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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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dahin einen eigenthümlich deutschen Charakter gehabt hatten. Die Fürsten,
und die, welche ihnen nahe standen, verloren mit der Entfremdung vom Kaiser
und Reiche und mit dem Bewußtsein ihrer Selbstständigkeit nach und nach
das nationale Gefühl, das auch in den schlimmsten Zeiten des religiösen und
politischen Zwiespalts sich oft noch recht kräftig geltend gemacht hatte, und
wurden allmülig von Frankreichs Herrscher, Ludwig dem Vierzehnten und den
Franzosen abhängig, deren glänzend entwickeltes Hofleben, deren Literatur und
Sitte das deutsche Leben beinahe ein Jahrhundert lang mehr oder minder be¬
dingte. Es ist nicht uninteressant, uns ein Stück dieser Entwicklungsperiode durch
die charakteristische Mittheilung eines Zeitgenossen zu vergegenwärtigen, und wir
wählen dazu die noch nicht gedruckte Auszeichnung eines bayrischen Hofcavaiicrs
aus dem Jahre 1680, der als harmloser Lebemann ganz naiv, aber doch so erzählt,
daß die Reaction gegen die französische Sitte und die französische Anmaßung noch
überall zu bemerken ist. Zur Erläuterung dieser Mittheilung möge aus den
archivalischen Acten der Zeit einiges zuvor bemerkt werden. Ludwig der Vier¬
zehnte verstand es mit einer bewunderungswürdigen Geschicklichkeit, den Zer¬
setzungsproceß der deutschen Nationalität, wie er an der alten Form des heiligen
römischen Reiches sich kund gegeben hatte, zu befördern und für die Hegemonie
Frankreichs in den nächsten Jahrzehnten auszubeuten. Die meisten deutschen
Höfe waren durch politische Alliancen oder, was fast noch schlimmer war, durch
wirksame Intriguen französischer Bevollmächtigten an Ludwigs Interesse gefesselt.
Zu den letztern gehörte bis 1680 der kurbayrische Hof. Dort gab es nach
dem Tode des Kurfürsten Maximilian, der, wenngleich manchmal von franzö¬
sischen Einwirkungen abhängig, sich noch ganz als deutscher Fürst gezeigt hatte,
unter seinem Sohne Ferdinand Maria, der 1679 starb, am Hofe eine fran¬
zösische Partei, welche unter der Leitung eines französischen Residenten eine den
Interessen Ludwigs sehr ersprießliche Neutralität Kurbayerns in dem damaligen
Rcichsknegc zu erhalten wußte. Auf Ferdinand folgte sein Sohn Maximilian
Emanuel, für den, weil er erst 17 Jahre alt war, der Oheim Maximilian
Philipp als Administrator die Regentschaft führte. Die Ueppigkeit des fran¬
zösischen Hoflebens hatte schon hier, wie fast überall in Deutschland, die alte
deutsche Hofsitte umzuwandeln begonnen. Auch Max Emanuel hatte in dieser
neuen Schule französische Sprache und Lebensart lieb gewonnen, wie sein spä¬
teres Leben und die spätere Maitressenwirthschaft noch deutlicher beweist. Doch
damals war er den Franzosen noch gram, und die deutschgesinnten Minister
fingen an mit steigendem Erfolge gegen die französischen Intriguen zu reagiren.
Ludwig wünschte eine Verbindung der Schwester des Kurfürsten, der Prinzessin
Maria Anna mit dem Dauphin. Die Unterhandlungen zogen sich lange hin,
weil Ludwig Bedingungen stellte, denen die deutsche Partei in München energisch
entgegentrat. Endlich schickte Ludwig 1679 den jüngern Colbert als außerordent-


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dahin einen eigenthümlich deutschen Charakter gehabt hatten. Die Fürsten,
und die, welche ihnen nahe standen, verloren mit der Entfremdung vom Kaiser
und Reiche und mit dem Bewußtsein ihrer Selbstständigkeit nach und nach
das nationale Gefühl, das auch in den schlimmsten Zeiten des religiösen und
politischen Zwiespalts sich oft noch recht kräftig geltend gemacht hatte, und
wurden allmülig von Frankreichs Herrscher, Ludwig dem Vierzehnten und den
Franzosen abhängig, deren glänzend entwickeltes Hofleben, deren Literatur und
Sitte das deutsche Leben beinahe ein Jahrhundert lang mehr oder minder be¬
dingte. Es ist nicht uninteressant, uns ein Stück dieser Entwicklungsperiode durch
die charakteristische Mittheilung eines Zeitgenossen zu vergegenwärtigen, und wir
wählen dazu die noch nicht gedruckte Auszeichnung eines bayrischen Hofcavaiicrs
aus dem Jahre 1680, der als harmloser Lebemann ganz naiv, aber doch so erzählt,
daß die Reaction gegen die französische Sitte und die französische Anmaßung noch
überall zu bemerken ist. Zur Erläuterung dieser Mittheilung möge aus den
archivalischen Acten der Zeit einiges zuvor bemerkt werden. Ludwig der Vier¬
zehnte verstand es mit einer bewunderungswürdigen Geschicklichkeit, den Zer¬
setzungsproceß der deutschen Nationalität, wie er an der alten Form des heiligen
römischen Reiches sich kund gegeben hatte, zu befördern und für die Hegemonie
Frankreichs in den nächsten Jahrzehnten auszubeuten. Die meisten deutschen
Höfe waren durch politische Alliancen oder, was fast noch schlimmer war, durch
wirksame Intriguen französischer Bevollmächtigten an Ludwigs Interesse gefesselt.
Zu den letztern gehörte bis 1680 der kurbayrische Hof. Dort gab es nach
dem Tode des Kurfürsten Maximilian, der, wenngleich manchmal von franzö¬
sischen Einwirkungen abhängig, sich noch ganz als deutscher Fürst gezeigt hatte,
unter seinem Sohne Ferdinand Maria, der 1679 starb, am Hofe eine fran¬
zösische Partei, welche unter der Leitung eines französischen Residenten eine den
Interessen Ludwigs sehr ersprießliche Neutralität Kurbayerns in dem damaligen
Rcichsknegc zu erhalten wußte. Auf Ferdinand folgte sein Sohn Maximilian
Emanuel, für den, weil er erst 17 Jahre alt war, der Oheim Maximilian
Philipp als Administrator die Regentschaft führte. Die Ueppigkeit des fran¬
zösischen Hoflebens hatte schon hier, wie fast überall in Deutschland, die alte
deutsche Hofsitte umzuwandeln begonnen. Auch Max Emanuel hatte in dieser
neuen Schule französische Sprache und Lebensart lieb gewonnen, wie sein spä¬
teres Leben und die spätere Maitressenwirthschaft noch deutlicher beweist. Doch
damals war er den Franzosen noch gram, und die deutschgesinnten Minister
fingen an mit steigendem Erfolge gegen die französischen Intriguen zu reagiren.
Ludwig wünschte eine Verbindung der Schwester des Kurfürsten, der Prinzessin
Maria Anna mit dem Dauphin. Die Unterhandlungen zogen sich lange hin,
weil Ludwig Bedingungen stellte, denen die deutsche Partei in München energisch
entgegentrat. Endlich schickte Ludwig 1679 den jüngern Colbert als außerordent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/343>, abgerufen am 21.05.2024.