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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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die Drusen zu verdrängen suchen, nicht blos in ihrem eignen, sondern auch
im französischen Interesse. Nebenher mag jetzt der Gedanke gegangen sein,
der Türkei, die im Norden von Rußland bedroht war, zugleich im Süden Ver¬
legenheiten zu schassen. Der Plan im Norden scheint vertagt zu sein, und so
wird jetzt auch im Libanon von Paris Ordre angelangt sein, die Waffen bis auf
Weiteres ruhen zu lassen. Daß es an sich zu wünschen wäre, der Libanon
würde durchaus von Christen bewohnt, soll nicht in Abrede gestellt werden.
Die nachfolgenden Notizen über die Drusen werden diesen Wunsch noch na¬
türlicher erscheinen lassen. Nur ist damit der Uebelstand verbunden, daß in
demselben Maß, in dem die Maroniten sich ausbreiten, auch die Macht Frank¬
reich in diesen Gegenden wächst, und daß mit jeder solcher Machtzunahme
die Gefahr für England und ganz Europa näher tritt, das Mittelmeer unter
französische Botmäßigkeit gelangen zu sehen.

Die Maroniten, deren Hauptsitz das sogenannte Kesrawan ist, bewohnen
nicht nur den Libanon in seiner ganzen Ausdehnung, sondern auch einzelne
Striche von Galiläa und im Norden verschiedene Dörfer bis nach Halcb hin.
Sie sind eine monotheletische Sekte, die, im sechsten Jahrhundert n. Chr.
von einem Abt Marou gestiftet, im Mittelalter schon den Papst anerkannte
und in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Beschlüsse des
tridentiner Concils annahm, aber noch jetzt verschiedene alte kirchliche Sitten
und Gebräuche, die von denen der katholischen Kirche verschieden sind, z. B.
die Pnesterehe, sowie einige andere Heilige als Rom hat. Ihr Oberhaupt
in geistlichen Dingen ist der sogenannte Patriarch von Antiochien, der indeß
nicht in der Stadt seines Titels, sondern im Kloster Kanobin auf dem Liba¬
non wohnt. Derselbe hat dem Papst alle zehn Jahre Rechenschaft über seine
Verwaltung abzulegen. Unter ihm steht eine zahlreiche, in sieben Graden ab¬
gestufte Geistlichkeit und eine große Anzahl von Mönchs- und Nonnenklöstern.

Die politische Verfassung der Maroniten ist die eines militärisch organi-
sirten Freistaats. Nach alten Gewohnheitsrechten, unter denen die Blutrache
noch eine Stelle einnimmt, leben sie auf ihren Landstücken als Ackerbauer.
Seidenproducenten und Gärtner in theilweise sehr großen Dörfern auf den
Kämmen und Abhängen des Gebirgs. Unter ihren Tugenden nennt man
vorzüglich Fleiß und Mäßigkeit, und an Gastfreiheit gleichen sie den Arabern
der Wüste. Sie haben durchschnittlich etwas mehr Bildung als ihre drusi¬
schen Nachbarn und besitzen in der Schule zu Ain Warkah sogar eine Art
Universität, wo man außer der arabischen Muttersprache auch Latein, Alt-
syrisch (ihre Kirchensprache) und Italienisch lehrt.

Die Drusen haben zum Stifter ihrer Sekte den bekannten saturnischen
Khalifen Hakim, einen Menschen, der halb mystischer Narr, halb blutiger
Tyrann war. Derselbe gab sich anfangs für einen neuen Propheten, dann


die Drusen zu verdrängen suchen, nicht blos in ihrem eignen, sondern auch
im französischen Interesse. Nebenher mag jetzt der Gedanke gegangen sein,
der Türkei, die im Norden von Rußland bedroht war, zugleich im Süden Ver¬
legenheiten zu schassen. Der Plan im Norden scheint vertagt zu sein, und so
wird jetzt auch im Libanon von Paris Ordre angelangt sein, die Waffen bis auf
Weiteres ruhen zu lassen. Daß es an sich zu wünschen wäre, der Libanon
würde durchaus von Christen bewohnt, soll nicht in Abrede gestellt werden.
Die nachfolgenden Notizen über die Drusen werden diesen Wunsch noch na¬
türlicher erscheinen lassen. Nur ist damit der Uebelstand verbunden, daß in
demselben Maß, in dem die Maroniten sich ausbreiten, auch die Macht Frank¬
reich in diesen Gegenden wächst, und daß mit jeder solcher Machtzunahme
die Gefahr für England und ganz Europa näher tritt, das Mittelmeer unter
französische Botmäßigkeit gelangen zu sehen.

Die Maroniten, deren Hauptsitz das sogenannte Kesrawan ist, bewohnen
nicht nur den Libanon in seiner ganzen Ausdehnung, sondern auch einzelne
Striche von Galiläa und im Norden verschiedene Dörfer bis nach Halcb hin.
Sie sind eine monotheletische Sekte, die, im sechsten Jahrhundert n. Chr.
von einem Abt Marou gestiftet, im Mittelalter schon den Papst anerkannte
und in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Beschlüsse des
tridentiner Concils annahm, aber noch jetzt verschiedene alte kirchliche Sitten
und Gebräuche, die von denen der katholischen Kirche verschieden sind, z. B.
die Pnesterehe, sowie einige andere Heilige als Rom hat. Ihr Oberhaupt
in geistlichen Dingen ist der sogenannte Patriarch von Antiochien, der indeß
nicht in der Stadt seines Titels, sondern im Kloster Kanobin auf dem Liba¬
non wohnt. Derselbe hat dem Papst alle zehn Jahre Rechenschaft über seine
Verwaltung abzulegen. Unter ihm steht eine zahlreiche, in sieben Graden ab¬
gestufte Geistlichkeit und eine große Anzahl von Mönchs- und Nonnenklöstern.

Die politische Verfassung der Maroniten ist die eines militärisch organi-
sirten Freistaats. Nach alten Gewohnheitsrechten, unter denen die Blutrache
noch eine Stelle einnimmt, leben sie auf ihren Landstücken als Ackerbauer.
Seidenproducenten und Gärtner in theilweise sehr großen Dörfern auf den
Kämmen und Abhängen des Gebirgs. Unter ihren Tugenden nennt man
vorzüglich Fleiß und Mäßigkeit, und an Gastfreiheit gleichen sie den Arabern
der Wüste. Sie haben durchschnittlich etwas mehr Bildung als ihre drusi¬
schen Nachbarn und besitzen in der Schule zu Ain Warkah sogar eine Art
Universität, wo man außer der arabischen Muttersprache auch Latein, Alt-
syrisch (ihre Kirchensprache) und Italienisch lehrt.

Die Drusen haben zum Stifter ihrer Sekte den bekannten saturnischen
Khalifen Hakim, einen Menschen, der halb mystischer Narr, halb blutiger
Tyrann war. Derselbe gab sich anfangs für einen neuen Propheten, dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/84>, abgerufen am 21.05.2024.