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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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men. den Deutschen bis jetzt nur Unglück gebracht hat, es ist zu bedauern,
daß sie Herrn v. Radowitz überlebt haben. Ohne Zweifel hilft Venetien
dazu, die Herrschaft Oestreichs über Dalmatien zu sichern, sein erzwungener
Gehorsam verhindert einige Thäler Welschtirols und einige Kreise Jstriens,
Sympathien für Italien auszusprechen, ja er deckt auch den Handel von
Trieft. Aber weshalb ist ein solches vorgeschobenes Befestigungswerk des
östreichischen Einflusses nöthig? Doch nur deshalb, weil grade das deutsche
Leben in Jstrien, Tirol und Dalmatien, ja auch in Trieft so schwach und
gradeheraus so verkümmert ist, daß es in seiner gegenwär eigen Beschaffen¬
heit nicht die Kraft hat, sich ohne Außenwerke zu erhalten, geschweige unter
Italienern und Slaven moralische Eroberungen zu machen. Wol bedarf
Oestreich Venetiens, aber ein geeinigtes Deutschland, welches allen Gliedern seines
großen Leibes das Selbstgefühl der Kraft gäbe, bedürfte solcher Befestigungen
in fremdem Lande nicht. Wir haben an allen Punkten der preußischen und
deutschen Grenze gegen Rußland und Frankreich gesucht, wir haben kein sol¬
ches Borland gefunden, das in widerwilliger Abhängigkeit gehalten werden
müßte, deutsche Grenzen militärisch und politisch zu decken. Posen haben wir
unter ungünstigen Berhültnissen zum größten Theil germanisirt. Weder die Nieder¬
lande und Belgien noch die Schweiz gehorchen einem deutschen Fürsten.
Und doch waren diese Landschaften einst Theile des deutschen Reiches, das
Haus Habsburg hat die größte Schuld daran, daß sie von Deutschland ge¬
löst worden sind, sie decken uns> jetzt besser gegen Frankreich, als damals, wo
die Habsburger in ihnen mächtig waren. Wir lassen dahin gestellt, ob es
nicht auch im wohlverstandenen Interesse Oestreichs sein mag, eine immer
offene Wunde dadurch zu schließen, daß es auf einen in der Länge nicht halt¬
baren Besitz verzichtet, welcher fortwährend seine Finanzen zttrüttet, seine
Politik hilflos macht, seine Schwäche vor Europa bloßlegl. Denn wenn eine
Regeneration Oestreichs überhaupt möglich ist, wird sie nur erfolgen, nachdem
die unselige und blutige Herrschaft über Norditalien ein Ende erreicht hat.
Dem Deutschen aber erscheint es als ein abenteuerlicher und schmählicher Zu¬
stand, daß wir, ein großes Volk, nöthig haben sollen, zwei Millionen Italiener
dauernd durch Militärregiment und Kriegsgesetze zu bändigen, nur um un¬
sere Grenzen militärisch zu sichern. Sind wir un Süden so schwach und
kläglich, wessen Schuld wäre das? Was ist denn unsre Grenze gegen Ru߬
land? Kleine Bäche, die jeder Knabe überspringt. Und wir brauchen keine
stärkern. Sind die Felsen Tirols weniger geeignet zur Vertheidigung des
deutschen Grundes? -- Aber der militärische Einfluß auf Italien? Wir wol¬
len keinen militärischen Einfluß, wir leben nicht mehr in der Hohenstaufen-
zeit. Und in solcher Empfindung wird das deutsche Boll in seiner großen
Majorität jeden Schritt der preußischen Regierung mit Freude begrüßen,


