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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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gewachsenen Mädchen. Wenn dem so ist. so wären die meisten Weiber un-
verheircithet gewesen, und in diesem Falle war es mir ein Räthsel, wie diese
schrecklich häßlichen Kreaturen einen Mann bekommen wollten.

Einige junge Mädchen und Kinder trugen Ketten um den Hals und um
ein Handgelenk. Pflanzensaat, wahrscheinlich von Leguminosen, und Capivari-
zähne auf Schnüre gezogen. An einigen dieser Ketten waren sogar drei bis
vier Glasperlen aus europäischer Fabrik angebracht, die wahrscheinlich einmal
im Tauschhandel unter diese Waldmenschen gerathen waren.

Das war alles, was an Kunst, an Schmuck, an Toilette bei diesen ganz
unbefangen nackten Geschöpfen zu entdecken war.

In dieser Unbefangenheit drängten sie sich mir nach in Gasinellis Maga¬
zin hinein, wo man mir ein kleines Mittagsessen, Huhn mit Reis, auf einen
Tisch gesetzt hatte. Gewaltig schien das bei den Männern die Eßlust anzu¬
regen. Sie setzten sich mir so nahe zu beiden Seiten auf meine Bank, daß
ich, um selbst essen zu können, die nackten Gesellen oft mit den Ellnbogen von
mir schieben mußte. Das half aber nur auf Augenblicke. Gleich kamen sie
mir wieder auf den Leib und schauten mir gierig auf das Messer und den
Mund, die heiterste Eßlust in den Mienen, wie sie immer nur einem Wvhl-
schmecker im Gesicht geschrieben stehen kann, der sich vor sein Austernfrühstück
hinsetzt. Zuletzt wies der eine mit dem Finger auf das Huhn und sagte schnal¬
zend: "Naeaeo ampiep" (der Affe ist gut) -- sie scheinen alle kleine Thiere
mit Rippen Affen zu nennen --; ich mußte laut auflachen und ließ dem
ganzen Schwarm Maniocmehl zum Essen geben, wodurch ich selbst Gelegen¬
heit bekam, meine Mahlzeit ruhig zu beendigen.

Dann suchte ich mich durch Zeichen und Vorzeigung verschiedener Sachen
mit ihnen in Relation zu setzen und sie etwas zu studiren; aber alles, was
ich thun und versuchen mochte, prallte bei ihnen ab. Ich wollte z. B. gern
einige Wörter von ihnen erfahren, wies auf die Sonne und sagte: "luxllv!"
Dann hielt ich ihnen mit dem Tone eines Fragenden meine Hand hin. Ich
wollte auf diese Weise den denkenden Menschen in dem Botokuden heraus¬
fordern, mir zu sagen, wie er Hand in seiner Sprache nenne. Statt dessen
aber kam mir ein gutmüthiger Affe entgegen. Ein Botokude zeigte genau,
wie ich selbst gethan hatte, aus die Sonne, hielt mir seine Hand hin mit
demselben Ausdrucke des Fragens wie ich selbst und sah mich dann mit gro¬
ßer Zufriedenheit an. Und nun mochte ich weiter versuchen, was ich wollte,
immer gelang es mir nur, sie Orangutang spielen zu machen. Einem Boto¬
kuden, der neben mir saß, fühlte ich zählend den Puls. Als ich damit fertig
war, nahm er, ganz genau wie ich gethan, ganz mit derselben Miene, wie
ich sie wol gemacht hatte, meine Hand, legte seine Finger forschend an meine
Handwurzel, ließ sie dort eine halbe Minute ernst und beobachtend, ganz wie


gewachsenen Mädchen. Wenn dem so ist. so wären die meisten Weiber un-
verheircithet gewesen, und in diesem Falle war es mir ein Räthsel, wie diese
schrecklich häßlichen Kreaturen einen Mann bekommen wollten.

Einige junge Mädchen und Kinder trugen Ketten um den Hals und um
ein Handgelenk. Pflanzensaat, wahrscheinlich von Leguminosen, und Capivari-
zähne auf Schnüre gezogen. An einigen dieser Ketten waren sogar drei bis
vier Glasperlen aus europäischer Fabrik angebracht, die wahrscheinlich einmal
im Tauschhandel unter diese Waldmenschen gerathen waren.

Das war alles, was an Kunst, an Schmuck, an Toilette bei diesen ganz
unbefangen nackten Geschöpfen zu entdecken war.

In dieser Unbefangenheit drängten sie sich mir nach in Gasinellis Maga¬
zin hinein, wo man mir ein kleines Mittagsessen, Huhn mit Reis, auf einen
Tisch gesetzt hatte. Gewaltig schien das bei den Männern die Eßlust anzu¬
regen. Sie setzten sich mir so nahe zu beiden Seiten auf meine Bank, daß
ich, um selbst essen zu können, die nackten Gesellen oft mit den Ellnbogen von
mir schieben mußte. Das half aber nur auf Augenblicke. Gleich kamen sie
mir wieder auf den Leib und schauten mir gierig auf das Messer und den
Mund, die heiterste Eßlust in den Mienen, wie sie immer nur einem Wvhl-
schmecker im Gesicht geschrieben stehen kann, der sich vor sein Austernfrühstück
hinsetzt. Zuletzt wies der eine mit dem Finger auf das Huhn und sagte schnal¬
zend: „Naeaeo ampiep" (der Affe ist gut) — sie scheinen alle kleine Thiere
mit Rippen Affen zu nennen —; ich mußte laut auflachen und ließ dem
ganzen Schwarm Maniocmehl zum Essen geben, wodurch ich selbst Gelegen¬
heit bekam, meine Mahlzeit ruhig zu beendigen.

Dann suchte ich mich durch Zeichen und Vorzeigung verschiedener Sachen
mit ihnen in Relation zu setzen und sie etwas zu studiren; aber alles, was
ich thun und versuchen mochte, prallte bei ihnen ab. Ich wollte z. B. gern
einige Wörter von ihnen erfahren, wies auf die Sonne und sagte: „luxllv!"
Dann hielt ich ihnen mit dem Tone eines Fragenden meine Hand hin. Ich
wollte auf diese Weise den denkenden Menschen in dem Botokuden heraus¬
fordern, mir zu sagen, wie er Hand in seiner Sprache nenne. Statt dessen
aber kam mir ein gutmüthiger Affe entgegen. Ein Botokude zeigte genau,
wie ich selbst gethan hatte, aus die Sonne, hielt mir seine Hand hin mit
demselben Ausdrucke des Fragens wie ich selbst und sah mich dann mit gro¬
ßer Zufriedenheit an. Und nun mochte ich weiter versuchen, was ich wollte,
immer gelang es mir nur, sie Orangutang spielen zu machen. Einem Boto¬
kuden, der neben mir saß, fühlte ich zählend den Puls. Als ich damit fertig
war, nahm er, ganz genau wie ich gethan, ganz mit derselben Miene, wie
ich sie wol gemacht hatte, meine Hand, legte seine Finger forschend an meine
Handwurzel, ließ sie dort eine halbe Minute ernst und beobachtend, ganz wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/78>, abgerufen am 14.06.2024.