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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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lösung Oestreichs in ein Föderativsystem, hier einen Neubau nach allgemei¬
nen Principien. Die Führer jener Richtung sind die Ungarn, die auf alt
verbrieften Rechten fußen, die Führer dieser die Deutschen, deren alte Reichs-
formcn längst untergegangen sind. Daß die erste Richtung im Reichsrath
eine so starke Majorität gefunden hat, ist charakteristisch; auch wir halten sie
im Ganzen für diejenige, welche die größere Aussicht hat. Ihre Gefahren
verkennen wir keinen Augenblick: es ist sehr die Frage, ob Ungarn sich mit
der alten Verfassung begnügt, ob nicht die Förderation zu einem Auseinander¬
fallen der Gesammtmouarchie führt. Aber der andre Weg führt zu einem
noch viel unklaren Ziel: die Centralisation Oestreichs ist nur unter despotischer
Form möglich, sonst führt sie zum Racenkampf oder zur Revolution. Der
erste Weg hat seine Gefahren, aber es ist wenigstens möglich, daß auf ihm
die einzelnen Nationen befriedigt und in der Treue gegen das alte Haus er¬
halten werden.

Freilich nur unter einer Bedingung. Noch immer sind die Finanzen in
einer traurigen Lage, und es ist keine Möglichkeit, Ordnung in denselben
herzustellen, wenn Oestreich fortfährt, mit zwei Würfeln 13 Augen werfen zu
wollen. Um wahrhafte Reformen durchzuführen, bedarf Oestreich des Frie¬
dens. Daß es anfängt, sich Preußen zu nähern, ist ein gutes Zeichen, obgleich
es hier noch lange nicht genug gethan hat. Aber es muß auch daran den¬
ken, sich England zu nähern, und keine englische Negierung, welcher Partei
sie auch angehören möge, wird es ihrem Volk gegenüber wagen, sich mit
Oestreich zu verbinden, so lauge dieses Ncstauratiouspläne in Italien ver¬
folgt. Es gibt nur ein Mittel. Oestreichs gefährlichsten Feind, den Kaiser
von Frankreich zu isoliren und unschädlich zu machen: ein ehrlicher Friede mit
Sardinien.

Gern geben wir zu, daß ein solcher Schritt dem alten Hause schwer
falle" muß. Es hat von dem kleinern, im Verhältniß urmächtigen Staat
Verletzungen erlitten, die es nicht leicht verwinden wird. Aber was hat es
gefruchtet, das man bisher dem Kaiser Napoleon geschmeichelt und Sardinien
mit rücksichtsloser Verachtung behandelt hat? Die Annexionen haben doch statt¬
gefunden, Sardinien ist immer mehr in die Arme Frankreichs getrieben, und,
was für Oestreich das. schlimmste ist, eben dadurch ist das englisch-französische
Bündniß, wenn auch nicht mehr in der alten Festigkeit immer noch erhalten.

Ist denn aber ein Friede mit Sardinien, auch wenn man diese Stimmungen
überwindet, möglich? -- Es ist schwer, in der Seele des Königs Victor Ema-
nuel zu lesen; es ist sogar nicht mit Bestimmtheit auszumachen, wie weit er
noch die Situation beherrscht -- Aber zweierlei scheint uns klar. Einmal,
daß die Fluten der Revolution schon so hoch gehen, daß, wenn der Bewegung
kein Ende gemacht wird, die ganze Zukunft Italiens ein wildes Hazardspiel


lösung Oestreichs in ein Föderativsystem, hier einen Neubau nach allgemei¬
nen Principien. Die Führer jener Richtung sind die Ungarn, die auf alt
verbrieften Rechten fußen, die Führer dieser die Deutschen, deren alte Reichs-
formcn längst untergegangen sind. Daß die erste Richtung im Reichsrath
eine so starke Majorität gefunden hat, ist charakteristisch; auch wir halten sie
im Ganzen für diejenige, welche die größere Aussicht hat. Ihre Gefahren
verkennen wir keinen Augenblick: es ist sehr die Frage, ob Ungarn sich mit
der alten Verfassung begnügt, ob nicht die Förderation zu einem Auseinander¬
fallen der Gesammtmouarchie führt. Aber der andre Weg führt zu einem
noch viel unklaren Ziel: die Centralisation Oestreichs ist nur unter despotischer
Form möglich, sonst führt sie zum Racenkampf oder zur Revolution. Der
erste Weg hat seine Gefahren, aber es ist wenigstens möglich, daß auf ihm
die einzelnen Nationen befriedigt und in der Treue gegen das alte Haus er¬
halten werden.

Freilich nur unter einer Bedingung. Noch immer sind die Finanzen in
einer traurigen Lage, und es ist keine Möglichkeit, Ordnung in denselben
herzustellen, wenn Oestreich fortfährt, mit zwei Würfeln 13 Augen werfen zu
wollen. Um wahrhafte Reformen durchzuführen, bedarf Oestreich des Frie¬
dens. Daß es anfängt, sich Preußen zu nähern, ist ein gutes Zeichen, obgleich
es hier noch lange nicht genug gethan hat. Aber es muß auch daran den¬
ken, sich England zu nähern, und keine englische Negierung, welcher Partei
sie auch angehören möge, wird es ihrem Volk gegenüber wagen, sich mit
Oestreich zu verbinden, so lauge dieses Ncstauratiouspläne in Italien ver¬
folgt. Es gibt nur ein Mittel. Oestreichs gefährlichsten Feind, den Kaiser
von Frankreich zu isoliren und unschädlich zu machen: ein ehrlicher Friede mit
Sardinien.

