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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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größern -- nie, niemals habe ich deutlicher eingesehn, niemals überzeugender
gefühlt. -- 14. April. -- Meine ganze Religion dürft mir wie auf den Lippen
und dem äußern Verstände zu haften, denn mein Herz ist mürrisch, unzufrieden
und ohne Glauben. -- Meine Unzufriedenheit wird die Natur der Dinge nicht
ändern -- dennoch wird meine Stunde ablaufen; dennoch werde ich näher an
den Rand der Ewigkeit kommen; dennoch wird ohne die Gnade Gottes keine
ruhige Stunde in meinem Leben und noch weniger in der Ewigkeit für mich
sein. -- O so werf' ich mich, elend, unwürdig, von meiner Undankbarkeit
überzeugt, zu deinen Füßen, ewige Liebe! -- 3. Mai. -- Ich soll schreiben,
und weiß nicht was. Mein Gemüth ist so trocken, so verwirrt, daß ich nicht
weiß, was ich sagen soll. Und doch muß ich von meiner Seele und ihrem
Zustand reden, der mich am meisten beschäftigen soll. -- 12. Juli. -- Wie
elend ist der Mensch -- bald niedergeschlagen, zerknirscht, zweifelnd an Gott,
dann wieder groß, trotzig und Niemand bedürftig. Soll ich mir von Gott
die Krankheiten, die Schwermuth wieder zurück erbitten? deren Erleichterung
ich so sehnlich gewünscht hatte. Wenigstens dacht' ich damals ernstlicher. --
2. August. -- Wie kalt, wie gezwungen ist alles was ich thue, mein Wesen,
mein Leben, dies mein Bekenntniß. -- 14. Februar 1773. -- Jetzt folgt auf
die Unruhe Ekel, die sogenannte Langeweile, die mitten in meinem Wirken
mich einhält und mir zumal die Abende lang macht. Ist das nicht auch
eine Folge der Entfernung von Gott? -- 7. März. -- Unendlich falsch ist
mein Herz, unendlich an das Irdische gebunden; unendlich kalt gegen das
Ewige. Blos wenn die Stütze des Körpers zu sinken droht, erinnere ich mich,
daß ein anderes Leben ist. Und alle diese Ueberzeugung wirkt mit der matten
Kraft einer theoretischen Wahrheit, da die Sinne wie eine verzehrende Flamme
uns zur Erfüllung der Begierden hinreißen. -- 20. Juni. -- Diese Blindheit
und Sorglosigkeit ist bei einem Sterbenden unbegreiflich. -- 25. December.
-- Bin ich nicht am Rande der Ewigkeit, alt, abgelebt, krank, beschwert mit
herrschenden Sünden, bedürftig der Gnade? -- Was habe ich denn in der
Welt, das mich abhält, an meiner Seele zu arbeiten? Habe ich Lüste zu ver¬
gnügen, Sinne zu befriedigen? -- Bin ich nicht von allen diesen Genüssen "
aus ewig getrennt? die ohnehin so elend waren! -- 13. Mai 1777. -- Es
bleibt mir nur Ein Gebet übrig, und das will ich unaufhörlich wiederholen:
Gnädiger Vater, gib mir Glauben, der mir mangelt. Du weißt es, o mein
Gott, daß ich mir ihn nicht geben kann. Du weißt es auch, daß ich sehnlich
verlange zu glauben. O so öffne meine Augen dem Licht, du hast es schon
mehr, du hast es schon in meiner Jugend gethan. Ich hab' es in den Jahren
1726 und 1737 in einem lebhaften Grade empfunden, bin aber durch meine
Schuld wieder zerstreut und unempfindlich geworden. Aber o mein Gott, da
nun bald keine Zeit mehr übrig sein wird, da die Ewigkeit, dieser furchtbare


größern — nie, niemals habe ich deutlicher eingesehn, niemals überzeugender
gefühlt. — 14. April. — Meine ganze Religion dürft mir wie auf den Lippen
und dem äußern Verstände zu haften, denn mein Herz ist mürrisch, unzufrieden
und ohne Glauben. — Meine Unzufriedenheit wird die Natur der Dinge nicht
ändern — dennoch wird meine Stunde ablaufen; dennoch werde ich näher an
den Rand der Ewigkeit kommen; dennoch wird ohne die Gnade Gottes keine
ruhige Stunde in meinem Leben und noch weniger in der Ewigkeit für mich
sein. — O so werf' ich mich, elend, unwürdig, von meiner Undankbarkeit
überzeugt, zu deinen Füßen, ewige Liebe! — 3. Mai. — Ich soll schreiben,
und weiß nicht was. Mein Gemüth ist so trocken, so verwirrt, daß ich nicht
weiß, was ich sagen soll. Und doch muß ich von meiner Seele und ihrem
Zustand reden, der mich am meisten beschäftigen soll. — 12. Juli. — Wie
elend ist der Mensch — bald niedergeschlagen, zerknirscht, zweifelnd an Gott,
dann wieder groß, trotzig und Niemand bedürftig. Soll ich mir von Gott
die Krankheiten, die Schwermuth wieder zurück erbitten? deren Erleichterung
ich so sehnlich gewünscht hatte. Wenigstens dacht' ich damals ernstlicher. —
2. August. — Wie kalt, wie gezwungen ist alles was ich thue, mein Wesen,
mein Leben, dies mein Bekenntniß. — 14. Februar 1773. — Jetzt folgt auf
die Unruhe Ekel, die sogenannte Langeweile, die mitten in meinem Wirken
mich einhält und mir zumal die Abende lang macht. Ist das nicht auch
eine Folge der Entfernung von Gott? — 7. März. — Unendlich falsch ist
mein Herz, unendlich an das Irdische gebunden; unendlich kalt gegen das
Ewige. Blos wenn die Stütze des Körpers zu sinken droht, erinnere ich mich,
daß ein anderes Leben ist. Und alle diese Ueberzeugung wirkt mit der matten
Kraft einer theoretischen Wahrheit, da die Sinne wie eine verzehrende Flamme
uns zur Erfüllung der Begierden hinreißen. — 20. Juni. — Diese Blindheit
und Sorglosigkeit ist bei einem Sterbenden unbegreiflich. — 25. December.
— Bin ich nicht am Rande der Ewigkeit, alt, abgelebt, krank, beschwert mit
herrschenden Sünden, bedürftig der Gnade? — Was habe ich denn in der
Welt, das mich abhält, an meiner Seele zu arbeiten? Habe ich Lüste zu ver¬
gnügen, Sinne zu befriedigen? — Bin ich nicht von allen diesen Genüssen "
aus ewig getrennt? die ohnehin so elend waren! — 13. Mai 1777. — Es
bleibt mir nur Ein Gebet übrig, und das will ich unaufhörlich wiederholen:
Gnädiger Vater, gib mir Glauben, der mir mangelt. Du weißt es, o mein
Gott, daß ich mir ihn nicht geben kann. Du weißt es auch, daß ich sehnlich
verlange zu glauben. O so öffne meine Augen dem Licht, du hast es schon
mehr, du hast es schon in meiner Jugend gethan. Ich hab' es in den Jahren
1726 und 1737 in einem lebhaften Grade empfunden, bin aber durch meine
Schuld wieder zerstreut und unempfindlich geworden. Aber o mein Gott, da
nun bald keine Zeit mehr übrig sein wird, da die Ewigkeit, dieser furchtbare


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/522>, abgerufen am 21.05.2024.