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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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große Anzahl von Theilnehmern gewonnen wird, sodann, daß die politische
Richtung scharf genug ausgesprochen ist, um eine wirkliche Kraft darzustellen.
Denn nur das Bestimmte hat Kraft; jede Unbestimmtheit führt zu allmäliger
Abtödtung.

Wir haben schon früher daran erinnert, daß die bisherigen Bemühungen
des Nationalvereins, beide Zwecke mit einander auszugleichen, uns nicht ganz
gelungen scheinen. Man hat, um eine breite Basis zu gewinnen, mehr von
der Bestimmtheit geopfert, als wünschenswert!) ist. Zwar ist es durch die
Unbestimmtheit des Programms möglich geworden, daß unter den nomineller
Mitgliedern des Nationalvereins sich mehre befinden, die entschieden nicht
dazu gehören. Aber was ist damit gewonnen? Die Gegner wissen doch sehr
gut, was für Ideen den Leitern des Nationalvereins vorschweben; jene no¬
mineller Mitglieder kommen ihren eigentlichen Freunden gegenüber in eine
falsche Stellung, und ein großer Theil derjenigen, die seit langer Zeit ent¬
schieden dasselbe erstreben, was der Nationalverein zu erstreben scheint, wird
vom Beitritt zurückgeschreckt. Was wirken und wachsen will, muß zugleich
eine abstoßende, ausschließende Kraft haben. Es ist daher von nicht geringer
Wichtigkeit, nach welcher Seite hin der Verein seine Statuten verändert:
sollte es den -frankfurter Antrügen gelingen, sich geltend zu machen, so Hort
der Verein auf, oder er verwandelt sich in sein Gegentheil; wird dagegen die
ursprünglich in Eisenach ausgesprochene Tendenz schärfer formulirt, so läßt sich
wünschen und erwarten, daß die gesammte altliberale Partei dem Verein
beitritt.

Die Wirksamkeit desselben erstreckt sich auf zweierlei. Deutschland besteht
aus einer Reihe mehr oder minder unabhängiger Staaten, und der Zweck
des Vereins ist, dieselben enger mit einander zu verbinden. Das geschieht
einmal dadurch, daß er seine Angehörigen und Freunde in den verschiedenen
Staaten fortwährend daran erinnert, daß Freiheit und Kraft des ganzen
Deutschland nur auf Freiheit und Kraft der einzelnen Länder aufgebaut wer¬
den kann, daß also die erste Verpflichtung jedes Bürgers ist, zunächst in sei¬
nem eignen Lande die Sache der Freiheit zu fördern.

Es ist in dieser Beziehung sehr viel versäumt und sehr viel nachzuholen.
Weil man in den einzelnen Ländern über den Rechtsbestand und über die
Zweckmäßigkeit der Wahlgesetze in Zweifel war und daran verzweifelte, auf
dem constitutionellen Wege etwas zu erreichen, hat man fast überall die Hände
in den Schoß gelegt und die gesetzgebenden Versammlungen, das einzige
Mittel, sicher wenn auch langsam fortzuschreiten, der Reaction überlassen. Die
Folgen sind nicht ausgeblieben, man hat sich überzeugt, daß der Weg ein
falscher war, und es sind in den letzten Jahren bereits sehr günstige Verän¬
derungen eingetreten. Preußen hat eine liberale Kammer, Baiern und Baden


große Anzahl von Theilnehmern gewonnen wird, sodann, daß die politische
Richtung scharf genug ausgesprochen ist, um eine wirkliche Kraft darzustellen.
Denn nur das Bestimmte hat Kraft; jede Unbestimmtheit führt zu allmäliger
Abtödtung.

Wir haben schon früher daran erinnert, daß die bisherigen Bemühungen
des Nationalvereins, beide Zwecke mit einander auszugleichen, uns nicht ganz
gelungen scheinen. Man hat, um eine breite Basis zu gewinnen, mehr von
der Bestimmtheit geopfert, als wünschenswert!) ist. Zwar ist es durch die
Unbestimmtheit des Programms möglich geworden, daß unter den nomineller
Mitgliedern des Nationalvereins sich mehre befinden, die entschieden nicht
dazu gehören. Aber was ist damit gewonnen? Die Gegner wissen doch sehr
gut, was für Ideen den Leitern des Nationalvereins vorschweben; jene no¬
mineller Mitglieder kommen ihren eigentlichen Freunden gegenüber in eine
falsche Stellung, und ein großer Theil derjenigen, die seit langer Zeit ent¬
schieden dasselbe erstreben, was der Nationalverein zu erstreben scheint, wird
vom Beitritt zurückgeschreckt. Was wirken und wachsen will, muß zugleich
eine abstoßende, ausschließende Kraft haben. Es ist daher von nicht geringer
Wichtigkeit, nach welcher Seite hin der Verein seine Statuten verändert:
sollte es den -frankfurter Antrügen gelingen, sich geltend zu machen, so Hort
der Verein auf, oder er verwandelt sich in sein Gegentheil; wird dagegen die
ursprünglich in Eisenach ausgesprochene Tendenz schärfer formulirt, so läßt sich
wünschen und erwarten, daß die gesammte altliberale Partei dem Verein
beitritt.

