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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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wäre unter gewöhnlichen Verhältnissen kein besonders stichhaltiger. Die frem¬
den Soldaten des heiligen Vaters sind Nichtitaliener, sind, wie wir nicht be¬
zweifeln wollen, Vagabunden und gemeine Miethlinge. Sie mögen für das
Faß der Marketenderin eine größere Liebhaberei an den Tag legen, als es
sich für den christlichen Krieger ziemt, und öfter als es den Orten, wo sie
garnisonirten, lieb war, die Wahrheit des Bibelspruches bewiesen haben, daß
der Wein lose Leute und starkes Getränk wild macht. Der Werbung in der
Fremde den Vorzug zu geben vor der Aushebung im Inlande mag unpatrio¬
tisch und unzeitgemäß sein, eine betrunkene Leibwache ein unästhetischer An¬
blick. Aber deshalb hat der Nachbar des Souveräns, dem es beliebt, sich ein
Heer aus betrunkenen fremden Strolchen zu bilden, doch kein Recht, von ihm
die Entfernung dieser Leute zu fordern, geschweige denn ihm ins Land zu fallen.

Indeß handelt es sich hier nicht um gewöhnliche Verhältnisse und Zeiten.
Es ist kein Krieg, der in Italien geführt wird, sondern eine Revolution, die
sich vollzieht. Daß ein König an der Spitze steht, ändert an der Sache nur
insofern etwas, als es den bis jetzt erlangten Erfolgen größere Sicherheit und
längere Dauer verheißt. Eben um an der Spitze zu bleiben, mußte sich Vic¬
tor Emanuel nach dem raschen Siege der von ihm wenigstens halb unab¬
hängigen Revolution in Sicilien und Neapel zu jenem Angriff entschließen.
Derselbe war nur die Consequenz der von ihm geduldeten Expedition Gari-
baldis. Bei längerem Zuwarten lief er Gefahr, das Vertrauen der italieni¬
schen Unitarier in seine Entschlossenheit zu verscherzen, und mit dem Vertrauen
wäre trotz der Treue des Dictators wahrscheinlich bald auch der größte Theil
seiner Macht und die Möglichkeit einer einheitlichen Gestaltung Italiens ver¬
loren gegangen. Dazu kam ein Anderes. Es ist nach dem Fall Neapels
nicht der König von Sardinien, sondern der Hegemon, ja der factische König
Italiens, der vom Papst die Entlassung der Fremdenbataillone verlangt; nur
als solcher konnte er über die Souveränetät des heiligen Vaters hinwegsehn.
Dazu kam ferner, daß man eine Verbindung zwischen der Nord- und Süd-
Hälfte des werdenden Reichs dringend bedürfte; dazu endlich die Unmöglichkeit,
im Hinblick auf Oestreich zu dulden, daß im Rücken Norditaliens ein Land
von einiger Bedeutung existirte, dessen Regierung den nationalen Einheits¬
bestrebungen feindselig war und dessen Armee ihrem Hauptbestandtheil nach
ans östreichischen Bataillonen in päpstlicher Montur bestand.

Wir haben hier nicht zu untersuchen, in wiesern solche Grundsätze mit
der Moral und dem Herkommen übereinstimmen. Noch weniger beschäftigen
wir uns mit der Frage, ob der Angriff in Hinblick auf die allgemeine Welt¬
lage völlig zeitgemäß war, ob Sardinien sich durch die in Aussicht stehenden
neuen Erwerbungen stärken, nicht sich blos vergrößern wird. Uns genügt zu
wissen, daß der Rubicon mit dem Einmarsch der Sardinier in Umbrien und


wäre unter gewöhnlichen Verhältnissen kein besonders stichhaltiger. Die frem¬
den Soldaten des heiligen Vaters sind Nichtitaliener, sind, wie wir nicht be¬
zweifeln wollen, Vagabunden und gemeine Miethlinge. Sie mögen für das
Faß der Marketenderin eine größere Liebhaberei an den Tag legen, als es
sich für den christlichen Krieger ziemt, und öfter als es den Orten, wo sie
garnisonirten, lieb war, die Wahrheit des Bibelspruches bewiesen haben, daß
der Wein lose Leute und starkes Getränk wild macht. Der Werbung in der
Fremde den Vorzug zu geben vor der Aushebung im Inlande mag unpatrio¬
tisch und unzeitgemäß sein, eine betrunkene Leibwache ein unästhetischer An¬
blick. Aber deshalb hat der Nachbar des Souveräns, dem es beliebt, sich ein
Heer aus betrunkenen fremden Strolchen zu bilden, doch kein Recht, von ihm
die Entfernung dieser Leute zu fordern, geschweige denn ihm ins Land zu fallen.

Indeß handelt es sich hier nicht um gewöhnliche Verhältnisse und Zeiten.
Es ist kein Krieg, der in Italien geführt wird, sondern eine Revolution, die
sich vollzieht. Daß ein König an der Spitze steht, ändert an der Sache nur
insofern etwas, als es den bis jetzt erlangten Erfolgen größere Sicherheit und
längere Dauer verheißt. Eben um an der Spitze zu bleiben, mußte sich Vic¬
tor Emanuel nach dem raschen Siege der von ihm wenigstens halb unab¬
hängigen Revolution in Sicilien und Neapel zu jenem Angriff entschließen.
Derselbe war nur die Consequenz der von ihm geduldeten Expedition Gari-
baldis. Bei längerem Zuwarten lief er Gefahr, das Vertrauen der italieni¬
schen Unitarier in seine Entschlossenheit zu verscherzen, und mit dem Vertrauen
wäre trotz der Treue des Dictators wahrscheinlich bald auch der größte Theil
seiner Macht und die Möglichkeit einer einheitlichen Gestaltung Italiens ver¬
loren gegangen. Dazu kam ein Anderes. Es ist nach dem Fall Neapels
nicht der König von Sardinien, sondern der Hegemon, ja der factische König
Italiens, der vom Papst die Entlassung der Fremdenbataillone verlangt; nur
als solcher konnte er über die Souveränetät des heiligen Vaters hinwegsehn.
Dazu kam ferner, daß man eine Verbindung zwischen der Nord- und Süd-
Hälfte des werdenden Reichs dringend bedürfte; dazu endlich die Unmöglichkeit,
im Hinblick auf Oestreich zu dulden, daß im Rücken Norditaliens ein Land
von einiger Bedeutung existirte, dessen Regierung den nationalen Einheits¬
bestrebungen feindselig war und dessen Armee ihrem Hauptbestandtheil nach
ans östreichischen Bataillonen in päpstlicher Montur bestand.

Wir haben hier nicht zu untersuchen, in wiesern solche Grundsätze mit
der Moral und dem Herkommen übereinstimmen. Noch weniger beschäftigen
wir uns mit der Frage, ob der Angriff in Hinblick auf die allgemeine Welt¬
lage völlig zeitgemäß war, ob Sardinien sich durch die in Aussicht stehenden
neuen Erwerbungen stärken, nicht sich blos vergrößern wird. Uns genügt zu
wissen, daß der Rubicon mit dem Einmarsch der Sardinier in Umbrien und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/524>, abgerufen am 21.05.2024.