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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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man ihm die Ohren ab, ebenso ein Stück der Nase, und brannte den Un¬
glücklichen mit glühenden Kelten. An der Spitze dieser scheußlichen Bande
standen drei Popen und nächstdem zwei Lehrer, ein Notariatsschreiber und zwei
Kirchendiener. Diese Bande war damals bereits mit dem Gericht in Con¬
flict gerathen, indeß hatte man ihnen nichts nachweisen können; die Theil-
nehmer blieben im Amte und setzten ihr sauberes Treiben fort. Allein am
5. Januar 1860 sind, nach einer Notiz in der Presse, sieben dieser Gesellen,
welche bei einer andern Gelegenheit ergriffen wurden, wobei die vorerwähnte
Geschichte ebenfalls zur Geltung gebracht wurde, vom Kreisgericht zu Lugos,
als Standgericht, zum Strange verurtheilt worden." --

Die geistigen Anlagen des Walachen sind nach unserm Berichterstatter sehr
gut. Diese Bauern, Köhler oder Fuhrleute wissen ihre Sache mit einer Logik
und einem Schwung vorzutragen, daß man erstaunen muß. "Auf einer meiner
Streifereien," erzählt der Verfasser, "kam ich in Begleitung eines banatcr Forst-
und Domäncnbeamten in ein Holzhauer- und Köhlerdorf, Palma Matje
(91 Hausnummern und 630 Einwohner), wo wir eine kleine Kapelle von etwa
25 Fuß Länge und Is Fuß Breite besahen. Sie war roh von Brettern zu¬
sammengeschlagen, durch die Fugen pfiff der Wind, die unten angefaulten
Hölzer drohten jeden Augenblick zusammenzubrechen. Die Schule war zur Zeit
abwechselnd, wie die unzweideutigsten Spuren verriethen, ein Pferde-, Kuh¬
oder Schweinestall, nahm ein Zimmer von etwa zwölf Fuß ins Gevierte ein
und hatte zwei Bänke für etwa zwölf Kinder und eine schwarze Tafel. Mein
Begleiter sagte dem uns führenden Richter, es sei eine Schande, in einem doch
nicht so ganz kleinen Orte eine so schlechte Kirche und Schule zu haben. Ja,
Herr, das ist wahr -- erwiderte der Richter -- aber wir sind arm, und wenn
uns die Grundherrschaft nicht unterstützt, so können wir nicht bauen und bessern.
-- Nun, wenn ihr hier in Palma Matje erst nicht mehr so arge Diebe und
Räuber seid, wird euch sicher geholfen werden, war die Antwort des Beamten,
worauf sofort der Richter entgegnete: Ja, Herr, das ist wahr, aber eben weil
die Kirche und Schule so schlecht, sind wir solche Räuber und Diebe." --

Ganz in derselben Weise könnten die Walachen überhaupt und mit ihnen
der größte Theil der östreichischen Serben, Slowaken und Polen der Regie¬
rung antworten, wenn sie sich über die Rohheit, Trägheit und Verkommen¬
heit dieser Stämme wundern wollte. "Werfen wir," schließt der Verfasser seine
Mittheilung über das Beinen, "einen Rückblick auf den Zustand des walachischen
Volkes, der uns jedenfalls vollständig zur Beurtheilung des culturlichen Stand¬
punkts der in Ungarn und dem Banat wohnenden Serben und Slowaken
dienen kann, so muß dem Menschenfreunde das Herz schwer werden über eine
solche grauenhafte Vernachlässigung, über solche halbbarbarische Zustände, und
es erscheint das um so betrübender, wenn man, wie, ich die Ueberzeugung hat.


man ihm die Ohren ab, ebenso ein Stück der Nase, und brannte den Un¬
glücklichen mit glühenden Kelten. An der Spitze dieser scheußlichen Bande
standen drei Popen und nächstdem zwei Lehrer, ein Notariatsschreiber und zwei
Kirchendiener. Diese Bande war damals bereits mit dem Gericht in Con¬
flict gerathen, indeß hatte man ihnen nichts nachweisen können; die Theil-
nehmer blieben im Amte und setzten ihr sauberes Treiben fort. Allein am
5. Januar 1860 sind, nach einer Notiz in der Presse, sieben dieser Gesellen,
welche bei einer andern Gelegenheit ergriffen wurden, wobei die vorerwähnte
Geschichte ebenfalls zur Geltung gebracht wurde, vom Kreisgericht zu Lugos,
als Standgericht, zum Strange verurtheilt worden." —

