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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Das Handwerk betrieb er nicht lange. Bald fanden sich Zuschriften von
Befreundeten ein, welche die Fortsetzung seiner angefangenen Werke verlangten,
namentlich von einem berliner Kaufmann Pinell, und zugleich bedeutende
Geldunterstützungen. Er gab also in der Osiermesse 1739 zunächst zwei Streit¬
schriften heraus, in denen er sich sowol von den Juspirirtcu als von seinen
alten Freunden, den frankfurter Separatisten, vollständig lossagte. Sein neuer
Freund wünschte ihn kennen zu lernen, schickte ihm Reisegeld, und Edelmann
machte sich Pfingsten 1739 nach Berlin auf den Weg. Aber sein Bart zog
ihm überall vielfache Anfechtungen zu und in Potsdam wurde er arretirt und
vor den alternden König Friedrich Wilhelm den Ersten geführt. Das Gespräch
war spaßhaft wie alle, die aus jener Zeit berichtet werden. -- "Geht er in
die Kirche?" -- Ich habe meine Kirche bei mir. -- "Er ist ein gottloser
Mensch, er ist ein Quäker!" -- Wir sind Narren um Christi Willen. -- "Geht
er zum Abendmahl?" -- Wenn ich Christen finde, die sich nebst mir mit
Christo zu gleichem Tode pflanzen lassen wollen, so bin ich bereit heut oder
morgen oder wann es sonst ist das Abendmahl mit ihnen zu halten. -- "Wa¬
rum geht er nicht in die Kirche? da wird es ja ausgetheilt." -- O Ew- Majestät
das halte ich nicht für des Herrn Abendmahl, sondern für eine antichristliche
Ceremonie. --

Es ist kein kleines Wunder zu nennen, daß der König, statt ihn auf diese
dreiste Anrede mit Stockschlägen zu begnadigen, ihm 16 Groschen gab, mit
der lachenden Bemerkung, er wäre ein gottloser Mensch, er möge sich bekehren.
Edelmann hatte die Kühnheit, ihm darauf das Gleiche zu wünschen und die
Is Groschen nur unter lebhaftem Protest anzunehmen. Doch wurde ihm unter¬
sagt nach Berlin zu gehn und er tel>rde nach Berleburg zurück.

Hier fand sich im Herbst 1739 ein neuer Glaubensgenosse bei ihm ein,
ein Apotheker Erhard aus Berlin, der sich gleich ihm den Bart wachsen ließ,
den Fleischspeisen entsagte und, nachdem im Mai 1740 aus Berlin von dem
wohlthätigen Freunde eine große Bücherkiste ankam, mit ihm den Spinoza
studirte. Hier ging nun Edelmann ein neues Licht aus und der Grund seines
pantheistischen Glaubens war gelegt.

Es liegen im System Spinozas zwei Momente. Auf der einen Seite
wird durch die Wucht eines steinharten Verstandes alles zermalmt, was der
Phantasie oder der Träumerei des Gemüths Nahrung bieten könnte. Dann
aber, wenn man von seiner mathematischen Form absieht und die ganze Welt¬
anschauung sich auszumalen versucht, liegt auch wieder ein Keim der Mystik
darin, denn die alles Sein umfassende Substanz, von der die einzelnen Dinge
nur Erregungen sein sollen, läßt sich in ihrem ewigen Fluß schwer bestimmen
und ergreisen, und lädt, wenn man sich in sie versenkt, zu speculativen Träu¬
mereien ein. Diese mystische Seite Spinozas hat die neuere Philosophie be-


Das Handwerk betrieb er nicht lange. Bald fanden sich Zuschriften von
Befreundeten ein, welche die Fortsetzung seiner angefangenen Werke verlangten,
namentlich von einem berliner Kaufmann Pinell, und zugleich bedeutende
Geldunterstützungen. Er gab also in der Osiermesse 1739 zunächst zwei Streit¬
schriften heraus, in denen er sich sowol von den Juspirirtcu als von seinen
alten Freunden, den frankfurter Separatisten, vollständig lossagte. Sein neuer
Freund wünschte ihn kennen zu lernen, schickte ihm Reisegeld, und Edelmann
machte sich Pfingsten 1739 nach Berlin auf den Weg. Aber sein Bart zog
ihm überall vielfache Anfechtungen zu und in Potsdam wurde er arretirt und
vor den alternden König Friedrich Wilhelm den Ersten geführt. Das Gespräch
war spaßhaft wie alle, die aus jener Zeit berichtet werden. — „Geht er in
die Kirche?" — Ich habe meine Kirche bei mir. — „Er ist ein gottloser
Mensch, er ist ein Quäker!" — Wir sind Narren um Christi Willen. — „Geht
er zum Abendmahl?" — Wenn ich Christen finde, die sich nebst mir mit
Christo zu gleichem Tode pflanzen lassen wollen, so bin ich bereit heut oder
morgen oder wann es sonst ist das Abendmahl mit ihnen zu halten. — „Wa¬
rum geht er nicht in die Kirche? da wird es ja ausgetheilt." — O Ew- Majestät
das halte ich nicht für des Herrn Abendmahl, sondern für eine antichristliche
Ceremonie. —

Es ist kein kleines Wunder zu nennen, daß der König, statt ihn auf diese
dreiste Anrede mit Stockschlägen zu begnadigen, ihm 16 Groschen gab, mit
der lachenden Bemerkung, er wäre ein gottloser Mensch, er möge sich bekehren.
Edelmann hatte die Kühnheit, ihm darauf das Gleiche zu wünschen und die
Is Groschen nur unter lebhaftem Protest anzunehmen. Doch wurde ihm unter¬
sagt nach Berlin zu gehn und er tel>rde nach Berleburg zurück.