Grenzboten III. 1860. 42

men. den Deutschen bis jetzt nur Unglück gebracht hat, es ist zu bedauern,
daß sie Herrn v. Radowitz überlebt haben. Ohne Zweifel hilft Venetien
dazu, die Herrschaft Oestreichs über Dalmatien zu sichern, sein erzwungener
Gehorsam verhindert einige Thäler Welschtirols und einige Kreise Jstriens,
Sympathien für Italien auszusprechen, ja er deckt auch den Handel von
Trieft. Aber weshalb ist ein solches vorgeschobenes Befestigungswerk des
östreichischen Einflusses nöthig? Doch nur deshalb, weil grade das deutsche
Leben in Jstrien, Tirol und Dalmatien, ja auch in Trieft so schwach und
gradeheraus so verkümmert ist, daß es in seiner gegenwär eigen Beschaffen¬
heit nicht die Kraft hat, sich ohne Außenwerke zu erhalten, geschweige unter
Italienern und Slaven moralische Eroberungen zu machen. Wol bedarf
Oestreich Venetiens, aber ein geeinigtes Deutschland, welches allen Gliedern seines
großen Leibes das Selbstgefühl der Kraft gäbe, bedürfte solcher Befestigungen
in fremdem Lande nicht. Wir haben an allen Punkten der preußischen und
deutschen Grenze gegen Rußland und Frankreich gesucht, wir haben kein sol¬
ches Borland gefunden, das in widerwilliger Abhängigkeit gehalten werden
müßte, deutsche Grenzen militärisch und politisch zu decken. Posen haben wir
unter ungünstigen Berhültnissen zum größten Theil germanisirt. Weder die Nieder¬
lande und Belgien noch die Schweiz gehorchen einem deutschen Fürsten.
Und doch waren diese Landschaften einst Theile des deutschen Reiches, das
Haus Habsburg hat die größte Schuld daran, daß sie von Deutschland ge¬
löst worden sind, sie decken uns> jetzt besser gegen Frankreich, als damals, wo
die Habsburger in ihnen mächtig waren. Wir lassen dahin gestellt, ob es
nicht auch im wohlverstandenen Interesse Oestreichs sein mag, eine immer
offene Wunde dadurch zu schließen, daß es auf einen in der Länge nicht halt¬
baren Besitz verzichtet, welcher fortwährend seine Finanzen zttrüttet, seine
Politik hilflos macht, seine Schwäche vor Europa bloßlegl. Denn wenn eine
Regeneration Oestreichs überhaupt möglich ist, wird sie nur erfolgen, nachdem
die unselige und blutige Herrschaft über Norditalien ein Ende erreicht hat.
Dem Deutschen aber erscheint es als ein abenteuerlicher und schmählicher Zu¬
stand, daß wir, ein großes Volk, nöthig haben sollen, zwei Millionen Italiener
dauernd durch Militärregiment und Kriegsgesetze zu bändigen, nur um un¬
sere Grenzen militärisch zu sichern. Sind wir un Süden so schwach und
kläglich, wessen Schuld wäre das? Was ist denn unsre Grenze gegen Ru߬
land? Kleine Bäche, die jeder Knabe überspringt. Und wir brauchen keine
stärkern. Sind die Felsen Tirols weniger geeignet zur Vertheidigung des
deutschen Grundes? — Aber der militärische Einfluß auf Italien? Wir wol¬
len keinen militärischen Einfluß, wir leben nicht mehr in der Hohenstaufen-
zeit. Und in solcher Empfindung wird das deutsche Boll in seiner großen
Majorität jeden Schritt der preußischen Regierung mit Freude begrüßen,


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[0341] men. den Deutschen bis jetzt nur Unglück gebracht hat, es ist zu bedauern, daß sie Herrn v. Radowitz überlebt haben. Ohne Zweifel hilft Venetien dazu, die Herrschaft Oestreichs über Dalmatien zu sichern, sein erzwungener Gehorsam verhindert einige Thäler Welschtirols und einige Kreise Jstriens, Sympathien für Italien auszusprechen, ja er deckt auch den Handel von Trieft. Aber weshalb ist ein solches vorgeschobenes Befestigungswerk des östreichischen Einflusses nöthig? Doch nur deshalb, weil grade das deutsche Leben in Jstrien, Tirol und Dalmatien, ja auch in Trieft so schwach und gradeheraus so verkümmert ist, daß es in seiner gegenwär eigen Beschaffen¬ heit nicht die Kraft hat, sich ohne Außenwerke zu erhalten, geschweige unter Italienern und Slaven moralische Eroberungen zu machen. Wol bedarf Oestreich Venetiens, aber ein geeinigtes Deutschland, welches allen Gliedern seines großen Leibes das Selbstgefühl der Kraft gäbe, bedürfte solcher Befestigungen in fremdem Lande nicht. Wir haben an allen Punkten der preußischen und deutschen Grenze gegen Rußland und Frankreich gesucht, wir haben kein sol¬ ches Borland gefunden, das in widerwilliger Abhängigkeit gehalten werden müßte, deutsche Grenzen militärisch und politisch zu decken. Posen haben wir unter ungünstigen Berhültnissen zum größten Theil germanisirt. Weder die Nieder¬ lande und Belgien noch die Schweiz gehorchen einem deutschen Fürsten. Und doch waren diese Landschaften einst Theile des deutschen Reiches, das Haus Habsburg hat die größte Schuld daran, daß sie von Deutschland ge¬ löst worden sind, sie decken uns> jetzt besser gegen Frankreich, als damals, wo die Habsburger in ihnen mächtig waren. Wir lassen dahin gestellt, ob es nicht auch im wohlverstandenen Interesse Oestreichs sein mag, eine immer offene Wunde dadurch zu schließen, daß es auf einen in der Länge nicht halt¬ baren Besitz verzichtet, welcher fortwährend seine Finanzen zttrüttet, seine Politik hilflos macht, seine Schwäche vor Europa bloßlegl. Denn wenn eine Regeneration Oestreichs überhaupt möglich ist, wird sie nur erfolgen, nachdem die unselige und blutige Herrschaft über Norditalien ein Ende erreicht hat. Dem Deutschen aber erscheint es als ein abenteuerlicher und schmählicher Zu¬ stand, daß wir, ein großes Volk, nöthig haben sollen, zwei Millionen Italiener dauernd durch Militärregiment und Kriegsgesetze zu bändigen, nur um un¬ sere Grenzen militärisch zu sichern. Sind wir un Süden so schwach und kläglich, wessen Schuld wäre das? Was ist denn unsre Grenze gegen Ru߬ land? Kleine Bäche, die jeder Knabe überspringt. Und wir brauchen keine stärkern. Sind die Felsen Tirols weniger geeignet zur Vertheidigung des deutschen Grundes? — Aber der militärische Einfluß auf Italien? Wir wol¬ len keinen militärischen Einfluß, wir leben nicht mehr in der Hohenstaufen- zeit. Und in solcher Empfindung wird das deutsche Boll in seiner großen Majorität jeden Schritt der preußischen Regierung mit Freude begrüßen, Grenzboten III. 1860. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/341>, abgerufen am 22.05.2024.