Die geistigen Anlagen des Walachen sind nach unserm Berichterstatter sehr
gut. Diese Bauern, Köhler oder Fuhrleute wissen ihre Sache mit einer Logik
und einem Schwung vorzutragen, daß man erstaunen muß. „Auf einer meiner
Streifereien," erzählt der Verfasser, „kam ich in Begleitung eines banatcr Forst-
und Domäncnbeamten in ein Holzhauer- und Köhlerdorf, Palma Matje
(91 Hausnummern und 630 Einwohner), wo wir eine kleine Kapelle von etwa
25 Fuß Länge und Is Fuß Breite besahen. Sie war roh von Brettern zu¬
sammengeschlagen, durch die Fugen pfiff der Wind, die unten angefaulten
Hölzer drohten jeden Augenblick zusammenzubrechen. Die Schule war zur Zeit
abwechselnd, wie die unzweideutigsten Spuren verriethen, ein Pferde-, Kuh¬
oder Schweinestall, nahm ein Zimmer von etwa zwölf Fuß ins Gevierte ein
und hatte zwei Bänke für etwa zwölf Kinder und eine schwarze Tafel. Mein
Begleiter sagte dem uns führenden Richter, es sei eine Schande, in einem doch
nicht so ganz kleinen Orte eine so schlechte Kirche und Schule zu haben. Ja,
Herr, das ist wahr — erwiderte der Richter — aber wir sind arm, und wenn
uns die Grundherrschaft nicht unterstützt, so können wir nicht bauen und bessern.
— Nun, wenn ihr hier in Palma Matje erst nicht mehr so arge Diebe und
Räuber seid, wird euch sicher geholfen werden, war die Antwort des Beamten,
worauf sofort der Richter entgegnete: Ja, Herr, das ist wahr, aber eben weil
die Kirche und Schule so schlecht, sind wir solche Räuber und Diebe." —

Ganz in derselben Weise könnten die Walachen überhaupt und mit ihnen
der größte Theil der östreichischen Serben, Slowaken und Polen der Regie¬
rung antworten, wenn sie sich über die Rohheit, Trägheit und Verkommen¬
heit dieser Stämme wundern wollte. „Werfen wir," schließt der Verfasser seine
Mittheilung über das Beinen, „einen Rückblick auf den Zustand des walachischen
Volkes, der uns jedenfalls vollständig zur Beurtheilung des culturlichen Stand¬
punkts der in Ungarn und dem Banat wohnenden Serben und Slowaken
dienen kann, so muß dem Menschenfreunde das Herz schwer werden über eine
solche grauenhafte Vernachlässigung, über solche halbbarbarische Zustände, und
es erscheint das um so betrübender, wenn man, wie, ich die Ueberzeugung hat.


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[0393] man ihm die Ohren ab, ebenso ein Stück der Nase, und brannte den Un¬ glücklichen mit glühenden Kelten. An der Spitze dieser scheußlichen Bande standen drei Popen und nächstdem zwei Lehrer, ein Notariatsschreiber und zwei Kirchendiener. Diese Bande war damals bereits mit dem Gericht in Con¬ flict gerathen, indeß hatte man ihnen nichts nachweisen können; die Theil- nehmer blieben im Amte und setzten ihr sauberes Treiben fort. Allein am 5. Januar 1860 sind, nach einer Notiz in der Presse, sieben dieser Gesellen, welche bei einer andern Gelegenheit ergriffen wurden, wobei die vorerwähnte Geschichte ebenfalls zur Geltung gebracht wurde, vom Kreisgericht zu Lugos, als Standgericht, zum Strange verurtheilt worden." — Die geistigen Anlagen des Walachen sind nach unserm Berichterstatter sehr gut. Diese Bauern, Köhler oder Fuhrleute wissen ihre Sache mit einer Logik und einem Schwung vorzutragen, daß man erstaunen muß. „Auf einer meiner Streifereien," erzählt der Verfasser, „kam ich in Begleitung eines banatcr Forst- und Domäncnbeamten in ein Holzhauer- und Köhlerdorf, Palma Matje (91 Hausnummern und 630 Einwohner), wo wir eine kleine Kapelle von etwa 25 Fuß Länge und Is Fuß Breite besahen. Sie war roh von Brettern zu¬ sammengeschlagen, durch die Fugen pfiff der Wind, die unten angefaulten Hölzer drohten jeden Augenblick zusammenzubrechen. Die Schule war zur Zeit abwechselnd, wie die unzweideutigsten Spuren verriethen, ein Pferde-, Kuh¬ oder Schweinestall, nahm ein Zimmer von etwa zwölf Fuß ins Gevierte ein und hatte zwei Bänke für etwa zwölf Kinder und eine schwarze Tafel. Mein Begleiter sagte dem uns führenden Richter, es sei eine Schande, in einem doch nicht so ganz kleinen Orte eine so schlechte Kirche und Schule zu haben. Ja, Herr, das ist wahr — erwiderte der Richter — aber wir sind arm, und wenn uns die Grundherrschaft nicht unterstützt, so können wir nicht bauen und bessern. — Nun, wenn ihr hier in Palma Matje erst nicht mehr so arge Diebe und Räuber seid, wird euch sicher geholfen werden, war die Antwort des Beamten, worauf sofort der Richter entgegnete: Ja, Herr, das ist wahr, aber eben weil die Kirche und Schule so schlecht, sind wir solche Räuber und Diebe." — Ganz in derselben Weise könnten die Walachen überhaupt und mit ihnen der größte Theil der östreichischen Serben, Slowaken und Polen der Regie¬ rung antworten, wenn sie sich über die Rohheit, Trägheit und Verkommen¬ heit dieser Stämme wundern wollte. „Werfen wir," schließt der Verfasser seine Mittheilung über das Beinen, „einen Rückblick auf den Zustand des walachischen Volkes, der uns jedenfalls vollständig zur Beurtheilung des culturlichen Stand¬ punkts der in Ungarn und dem Banat wohnenden Serben und Slowaken dienen kann, so muß dem Menschenfreunde das Herz schwer werden über eine solche grauenhafte Vernachlässigung, über solche halbbarbarische Zustände, und es erscheint das um so betrübender, wenn man, wie, ich die Ueberzeugung hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/393>, abgerufen am 21.05.2024.