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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Die idiotischer, grinsenden Gesichter, die sich auf- und abbewegenden Lippen-
flötze, die baumelnden Brüste, die vollkommene Nacktheit der Weiber, von denen
eine hochschwanger war und zwölf Stunden nach dem Tanze niederkam, die
dicken Narben aller auf dem Rücken und dem Kreuz, als den Folgen der bru¬
talen Behandlung der Männer, das ungelenke Aufspringen -- das alles machte
einen so wahrhaft grausigen Eindruck, daß ich ihn mit Worten gar nicht wieder¬
geben kann. Gewiß wird ihn jeder Leser empfinden, ohne daß ich ihn weiter
darstelle.

Nachdem sie so einigemal auf- und abgesprungen waren, brachte ihnen
Gasinellt's Töchterchen von neun Jahren eine große Schüssel voll Essen. Das
blondhaarige Kind, welches ganz unerschrocken hineintrat in den Kreis der Bo-
tokudinnen, sah wie eine Lichtgestalt aus zwischen den grausigen Waldcreaturen.
Sie hockten sich auf die Hacken nieder und fingen an schmatzend wie die
Schweine zu fressen, bis das Gefäß leer war.

Gegen Sonnenuntergang kehrten alle zu ihren Hijämes im nahen Walde
zurück. Wie sie so einer nach dem andern im Gebüsche verschwanden, kam es
mir vor, als hätte ich eine Bision gehabt. Noch nie hatte ich eine Fraction
der Menschheit in so trüber, trauriger Nacktheit erblickt wie am Nibeirao das
Pedras. Als ich nachts auf meinem Lager ausruhte in demselben Magazin,
welches kurz vorher noch mit den wilden Männern und Weibern angefüllt war,
drängten sich die unheimlichen Spukgestalten so lebhaft vor meinen Augen um¬
her, daß ich nicht einschlafen konnte vor dem ersten Frühroth. --"

Wie das Paradies ausgesehn haben wird -- wenn es überhaupt nur
eines gab -- zeigt uns der tropische Urwald mit seiner mächtigen Pflanzen¬
pracht, seinen farbenreichen Vogelgeschwadern und seiner mannigfaltigen Insekten-
welt. Wird es zu viel behauptet sein, wenn wir nach dem, was uns Lalle-
mand von den Menschen dieses Waldes erzählt, der Meinung sind, daß er uns
mit ihnen den Menschen des Paradieses geschildert hat, von dem ja auch die
Bibel nichts weiter zu berichten weiß, als daß er aß und schlief?
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Die idiotischer, grinsenden Gesichter, die sich auf- und abbewegenden Lippen-
flötze, die baumelnden Brüste, die vollkommene Nacktheit der Weiber, von denen
eine hochschwanger war und zwölf Stunden nach dem Tanze niederkam, die
dicken Narben aller auf dem Rücken und dem Kreuz, als den Folgen der bru¬
talen Behandlung der Männer, das ungelenke Aufspringen — das alles machte
einen so wahrhaft grausigen Eindruck, daß ich ihn mit Worten gar nicht wieder¬
geben kann. Gewiß wird ihn jeder Leser empfinden, ohne daß ich ihn weiter
darstelle.

Nachdem sie so einigemal auf- und abgesprungen waren, brachte ihnen
Gasinellt's Töchterchen von neun Jahren eine große Schüssel voll Essen. Das
blondhaarige Kind, welches ganz unerschrocken hineintrat in den Kreis der Bo-
tokudinnen, sah wie eine Lichtgestalt aus zwischen den grausigen Waldcreaturen.
Sie hockten sich auf die Hacken nieder und fingen an schmatzend wie die
Schweine zu fressen, bis das Gefäß leer war.

Gegen Sonnenuntergang kehrten alle zu ihren Hijämes im nahen Walde
zurück. Wie sie so einer nach dem andern im Gebüsche verschwanden, kam es
mir vor, als hätte ich eine Bision gehabt. Noch nie hatte ich eine Fraction
der Menschheit in so trüber, trauriger Nacktheit erblickt wie am Nibeirao das
Pedras. Als ich nachts auf meinem Lager ausruhte in demselben Magazin,
welches kurz vorher noch mit den wilden Männern und Weibern angefüllt war,
drängten sich die unheimlichen Spukgestalten so lebhaft vor meinen Augen um¬
her, daß ich nicht einschlafen konnte vor dem ersten Frühroth. —"

Wie das Paradies ausgesehn haben wird — wenn es überhaupt nur
eines gab — zeigt uns der tropische Urwald mit seiner mächtigen Pflanzen¬
pracht, seinen farbenreichen Vogelgeschwadern und seiner mannigfaltigen Insekten-
welt. Wird es zu viel behauptet sein, wenn wir nach dem, was uns Lalle-
mand von den Menschen dieses Waldes erzählt, der Meinung sind, daß er uns
mit ihnen den Menschen des Paradieses geschildert hat, von dem ja auch die
Bibel nichts weiter zu berichten weiß, als daß er aß und schlief?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/82>, abgerufen am 22.05.2024.