Gern geben wir zu, daß ein solcher Schritt dem alten Hause schwer
falle» muß. Es hat von dem kleinern, im Verhältniß urmächtigen Staat
Verletzungen erlitten, die es nicht leicht verwinden wird. Aber was hat es
gefruchtet, das man bisher dem Kaiser Napoleon geschmeichelt und Sardinien
mit rücksichtsloser Verachtung behandelt hat? Die Annexionen haben doch statt¬
gefunden, Sardinien ist immer mehr in die Arme Frankreichs getrieben, und,
was für Oestreich das. schlimmste ist, eben dadurch ist das englisch-französische
Bündniß, wenn auch nicht mehr in der alten Festigkeit immer noch erhalten.

Ist denn aber ein Friede mit Sardinien, auch wenn man diese Stimmungen
überwindet, möglich? — Es ist schwer, in der Seele des Königs Victor Ema-
nuel zu lesen; es ist sogar nicht mit Bestimmtheit auszumachen, wie weit er
noch die Situation beherrscht — Aber zweierlei scheint uns klar. Einmal,
daß die Fluten der Revolution schon so hoch gehen, daß, wenn der Bewegung
kein Ende gemacht wird, die ganze Zukunft Italiens ein wildes Hazardspiel


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[0418] lösung Oestreichs in ein Föderativsystem, hier einen Neubau nach allgemei¬ nen Principien. Die Führer jener Richtung sind die Ungarn, die auf alt verbrieften Rechten fußen, die Führer dieser die Deutschen, deren alte Reichs- formcn längst untergegangen sind. Daß die erste Richtung im Reichsrath eine so starke Majorität gefunden hat, ist charakteristisch; auch wir halten sie im Ganzen für diejenige, welche die größere Aussicht hat. Ihre Gefahren verkennen wir keinen Augenblick: es ist sehr die Frage, ob Ungarn sich mit der alten Verfassung begnügt, ob nicht die Förderation zu einem Auseinander¬ fallen der Gesammtmouarchie führt. Aber der andre Weg führt zu einem noch viel unklaren Ziel: die Centralisation Oestreichs ist nur unter despotischer Form möglich, sonst führt sie zum Racenkampf oder zur Revolution. Der erste Weg hat seine Gefahren, aber es ist wenigstens möglich, daß auf ihm die einzelnen Nationen befriedigt und in der Treue gegen das alte Haus er¬ halten werden. Freilich nur unter einer Bedingung. Noch immer sind die Finanzen in einer traurigen Lage, und es ist keine Möglichkeit, Ordnung in denselben herzustellen, wenn Oestreich fortfährt, mit zwei Würfeln 13 Augen werfen zu wollen. Um wahrhafte Reformen durchzuführen, bedarf Oestreich des Frie¬ dens. Daß es anfängt, sich Preußen zu nähern, ist ein gutes Zeichen, obgleich es hier noch lange nicht genug gethan hat. Aber es muß auch daran den¬ ken, sich England zu nähern, und keine englische Negierung, welcher Partei sie auch angehören möge, wird es ihrem Volk gegenüber wagen, sich mit Oestreich zu verbinden, so lauge dieses Ncstauratiouspläne in Italien ver¬ folgt. Es gibt nur ein Mittel. Oestreichs gefährlichsten Feind, den Kaiser von Frankreich zu isoliren und unschädlich zu machen: ein ehrlicher Friede mit Sardinien. Gern geben wir zu, daß ein solcher Schritt dem alten Hause schwer falle» muß. Es hat von dem kleinern, im Verhältniß urmächtigen Staat Verletzungen erlitten, die es nicht leicht verwinden wird. Aber was hat es gefruchtet, das man bisher dem Kaiser Napoleon geschmeichelt und Sardinien mit rücksichtsloser Verachtung behandelt hat? Die Annexionen haben doch statt¬ gefunden, Sardinien ist immer mehr in die Arme Frankreichs getrieben, und, was für Oestreich das. schlimmste ist, eben dadurch ist das englisch-französische Bündniß, wenn auch nicht mehr in der alten Festigkeit immer noch erhalten. Ist denn aber ein Friede mit Sardinien, auch wenn man diese Stimmungen überwindet, möglich? — Es ist schwer, in der Seele des Königs Victor Ema- nuel zu lesen; es ist sogar nicht mit Bestimmtheit auszumachen, wie weit er noch die Situation beherrscht — Aber zweierlei scheint uns klar. Einmal, daß die Fluten der Revolution schon so hoch gehen, daß, wenn der Bewegung kein Ende gemacht wird, die ganze Zukunft Italiens ein wildes Hazardspiel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/418>, abgerufen am 15.06.2024.