unsere Absicht ist es nicht, das hier Gesagte weiter auszuführen; wir
wollen nicht Gründe für eine Umgestaltung der Landesverfassung beibringen
und einer solchen weiter das Wort reden, schon deshalb nicht, weil dies kaum
noch erforderlich sein wird; wir wollen aber noch weniger Andeutungen für
die Art und Weise geben, wie eine Umgestaltung geschehn und eine neue
Verfassung eingerichtet werden müßte. Letzeres wird sich schon finden, wenn
erst der Weg gefunden ist, auf welchem, mit Rücksicht auf das Bestehende,
eine Umgestaltung überhaupt möglich sein würde. Hier liegt, wie die Ge¬
schichte der mecklenburgischen Landtage zeigt, der Punkt, welcher zuerst aufge¬
klärt werden muß. Die Debatten über die Verfassungsrcform sind den Ver¬
hältnissen gemäß von einer Seite gegen „die Berechtigungen der jetzigen
Stände" gerichtet gewesen und haben auf der andern Seite ein um so grö¬
ßeres Festhalten an diesen Berechtigungen hervorgerufen. Sie haben sich be¬
dauerlich Jahre lang, statt die Sache, um welche es sich handelt, in ihrem
ganzen Umfange zu ergreifen, gegen einzelne dieser Berechtigungen gewandt
und dieselben auf alle mögliche Weise angegriffen. Damit ist der Sache
gar nicht gedient; dies Verfahren hat vielmehr dahin geführt, daß die Sym¬
pathie der Bevölkerung Denjenigen, welche solche Berechtigungen angriffen,
verloren ging, da es schien, als strebe man einzig und allein dahin, von die¬
sen Berechtigungen auch seinen Theil zu bekommen. Es bildete sich in Folge
dessen die ganz ungehörige Ansicht, als sei es der adlige Theil der Ritter¬
schaft, welcher einer Verfassungsreform als solcher durchaus widerstünde, wäh¬
rend man doch nur sagen kann, daß dieser Theil der Ritterschaft sich wider¬
setzte, wenn der bürgerliche Theil derselben Antheil an denjenigen Berechtigungen
verlangte, die ersterer für ausschließlich die seinigen hielt. Daß es sich bei
einer Verfassungsreform weder um den Besitz der adligen, noch um den Ge¬
winn der bürgerlichen Rittergutsbesitzer handelt, sondern allein um das Wohl
des Landes und des Volkes, dies hat man — so bitter es sein mag. ist es
doch die Wahrheit — vergessen oder unbeachtet gelassen, wenigstens ist davon
selten oder nie die Rede gewesen. Bedenkt man aber, daß bei einer Ent¬
äußerung der Rechte zu Gunsten des Landes und Volkes derjenige Theil die
meisten hergibt, welcher die meisten besitzt, so erkennt man, wie billig die-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/231>, abgerufen am 03.06.2024.