Hier fand sich im Herbst 1739 ein neuer Glaubensgenosse bei ihm ein,
ein Apotheker Erhard aus Berlin, der sich gleich ihm den Bart wachsen ließ,
den Fleischspeisen entsagte und, nachdem im Mai 1740 aus Berlin von dem
wohlthätigen Freunde eine große Bücherkiste ankam, mit ihm den Spinoza
studirte. Hier ging nun Edelmann ein neues Licht aus und der Grund seines
pantheistischen Glaubens war gelegt.

Es liegen im System Spinozas zwei Momente. Auf der einen Seite
wird durch die Wucht eines steinharten Verstandes alles zermalmt, was der
Phantasie oder der Träumerei des Gemüths Nahrung bieten könnte. Dann
aber, wenn man von seiner mathematischen Form absieht und die ganze Welt¬
anschauung sich auszumalen versucht, liegt auch wieder ein Keim der Mystik
darin, denn die alles Sein umfassende Substanz, von der die einzelnen Dinge
nur Erregungen sein sollen, läßt sich in ihrem ewigen Fluß schwer bestimmen
und ergreisen, und lädt, wenn man sich in sie versenkt, zu speculativen Träu¬
mereien ein. Diese mystische Seite Spinozas hat die neuere Philosophie be-


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[0486] Das Handwerk betrieb er nicht lange. Bald fanden sich Zuschriften von Befreundeten ein, welche die Fortsetzung seiner angefangenen Werke verlangten, namentlich von einem berliner Kaufmann Pinell, und zugleich bedeutende Geldunterstützungen. Er gab also in der Osiermesse 1739 zunächst zwei Streit¬ schriften heraus, in denen er sich sowol von den Juspirirtcu als von seinen alten Freunden, den frankfurter Separatisten, vollständig lossagte. Sein neuer Freund wünschte ihn kennen zu lernen, schickte ihm Reisegeld, und Edelmann machte sich Pfingsten 1739 nach Berlin auf den Weg. Aber sein Bart zog ihm überall vielfache Anfechtungen zu und in Potsdam wurde er arretirt und vor den alternden König Friedrich Wilhelm den Ersten geführt. Das Gespräch war spaßhaft wie alle, die aus jener Zeit berichtet werden. — „Geht er in die Kirche?" — Ich habe meine Kirche bei mir. — „Er ist ein gottloser Mensch, er ist ein Quäker!" — Wir sind Narren um Christi Willen. — „Geht er zum Abendmahl?" — Wenn ich Christen finde, die sich nebst mir mit Christo zu gleichem Tode pflanzen lassen wollen, so bin ich bereit heut oder morgen oder wann es sonst ist das Abendmahl mit ihnen zu halten. — „Wa¬ rum geht er nicht in die Kirche? da wird es ja ausgetheilt." — O Ew- Majestät das halte ich nicht für des Herrn Abendmahl, sondern für eine antichristliche Ceremonie. — Es ist kein kleines Wunder zu nennen, daß der König, statt ihn auf diese dreiste Anrede mit Stockschlägen zu begnadigen, ihm 16 Groschen gab, mit der lachenden Bemerkung, er wäre ein gottloser Mensch, er möge sich bekehren. Edelmann hatte die Kühnheit, ihm darauf das Gleiche zu wünschen und die Is Groschen nur unter lebhaftem Protest anzunehmen. Doch wurde ihm unter¬ sagt nach Berlin zu gehn und er tel>rde nach Berleburg zurück. Hier fand sich im Herbst 1739 ein neuer Glaubensgenosse bei ihm ein, ein Apotheker Erhard aus Berlin, der sich gleich ihm den Bart wachsen ließ, den Fleischspeisen entsagte und, nachdem im Mai 1740 aus Berlin von dem wohlthätigen Freunde eine große Bücherkiste ankam, mit ihm den Spinoza studirte. Hier ging nun Edelmann ein neues Licht aus und der Grund seines pantheistischen Glaubens war gelegt. Es liegen im System Spinozas zwei Momente. Auf der einen Seite wird durch die Wucht eines steinharten Verstandes alles zermalmt, was der Phantasie oder der Träumerei des Gemüths Nahrung bieten könnte. Dann aber, wenn man von seiner mathematischen Form absieht und die ganze Welt¬ anschauung sich auszumalen versucht, liegt auch wieder ein Keim der Mystik darin, denn die alles Sein umfassende Substanz, von der die einzelnen Dinge nur Erregungen sein sollen, läßt sich in ihrem ewigen Fluß schwer bestimmen und ergreisen, und lädt, wenn man sich in sie versenkt, zu speculativen Träu¬ mereien ein. Diese mystische Seite Spinozas hat die neuere Philosophie be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/486>, abgerufen am 22.05.2024.