Die Wirksamkeit desselben erstreckt sich auf zweierlei. Deutschland besteht
aus einer Reihe mehr oder minder unabhängiger Staaten, und der Zweck
des Vereins ist, dieselben enger mit einander zu verbinden. Das geschieht
einmal dadurch, daß er seine Angehörigen und Freunde in den verschiedenen
Staaten fortwährend daran erinnert, daß Freiheit und Kraft des ganzen
Deutschland nur auf Freiheit und Kraft der einzelnen Länder aufgebaut wer¬
den kann, daß also die erste Verpflichtung jedes Bürgers ist, zunächst in sei¬
nem eignen Lande die Sache der Freiheit zu fördern.

Es ist in dieser Beziehung sehr viel versäumt und sehr viel nachzuholen.
Weil man in den einzelnen Ländern über den Rechtsbestand und über die
Zweckmäßigkeit der Wahlgesetze in Zweifel war und daran verzweifelte, auf
dem constitutionellen Wege etwas zu erreichen, hat man fast überall die Hände
in den Schoß gelegt und die gesetzgebenden Versammlungen, das einzige
Mittel, sicher wenn auch langsam fortzuschreiten, der Reaction überlassen. Die
Folgen sind nicht ausgeblieben, man hat sich überzeugt, daß der Weg ein
falscher war, und es sind in den letzten Jahren bereits sehr günstige Verän¬
derungen eingetreten. Preußen hat eine liberale Kammer, Baiern und Baden


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[0414] große Anzahl von Theilnehmern gewonnen wird, sodann, daß die politische Richtung scharf genug ausgesprochen ist, um eine wirkliche Kraft darzustellen. Denn nur das Bestimmte hat Kraft; jede Unbestimmtheit führt zu allmäliger Abtödtung. Wir haben schon früher daran erinnert, daß die bisherigen Bemühungen des Nationalvereins, beide Zwecke mit einander auszugleichen, uns nicht ganz gelungen scheinen. Man hat, um eine breite Basis zu gewinnen, mehr von der Bestimmtheit geopfert, als wünschenswert!) ist. Zwar ist es durch die Unbestimmtheit des Programms möglich geworden, daß unter den nomineller Mitgliedern des Nationalvereins sich mehre befinden, die entschieden nicht dazu gehören. Aber was ist damit gewonnen? Die Gegner wissen doch sehr gut, was für Ideen den Leitern des Nationalvereins vorschweben; jene no¬ mineller Mitglieder kommen ihren eigentlichen Freunden gegenüber in eine falsche Stellung, und ein großer Theil derjenigen, die seit langer Zeit ent¬ schieden dasselbe erstreben, was der Nationalverein zu erstreben scheint, wird vom Beitritt zurückgeschreckt. Was wirken und wachsen will, muß zugleich eine abstoßende, ausschließende Kraft haben. Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit, nach welcher Seite hin der Verein seine Statuten verändert: sollte es den -frankfurter Antrügen gelingen, sich geltend zu machen, so Hort der Verein auf, oder er verwandelt sich in sein Gegentheil; wird dagegen die ursprünglich in Eisenach ausgesprochene Tendenz schärfer formulirt, so läßt sich wünschen und erwarten, daß die gesammte altliberale Partei dem Verein beitritt. Die Wirksamkeit desselben erstreckt sich auf zweierlei. Deutschland besteht aus einer Reihe mehr oder minder unabhängiger Staaten, und der Zweck des Vereins ist, dieselben enger mit einander zu verbinden. Das geschieht einmal dadurch, daß er seine Angehörigen und Freunde in den verschiedenen Staaten fortwährend daran erinnert, daß Freiheit und Kraft des ganzen Deutschland nur auf Freiheit und Kraft der einzelnen Länder aufgebaut wer¬ den kann, daß also die erste Verpflichtung jedes Bürgers ist, zunächst in sei¬ nem eignen Lande die Sache der Freiheit zu fördern. Es ist in dieser Beziehung sehr viel versäumt und sehr viel nachzuholen. Weil man in den einzelnen Ländern über den Rechtsbestand und über die Zweckmäßigkeit der Wahlgesetze in Zweifel war und daran verzweifelte, auf dem constitutionellen Wege etwas zu erreichen, hat man fast überall die Hände in den Schoß gelegt und die gesetzgebenden Versammlungen, das einzige Mittel, sicher wenn auch langsam fortzuschreiten, der Reaction überlassen. Die Folgen sind nicht ausgeblieben, man hat sich überzeugt, daß der Weg ein falscher war, und es sind in den letzten Jahren bereits sehr günstige Verän¬ derungen eingetreten. Preußen hat eine liberale Kammer, Baiern und Baden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/414>, abgerufen am 22.05.2024.