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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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die Stellung des Nordens gestärkt, weil sie nicht nur vollkommen parteiisch,
sondern auch sehr wenig günstig für die Interessen der ganzen Union war.

Unter solchen Auspicien eröffnet sich, der Kampf um den Sitz im Wei¬
ßen Hans von Washington. Vier Kandidaten stehen bis jetzt im Felde.
Breckcnridge aus Kentucky vertritt die Ultrastlavcreipartci des Südens, ein
Mann von großer Begabung, der aber nichts kennt als die Interessen seiner
Partei. Douglas aus Illinois ist der Kandidat der gemäßigtem Demokraten,
er vereinigt großes Talent zur Intrigue mit einem festen Willen und hat
durch seine lange politische Laufbahn sehr ausgebreitete Verbindungen. --
Unter den Politikern der Antistlavercipartei ist ohne Zeifel Seward der be¬
deutendste, aber eben deshalb wüthend vom Süden gehaßt, so daß der Norden
es sür zu gewagt hielt, ihn als Candidaten aufzustellen und einen ehren-
werthen, aber viel weniger bedeutenden Mann gewählt hai> Abraham Lincoln
aus Illinois. Endlich ist von einer Partei Bell aus Tennessee vorgeschoben,
der mehr in der Mitte steht und auf dem Boden der Konstitution eine ver¬
mittelnde Stellung einnehmen will.

Von diesen vier Kandidaten ist Lincoln ohne Zweifel der populärste, und
wenn einer derselben die absolute Majorität, welche sür die Wahl erforderlich
ist, erhält, so wird er es höchst wahrscheinlich sein. Er hat in keiner Weise
die großen Eigenschaften, welche ihn für die Präsidentschaft geeignet machen
und welche die ersten großen Staatsmänner der Union zierten, aber sein ehren¬
werther Charakter bürgt dafür, daß er nach Kräften suchen wird der politischen
Korruption zu steuern, dem schamlosen Gebahren der Stellenjäger einen ernsten
Widerstand entgegen zu setzen und die wirklichen Interessen der Union wahrzu¬
nehmen. Er wird es vielleicht nicht wagen Seward zum Staatssecrctär zu
ernennen, weil diese Wahl den Süden zu sehr erbittern würde, aber man kann
sicher sein, daß derselbe einen großen und heilsamen Einfluß auf die Leitung
der Geschäfte üben wird. Es ist indeß nicht unmöglich, daß Lincoln die ab¬
solute Majorität, die förderlich ist, um als Präsident in das Weiße Haus ein-
zuziehn, nicht erhält; in diesem Falle scheint es aber fast sicher, daß auch keiner
der drei andern Kandidaten eine solche Majorität gewinnt und sich vielmehr
die Stimmen, welche Lincoln mangeln, unter ihnen zersplittern werden. --
In diesem Falle geht nach der Verfassung die Ernennung zunächst auf das
Haus der Repräsentanten über, welches unter den drei Kandidaten, welche die
Meisten Stimmen haben, zu wählen berufen ist. Wäre der Wahlmodus hier
so, daß die absolute Majorität der Mitglieder des Hauses entschiede, so wäre
die Wahl Lincolns kaum zweifelhaft, da die Demokraten hierin der Minorität
sind, während sie im Senat die Majorität haben; aber der Vorschrift zufolge
wird nach Staaten gewählt, d. h. die Repräsentanten jedes Staates müssen
sich über einen Candidaten vereinigen und geben dann nur eine Stimme. Da


Grenzboten III. 1860. 43

die Stellung des Nordens gestärkt, weil sie nicht nur vollkommen parteiisch,
sondern auch sehr wenig günstig für die Interessen der ganzen Union war.

Unter solchen Auspicien eröffnet sich, der Kampf um den Sitz im Wei¬
ßen Hans von Washington. Vier Kandidaten stehen bis jetzt im Felde.
Breckcnridge aus Kentucky vertritt die Ultrastlavcreipartci des Südens, ein
Mann von großer Begabung, der aber nichts kennt als die Interessen seiner
Partei. Douglas aus Illinois ist der Kandidat der gemäßigtem Demokraten,
er vereinigt großes Talent zur Intrigue mit einem festen Willen und hat
durch seine lange politische Laufbahn sehr ausgebreitete Verbindungen. —
Unter den Politikern der Antistlavercipartei ist ohne Zeifel Seward der be¬
deutendste, aber eben deshalb wüthend vom Süden gehaßt, so daß der Norden
es sür zu gewagt hielt, ihn als Candidaten aufzustellen und einen ehren-
werthen, aber viel weniger bedeutenden Mann gewählt hai> Abraham Lincoln
aus Illinois. Endlich ist von einer Partei Bell aus Tennessee vorgeschoben,
der mehr in der Mitte steht und auf dem Boden der Konstitution eine ver¬
mittelnde Stellung einnehmen will.

Von diesen vier Kandidaten ist Lincoln ohne Zweifel der populärste, und
wenn einer derselben die absolute Majorität, welche sür die Wahl erforderlich
ist, erhält, so wird er es höchst wahrscheinlich sein. Er hat in keiner Weise
die großen Eigenschaften, welche ihn für die Präsidentschaft geeignet machen
und welche die ersten großen Staatsmänner der Union zierten, aber sein ehren¬
werther Charakter bürgt dafür, daß er nach Kräften suchen wird der politischen
Korruption zu steuern, dem schamlosen Gebahren der Stellenjäger einen ernsten
Widerstand entgegen zu setzen und die wirklichen Interessen der Union wahrzu¬
nehmen. Er wird es vielleicht nicht wagen Seward zum Staatssecrctär zu
ernennen, weil diese Wahl den Süden zu sehr erbittern würde, aber man kann
sicher sein, daß derselbe einen großen und heilsamen Einfluß auf die Leitung
der Geschäfte üben wird. Es ist indeß nicht unmöglich, daß Lincoln die ab¬
solute Majorität, die förderlich ist, um als Präsident in das Weiße Haus ein-
zuziehn, nicht erhält; in diesem Falle scheint es aber fast sicher, daß auch keiner
der drei andern Kandidaten eine solche Majorität gewinnt und sich vielmehr
die Stimmen, welche Lincoln mangeln, unter ihnen zersplittern werden. —
In diesem Falle geht nach der Verfassung die Ernennung zunächst auf das
Haus der Repräsentanten über, welches unter den drei Kandidaten, welche die
Meisten Stimmen haben, zu wählen berufen ist. Wäre der Wahlmodus hier
so, daß die absolute Majorität der Mitglieder des Hauses entschiede, so wäre
die Wahl Lincolns kaum zweifelhaft, da die Demokraten hierin der Minorität
sind, während sie im Senat die Majorität haben; aber der Vorschrift zufolge
wird nach Staaten gewählt, d. h. die Repräsentanten jedes Staates müssen
sich über einen Candidaten vereinigen und geben dann nur eine Stimme. Da


Grenzboten III. 1860. 43
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/349>, abgerufen am 21.05.2024.